05.07.1917 - Abnahme der Kneipp-Glocke in Stephansried

Titel

05.07.1917 - Abnahme der Kneipp-Glocke in Stephansried

Beschreibung

Die von Sebastian Kneipp 1891 gestiftete zweite Glocke für die Stephanus-Kapelle in Stephansried sollte nur gut 25 Jahre überdauern. Kriegsbedingt musste sie im Juli 1917 abgenommen werden.
Da half auch kein „Promi-Bonus“, wenn man bedenkt, dass am 20.06.1917 auch die „Kaiser-Glocke“ des Kölner Doms – mit 543 Zentnern eine der schwersten der Welt – zur Metallverwertung eingeschmolzen wurde. Der Metallhunger der Kriegsindustrie war enorm.

Geregelt war die Beschlagnahme der Glocken in der „Bekanntmachung (Nr. M. 1/1.17 K.R.A.), betreffend Beschlagnahme, Bestandserhebung und Enteignung sowie freiwillige Ablieferung von Glocken aus Bronze“ vom 1. März 1917. In § 7 heißt es zur Zuständigkeit vor Ort: »Mit der Durchführung dieser Bekanntmachung werden dieselben Kommunalverbände beauftragt, denen bereits die Durchführung der Bekanntmachung M. 1/10.16 K.R.A. vom 1. Oktober 1916, betreffend Beschlagnahme, Bestandserhebung und Enteignung von Bierglasdeckeln, Bierkrugdeckeln aus Zinn und freiwillige Ablieferung von anderen Zinngegenständen, übertragen worden ist.«
Mit Verfügung vom 19. Februar 1917 hatte der Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten mitgeteilt, dass die Heeresverwaltung eine Bekanntmachung zur Beschlagnahmung, Bestandserhebung und Enteignung sowie freiwillige Ablieferungen der Glocken aus Bronze erlassen würde. Alle Glocken über 20 kg sollten enteignet und Rüstungszwecken zugeführt werden. Nur Glocken mir besonderer wissenschaftlicher, geschichtlicher Bedeutung oder mit hohen Kunstwert waren von der Enteignung und Ablieferung befreit. Kurzfristig mussten nun Experten benannt werden, die diese Entscheidung treffen sollte.

Der Kartentext:
Bildseite: Die Kneipp-Glocke wird nach G.K.V. [General-Kommando-Verordnung] der Heeresverwaltung übergeben.
Stefansried [Stephansried] im Weltkrieg 1917.

Textseite: Stempel Hawangen, 6. JUL 17
Fahrer Jos. Schalk
Flakzug 148
Deutsche Feldpost 230

Den 5. Juli 17.
Mein lieber Joseph!
Sende dir heute ein Bild wie unsere Glocke abgenommen wird. Es ist ein trauriger Vorgang. Alle Kinder haben traurig zugeschaut. Der Franz hat es fotographiert. Wir müßen nun den Blitzableiter auch hertun. 1000 Grüße v. d. Mutter

[Der Fotograf Franz Schalk war der Bruder von Joseph, die Mutter hieß Crescentia Schalk.]
__________________

Ausführlich wird das Thema bei Wikipedia dargestellt:
Als Metallspende des deutschen Volkes wurden Sammlungen von Rohstoffen und Einschmelzungen von Gegenständen aus Metall im Ersten und Zweiten Weltkrieg bezeichnet.
Da Deutschland von jeher bestimmte Rohstoffe importierte, galt es in Kriegszeiten, die durch abgebrochene Handelskontakte bzw. aufgrund fehlender Devisen nicht mehr beschaffbaren ausländischen Rohstoffe und hier allen voran die Buntmetalle Kupfer, Messing, Zinn und Zink, als wichtige Rohstoffe der Rüstungsindustrie (z.B. zur Herstellung von Geschosshülsen) und Eisen anderweitig im Inland zu beschaffen. Selbst die Edelmetalle Gold und Silber sowie teilweise Juwelen wurden entgegengenommen, um damit papiergeldfrei auf dem Weltmarkt Kriegsgüter beschaffen zu können.
Unter dem Motto Gold gab ich für Eisen erfolgte im Ersten Weltkrieg (nicht nur im Deutschen Reich) die patriotisch begründete Sammlung von Edelmetallen auf freiwilliger Basis. Ging es zunächst um Schmuck, dessen Abgabe durch einen eisernen Ring mit der Inschrift „Gold gab ich für Eisen“ symbolisch abgegolten wurde, so folgte ab 1916 der Appell, historische Goldmünzen abzugeben und wie auch die goldenen Kurantmünzen gegen Banknoten einzutauschen. Ziel dieser Goldsammlungen war vor allem die Gewinnung von Devisen zur Finanzierung des Krieges. Ab 1916 wurde darüber hinaus die Bevölkerung in reichsweiten Sammlungen zur Herausgabe von Hausgerätschaften aus Kupfer, Messing, Bronze und Zinn genötigt. Im Gegenzug erhielten die Einlieferer vielerorts aus Eisenguss gefertigte Mörser oder Pfannen. Diese waren mit entsprechender patriotischer Widmung versehen.
Per Verordnung vom 5. Januar 1917 hatten Gastwirtschaften und Privathaushalte sämtliche zinnernen Bierkrüge oder zinnernen Deckelmonturen abzuliefern. Vor allem im süddeutschen Raum erfolgte sukzessive auch die Beschlagnahme von kupfernen Sudpfannen in den Brauereien.
Am 1. März 1917 erschien eine amtliche Bekanntmachung, die Einzelheiten zu Beschlagnahmung, Bestandserhebung und Enteignung sowie zur freiwilligen Ablieferung von Glocken aus Bronze enthielt. Auf Ersuchen des Königlichen Kriegsministeriums und unter Strafandrohung wurden alle Besitzer von Bronzeglocken enteignet – davon ausgenommen wurden Glocken für Signalzwecke des Eisenbahn-, Straßenbahn- und Schifffahrts-Verkehrs sowie der Feuerwehren.
Im Laufe des Jahres 1917 wurde begonnen, auch alle Glocken von Kirchen zu erfassen und nach ihrem historischen Wert zu kategorisieren. Insbesondere Glocken des 19. Jahrhunderts wurden vielfach zur Einschmelzung abgeliefert, ebenso zahlreiche Zinnpfeifen aus Kirchenorgeln.
Die Deutschen wurden beispielsweise noch am Neujahrstag 1918 mit diesen Worten zur Metall- und Wertspende aufgerufen: „Ein neues Jahr in schwerer Zeiten Lauf! Deutschland braucht Gold! Besinnt Euch darauf! Für Gold den vollen Goldwert, für Juwelen den Auslandspreis. Bringt Gold und Juwelen den Goldankaufsstellen!“

Sebastian Kneipp soll einmal gesagt haben (Zitat des Tages 26.12.2011): „Je länger eine Glocke geläutet wird, umso schöner wird der Ton.“ Wenigstens musste er den 1. Weltkrieg nicht mehr miterleben!

Willy Schalk sei für die Zurverfügungsstellung der Bildpostkarte herzlich gedankt. Ansonsten hätten wir von der Abhängung nichts erfahren: Das Ottobeurer Volksblatt durfte vermutlich aus Geheimhaltungsgründen nicht über den Vorgang berichten. (Hinweis: Der 5.7.1917 muss nicht zwangsläufig der Tag der Abhängung gewesen sein!)
Die Glocke ist der Einschmelzung nicht entgangen. Ein Blick in den Glockenturm mit Karl Leutherer am 18.04.2018 zeigte auf der Nordseite eine Glocke von 1577 (Aufschrift: „ANNO 1577 * IHESVS NAZARENVS REX IVDEORVM MISERERE NOBIS“), auf der Südseite eine Glocke der Glockengießerei Johann Hahn aus Landshut, Nr. 291, von 1948. Im selben Jahr wurden von Hahn auch neue Glocken für die Basilika gefertigt.

Zur Stiftung der Glocke 1891 geht es hier.

Scans, Bearbeitung, Fotos, Recherche: Helmut Scharpf, 04/2018

Urheber

unbekannter Fotograf namens Josef

Quelle

Willy Schalk

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1917-07-05

Rechte

gemeinfrei