23.01.1921 - Georg Braun eröffnet das erste Ottobeurer Lichtfilmtheater

Titel

23.01.1921 - Georg Braun eröffnet das erste Ottobeurer Lichtfilmtheater

Beschreibung

Fahrende Kinematographen waren in Ottobeuren bereits vor dem 1. Weltkrieg unterwegs und zeigten bewegte Bilder. Von 1916 - 1920 führte Georg Braun (31.08.1869 - 11.01.1962) sporadisch und in diversen Sälen Filme vor, meist im Postsaal. Am 23. Januar 1921 eröffnete er das erste eigens dafür gebauten Kinogebäude, die „Lichtspiele Ottobeuren“.

Verbürgt ist eine Annonce vom „Kgl. Hofphotographen Braun“ –  der Titel wurde ihm 1913 durch König Ludwig III. verliehen – erstmals über drei Aufführungen von „Quo vadis“ am Ostersonntag und Ostermontag 1917 (= 8. und 9. April 1917), in den „Lichtspielen im Saale des Gasthofes zur Post Ottobeuren“ (siehe Memminger Volksblatt Nr. 79, 04.04.1917, S. 4; pdf-S. 326; auch: 330 und 336; redaktionelle Ankündigung pdf 333 und 343).

Memminger Volksblatt Nr. 12 vom 17.01.1921, S. 2:
3731 Kinos in Deutschland. Berlin, 16. Jan. Wie zuverlässig festgestellt worden ist, sind im Deutschen Reiche gegenwärtig 3731 Kinos vorhanden, die sich auf 2104 Orte verteilen. Von den Orten mit mehr als 10 000 Einwohnern sind 30 noch ohne Kino. In Ausgabe 140 vom 21.06.1921 (S. 3) wurde mit moralinsaurem Unterton ergänzt: Wer jetzt in den großen Städten die zahlreichen Kinos sieht, könnte zu der Annahme versucht sein, ganz Deutschland sei mit Kinos überzogen. In Wirklichkeit ist es aber noch nicht ganz so schlimm. (…) Von den Orten mit weniger als 10 000 Einwohnern hätten bereits 1219 ein Kino, 319 aber seien aber noch kinofrei.

Jetzt zur eigentlichen Eröffnung eines eigenständigen Kinos in Ottobeuren; Quelle: Memminger Volksblatt Nr. 13 (= Ottobeurer Tagblatt) vom 18.01.1921, S. 3 (pdf 61), erste Annonce in Ausgabe 15 v. 20.01.1921 (siehe Eingangsbild), S.4; pdf S. 72 u. in Ausgabe 17 vom 22.01.1921, pdf 84)

Ottobeuren. Lichtspieltheater. Am kommenden Sonntag, 23. ds. [= Januar 1921], wird in Ottobeuren ein ständiges Lichtspieltheater eröffnet. Herr Hofphotograph Georg Braun hat zu diesem Zwecke in seinem Garten einen größeren Saal gebaut. Derselbe bietet für ungefähr 250 Personen angenehme Sitzgelegenheit und ist der Zeit entsprechend ausgestattet. Es ist zu begrüßen, daß Herr Braun sich dieser großen Mühe und Kosten unterzog, da wir aus den vorhergegangenen Vorstellungen die Gewißheit haben, daß uns in jeder Hinsicht nur gute und gediegene Filmstücke geboten werden. Es ist von Herrn Braun beabsichtigt, folgende Filmschaustücke zu bringen: „Der Klosterjäger von Ganghofer“, „Die Lieblingsfrau des Maharadscha“, „Die Herrin der Welt“, „Der Kindesraub im Zirkus Buffalo“, „König Ludwig II.“, „Franziskus, der Bettler von Assissi“ usw. Wir wünschen diesem Unternehmen recht viel Erfolg. — Zur Aufführung am Sonntag gelangt: „Die Nacht der Entscheidung“, Filmdrama in 5 Akten von Dr. Alfred Schirokanner [Schirokauer, D 1920]. Das Stück wurde überall mit großem Erfolg gegeben. Die Hauptrolle in dem Drama spielt Erich Kaiser-Titz, eine gern gesehene Filmgröße. Als Beiprogramm wird ein heiteres Lustspiel geboten. Möchte niemand versäumen, diese Vorstellung zu besuchen. Das Weitere ist aus dem Inseratenteil zu ersehen. 

Über die Eröffnungsvorstellung erschien im Memminger Volksblatt Nr. 20 vom 26.01.1921, S. 2 (pdf 94) folgender Bericht; der Start verlief etwas holprig:
Lichtspieltheater. Wie angekündigt, fand am letzten Sonntag die Eröffnungsvorstellung des ständigen Lichtspieltheaters statt. Das gebotene Filmdrama war sehr spannend und das Lustspiel erheiterte allgemein. Zu bedauern war, daß die Bilder nicht klar und deutlich wiedergegeben wurden, stellenweise sehr verschwommen waren, was auf den Neubau zurückzuführen ist. Die Wärme erzeugte ein Schwitzen der Wände, sodaß die Spielleinwand durchnäßt war. Dieser Übelstand ist bei den folgenden Vorstellungen behoben. — Der Besuch der Nachmittagsvorstellung war weniger gut. Am Abend dagegen war der ganze Saal überfüllt und manche mußten wegen Platzmangel zurückkehren. Die Vorstellungen gingen flott von statten. Alles war über das Gebotene, wie über die ganze Einrichtung, voll des Lobes. Schade, daß sich die hiesige Streichmusik so wenig hören ließ und nicht besser an die Öffentlichkeit getreten ist. Wir wünschen Herrn Braun zu seinen weiteren Vorführungen immer ein solch volles Haus, was auch zutreffen wird, wenn immer Gediegenes geboten wird. [Nächste Annonce auf pdf 100 für Sonntag, 30.01.1921]
Zwischen 1920 und 1950 wurden immerhin 1342 Filmprogramme gezeigt!

Dass Jugendliche unter 18 Jahren das – an sich harmlose – Werk nicht sehen durften, lag nicht an Herrn Braun, sondern an der verschärften Gesetzeslage. Das Ottobeurer Tagblatt legte Wert auf die „Gewißheit, daß uns in jeder Hinsicht nur gute und gediegene Filmstücke geboten werden“. Vielleicht hätten etwas kontroversere Streifen mehr Besucher ins Kino gelockt. 1949 schrieb die Memminger Zeitung in einer Laudatio zum 80. Geburtstag von Georg Braun: „Trotz jahrelangen schlechten Besuches hielt er zäh an der Idee eines Filmtheaters fest.“ Oder im Artikel zur Neueröffnung des erweiterten Kinos (MMZ, 01.08.1950): „Aber das jahrelang entstandene Defizit trug Herr Braun immer wieder gerne, weil er von der Zukunft des Filmes wirklich überzeugt war.“ Davon abgesehen, ging es die ersten Jahre – bis Ende 1923 – schnurstracks in die Inflation bzw. Hyperinflation. Auch zum Programm im vergrößerten Hause finden sich Hinweise zur moralischen Verpflichtung: „Die Leitung der Lichtspiele will sich im neuen Hause durch ein reichhaltiges und kultiviertes Programm auszeichnen. (…) Aber auch die abendfüllenden Kulturfilme werden im Spielplan bevorzugt. Die Lichtspiele wollen nicht nur eine Stätte der reinen Unterhaltung sein, sondern auch im weitgehenden Maße Kultur und Volksbildung in Bild und Ton vermitteln.“

Bei der Ersteröffnung 1921 standen die Gesetze wie folgt (Memminger Volksblatt Nr. 143 vom 24.06.1920, S. 3; pdf S. 615):
Reichslichtspielgesetz. Das seit 29. Mai im ganzen Deutschen Reich geltende Lichtspielgesetz bringt verschärfte Bestimmungen. Jugendlichen unter 18 Jahren ist der Besuch der allgemeinen Vorführungen verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafen bis zu 10 000 Mark belegt. Der Bildstreifen kann in diesem Falle eingezogen, bei vorsätzlicher Zuwiderhandlung kann außer der Geldstrafe der Betrieb bis aus 8 Monate und bei wiederholtem Rückfall ganz geschlossen werden. Die Gemeinde kann für die Vorführungen von Films für Jugendliche noch Verschärfungen hinzufügen. Damit ist dem Verderbnis und der Sittenverwilderung der Jugend, soweit sie von Kinos ausgeht, einigermaßen gesteuert.

230 Plätze umfasste das erste Kino (oben hieß es einmal „etwa 250“). Dafür hatte Georg Braun eigens einen Teil seines angrenzenden Gartens geopfert, der an das Wohnhaus in der Rupertstr. 8 angrenzt. Exkurs: Im zweiten Bild sieht man diesen Garten noch, das Foto selbst stammt aus der Zeit zwischen 1888 und 1898, denn hier wirbt noch Georgs Vater, Johann Nepomuk Braun („Photographisches Atelier & Buchbinderei“) für sich. Im westlichen Gebäudeteil arbeitete die – unverheiratet gebliebene Modistin Josepha Baader (17.07.1822 - 11.02.1914). Johann Nepomuk Braun hatte 1867 Lina Baader geheiratet. Der Buchbinder Martin Baader, 03.09.1784 - 29.04.1872 war seit 17.07.1816 mit Agnes Baader, geb. Bihler, 27.07.1791 - 31.08.1874, verheiratet. Die beiden hatten - soweit bislang bekannt - fünf Töchter: Theresia, 18.05.1827 - 25.02.1862, Anna, 21.12.1823 - 09.10.1884, Creszenz, 16.05.1810 - 02.03.1890, dann die oben erwähnte Josepha und letztlich Magdalena „Lina“ Baader, 23.08.1829 - 03.11.1909*, die Johann Nepomuk Braun heiratete und mit der das Buchbindergewerbe auf die Brauns überging.
*Todesanzeige im Ottobeurer Volksblatt Nr. 123 vom 04.11.1909 (S. 4), Danksagung in Nr. 124 vom 06.11.1909 (S. 6); kein Nachruf.
Man beachte in dem wunderschönen Bild – bislang eine der ältesten bekannten Fotografien – die Rupertstraße als einen schmalen Grasweg! Das Bild können Sie demnächst in noch höherer Auflösung (600 dpi, ca. 16 MB) hier herunterladen.

Am 29.07.1950 eröffnete Georg Braun zusammen mit seinen Söhnen den großen Anbau, durch den der Saal rund 400 Sitzplätze erhielt. In der Memminger Zeitung Nr. 117 vom 01.08.1950 hieß es dazu: „Die Ausstattung macht einen schlichten, aber sehr gefälligen Eindruck, wozu neben der Kassettendecke, der Neonröhrenbeleuchtung, der Bestuhlung und der Klimaanlage nicht zuletzt die große Bühne mit ihrem aparten Vorhang und Blumenschmuck beitrug. Ottobeuren verfügt nun über einen Filmpalast, der auch einer Stadt zur Ehre gereichen würde.“ Ausgestattet war der neue Saal mit einer mechanischen Warmluft- und Entlüftungsanlage, drei Ernemann-Kinomaschinen sowie eine moderne Siemens-Klangfilm-Tonanlage. Neu eingerichtet wurde auch ein Diaprojektor.

Auf den Bildern der Baumaßnahme von 1950 erkennt man den rückwärtig gelegenen ursprünglichen Kinobau. Ein neueres Bild zeigt das ehemalige Kinogebäude (an der Straßenfront gelegen auch Domizil der Druckerei von René Hartmann) am 21.04.2018.
Wann die „Ottobeurer Lichtspiele“ den regulären Betrieb einstellten, ist noch nicht exakt recherchiert, ca. 1965. Der Saal wurde als Lagerraum genutzt und hat fünf Jahrzehnte überdauert. 2018 ist noch immer die Leinwand und der Vorhand erhalten. Auch etliche der alten Stuhlreihen sind noch vorhanden. Nach dem Tode des letzten Kinobetreibers, Georg Braun jun. (27.07.1915 – 25.01.2016), ging das Gebäude an dessen Tochter Claudia Mendler und postwendend weiter an deren Sohn Norbert Mendler. Herrn Mendler sei für die Zurverfügungstellung der alten Fotografien und die Möglichkeit der Sondervorführung (s.u.) herzlich gedankt. Georg Braun jun., der an sich nichts aufgehoben hat, hatte Mitte der 1960er mit dem Thema Kino abgeschlossen, frei nach dem Prinzip: „Des isch rum!“

Zwei Kinoplakate, die 1932 und 1937 im Schaukasten hingen, haben sich erhalten. Noch heute können sich darüber hinaus viele Ottobeurer an die Verfilmung des Märchens „Zwerg Nase“ 1952/53 erinnern; manche waren sogar als Komparsen engegiert worden. Die Filmpremiere war zwar am 25.01.1953 in Göppingen, aber kurz darauf wurde samt Regisseur Francesco Stefani auch in Ottobeuren Premiere gefeiert.

Nachdem der Saal in der Form ab Herbst 2018 umbaubedingt nicht mehr als Vorführraum nutzbar bleiben wird, kommt es am 01.08.2018 zu einer letzten Vorstellung, bevor der Vorhang endgültig fällt. Gezeigt wird ein vom Kneipp-Bund in Auftrag gegebener, 40-minütiger Stummfilm von 1923 über die Kneippkur. Dazu gibt es einen Kurzvortrag über die Geschichte des Kinos von Michael Scharpf aus Bad Wörishofen. Er hat den Film durch einen Zufall im Bundesfilmarchiv entdeckt und die Digitalisierung in die Wege geleitet. An der Sondervorführung kann man nur auf persönliche Einladung durch den Kneippverein Ottobeuren sowie den Heimatdienst teilnehmen. Eine Anmeldung ist jedoch auch per Mail über den Kontakt-Button im virtuellen Museum möglich. Der Eintritt ist frei. Nachdem nur noch ca. 60 Plätze der alten Bestuhlung existieren könnte es ggf. nötig sein, dass Sie einen eigenen Stuhl mitbringen müssen. Über Einlass und Beginn werden Sie nach der Anmeldung informiert.

Der jetzige Zustand wurde bereits fotografisch festgehalten, die Bilder werden aber zunächst nicht veröffentlicht – es soll ja noch ein bisschen spannend bleiben. Zur „Konkurrenz“, den „Post-Lichtspielen“, ist noch nicht so viel bekannt. Die dortige Vorführung des Kneipp-Filmes „Der Wasserdoktor“ im August 1959 ist im virtuellen Museum allerdings bereits verarbeitet.

Recherche, Zusammenstellung, Repros: Helmut Scharpf, 07/2018

Urheber

unbekannt, diverse

Quelle

Norbert Mendler

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1921-01-23

Rechte

gemeinfrei