1898 – Adolf Boneberger veröffentlicht seine Schmähschrift „Der Kneippkur-Charlatanismus“

Titel

1898 – Adolf Boneberger veröffentlicht seine Schmähschrift „Der Kneippkur-Charlatanismus“

Beschreibung

Christus der Herr hat Wunder gewirkt und unter anderen einmal Wasser in Wein verwandelt, aber der päpstliche Hausprälat, Pfarrer Kneipp, der ehemalige Webergeselle von Stephansried, wirkte viel größere Wunder, indem er aus einer Mischung von Größenwahn, Aberglauben, Krankheit und Wasser jeden Tag ein schönes Quantum gediegenes Gold erzeugte.“

 

Beim Lesen dieser und anderer Textstellen aus dem Buch des Mindelheimer Apothekers Adolf Boneberger (*18.06.1847, München,12.04.1924, Mindelheim) reibt man sich verwundert die Augen. Er veröffentlichte ein Jahr nach dem Tode Kneipps eine Schmähschrift, die kaum deutlicher hätte ausfallen können. Dabei war er einer der frühesten Weggefährten Kneipps, das „Mayenbad“ wurde 1887 zu einer der ersten Kneippkureinrichtungen überhaupt, Sebastian Kneipp kam persönlich zur Visite nach Mindelheim.

 

Adolf Boneberger gibt im Vorwort als Motivation an, „die Licht- und Schattenseiten des Kneippsystemes in dieser Schrift hervorheben“ zu wollen, es sollten Vergleiche zwischen den Werken anderer Naturheilkundler „und dem Kneipp'schen Heilverfahren“ angestellt werden – die aber gar nicht aufgegriffen werden. Der eigentliche Hintergrund offenbart sich einige Zeilen weiter:

Diese gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse, sowie meine eigenen medicinischen Erlebnisse, welche ich während meiner 12-jährigen Thätigkeit als Apotheker im In- und Auslande mitmachte, wobei ich Gelegenheit hatte, die Therapie von Hunderten von Ärzten und verschiedene Heilsysteme kennen zu lernen, veranlassen mich, über die Kneipp'sche Wasserkur, Kneippapotheke, Arzneimittelaberglauben der alten und neuen Zeit, über die hygienischen Unterlassungssünden der Gegenwart und über die Heilkunde der Zukunft zu schreiben. Wenn hierbei auch das Kurhaus Mayenbad bekannter wird, ist mein Zweck erreicht.“

Wie aus der nachfolgenden Zusammenstellung deutlich wird, greift Boneberger in Wörishofen alles und jeden an und entwirft in seinem Machwerk regelrechte Horrorszenarien. Für seine eigene Einrichtung stellt er jedoch fest:

Aus meiner eigenen, zwanzigjährigen, praktischen Erfahrung, welche ich als Besitzer und Leiter der Kuranstalt Mayenbad gesammelt habe, könnte ich Hunderte von Personen mit Namen aufführen, welche mühselig und beladen, d.h. mit einer chronischen Krankheit, meine Kuranstalt aufgesucht haben, hier geheilt wurden und stets dankbar sich an den Waldluftkurort Mayenbad erinnern.“

Dies bitte im Auge behalten! Zunächst noch ein paar Infos über das Mayenbad, dessen Tradition bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Die Lebensdaten von Adolf Boneberger sind noch in der Recherche!

 

Im Führer der Kneipp-Kuranstalten von 1894 ist das Haus bei Dr. Alfred Baumgarten noch ganz normal gelistet:

Mindelheim bei Wörishofen
Pension und Kurhaus „Mayenbad“

Besitzer: Adolf Boneberger, praktischer Vertreter der Naturheilmethode. Gegründet im vorigen Jahrhundert, im Jahre 1887 die Kneippsche Wasserkur eingeführt, somit die erste und älteste Kneippsche Kuranstalt. Die Kurgäste erhalten ihre Ordinationen von Hochwürden Herrn Pfarrer Kneipp selbst; die Anstalt steht unter Leitung des Kneippschen Oberbadearztes in Wörishofen[*]. Mayenbad hat 32 Fremdenzimmer mit 42 Betten. Pensionspreis täglich fünf Mark. Saison vom 1. April bis Mitte Oktober.

Gicht und Rheumatismus, Blutarmut, Bleichsucht, Nervosität, Zuckerkrankheit wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Bequeme und gute Verbindung mit Wörishofen per Bahn, mit Wagen oder zu Fuß durch den Wald auf einem gut markierten Fußwege. Schönste, waldreiche, geschützte und gesunde Lage in der nächsten Umgebung von Wörishofen.

Als Waldluftkurort und Naturheilanstalt seit vielen Jahrzehnten besucht; ist besonders jenen zu empfehlen, welche in Wörishofen kein entsprechendes Unterkommen finden oder welchen der Aufenthalt in Wörishofen wegen der vielen Kranken nicht angenehm ist.

Das Mayenbad hat freundliche Fremdenzimmer, schöne Badeinrichtung, großen Kurgarten mit gedeckter Wandelbahn, große Wiese zum Barfußgehen, geräumiges Bassin zum Wassergehen, Turnplatz, gedeckte Kegelbahn, schattigen Restaurationsgarten am Kurhause. Meilenweite Nadelholzwaldungen mit Promenadenwegen, Ruhebänken in unmittelbarer Nähe. Gelegenheit zu hübschen Ausflügen in die nächste Umgebung, Gelegenheit zu Jagd und Fischerei.
* Sprich: dem Verfasser Baumgarten selbst.

 

Über Adolf Boneberger ist bislang noch wenig bekannt. Es finden sich über ihn im Internet kaum Spuren, in den Schriften rund um Kneipp ist er mir bislang erst zweimal begegnet, hier mit einem Hinweis darauf, dass er „ein Mann der ersten Stunde“ war:

Zitat aus Glas, Fritz: Pfarrer Kneipp war Heilpraktiker, , im Selbstverlag, Bad Wörishofen, 25.01.1951, 80 S.

Fritz Glas („weiland Frater Palatinus Glas“) schrieb darin auf S. 32:

Wer waren die Männer und Frauen, die in den ersten entscheidenden Jahren neben Vater Kneipp und in seinem Sinne wirkten? Es waren einfache, ungelehrte Leute. Der Bader Kustermann, den Kneipp selbst „mein erster Badewart“ nannte, der Kaplan Kreck, die Jungen und Mädchen aus dem nachmals berühmten Haus Kreuzer, der Schmied Ludwig Geromiller, den Kneipp seinen „Techniker der Wasserkur“ nannte, die Familie Waibel und die Bauern Scharpf, Rauch, Preier, Sproll, Singer und Zapf und – wie Eugen Ortner in seinem Lebensroman Kneipps sagte – im Hintergrund die guten Geister der Schwestern Sebastiana und Benedikta. Dann kamen der Dr. Bernhuber und der Apotheker Boneberger aus Mindelheim dazu, und der Pfarrer Stückle, der im Anfang als Sekretär diente. Dieses war der Stamm, aus dem alles übrige hervorging!

Boneberger hat das Mayenbad laut eigenen Angaben schon 20 Jahre (= ab ab 1878) geleitet. Er war – sicherlich auch berufsbedingt – offensichtlich ein großer Pflanzenkenner, wie folgender Fund belegt:

Hansjörg und Inge Hackel haben ihn (wenn auch falsch geschrieben) in einer Abhandlung über „Neufunde seltener Pflanzenarten“ im Rechberg 2004 immerhin erwähnt, in: Berichte des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben e.V., 108, Bd. 2004:

 

Hansjörg und Inge Hackel
Neufunde seltener Pflanzenarten im Mindelheimer Raum

Der das Mindeltal im Westen der Kreisstadt Mindelheim begrenzende Rechberg, an dessen alten Kiesgrubenaufschlüssen Albert Penck um 1880 seine klassische Mindeleiszeit beschrieb, war schon im 19. Jahrhundert „Hauptarbeitsgebiet“ der in Mindelheim tätigen Floristen. (…)

Als nächster suchte Adolf Bonenberger [Boneberger], der damalige Besitzer des Mindelheimer Mayenbades, zwischen 1880 und 1925 dort nach verborgenen Kostbarkeiten.

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Zurück zu der eingangs aufgeführten Provokation. Beim Lesen zwischen den Zeilen wird deutlich, dass Wörishofen kurz vor der Jahrtausendwende nicht mehr auf umgebende Orte wie Türkheim oder Mindelheim angewiesen war, um die vielen Kranken unterbringen zu können. Die neuen Häuser – allen voran die von Kneipp selbst finanzierten Einrichtungen unter geistlicher Leitung (Sebastianeum, Kneippianum und Kinderasyl) – wurden zur Konkurrenz, es ging um die wirtschaftliche Existenz. Klosterschwestern arbeiteten für „Gotteslohn“, in der Privatwirtschaft mussten Angestellte bezahlt werden. Boneberger spricht insbesondere bei den gerade genannten großen Einrichtungen von „Kneippkasernen“, von „unlauterem Wettbewerb“, von „Leben und Leben lassen“. Der unlautere Wettbewerb durch „ihre weißen Sklaven (Ordensschwestern)“ führe zu „einer erdrückenden Concurrenz“. Ein deutlicher Hinweis: Als Anbieter einer Kuranstalt in Mindelheim gelang es ihm vermutlich nicht mehr, genügend Gäste anzuziehen. Er machte Wörishofen und die Art, wie dort Kneippkur angeboten wurde, deshalb schlecht, um selbst gut dazustehen. Er versucht zu belegen, wie Kneipp andere Bäder schlechtmacht und beschreibt verschiedene Anforderungsprofile, z.B.: „Klimatische Kurorte, namentlich Waldluftkurorte, in subalpiner Lage von 500 bis 700 Metern über dem Meere, sind Heilfaktoren allerersten Ranges.“ So ein Zufall: Dieses Erfolgsprofil passt exakt zu Bonebergers „Mayenbad“ in Mindelheim.

 

Und überhaupt: Warum sollte einer nach Wörishofen fahren? „Unser Apotheker“ rät dringend ab: „Das Pfarrdorf Wörishofen liegt frei in der Ebene, ist ungeschützt und allem Winde ausgesetzt; es war früher, vor 9 Jahren, ein unbekannter Ort, wie noch viele in Schwaben; es ist kein empfehlenswerther Aufenthalt für Gesunde und für Kranke wenig geeignet. Wörishofen hat weder durch seine landschaftliche Lage, weder durch seine klimatischen Verhältnisse, noch durch seine hygienischen Eigenschaften Anwartschaft auf einen Kurort.“

 

In ein ähnliches Horn stößt ein Artikel, der kurz nach Kneipps Tod in einer römischen Zeitschrift („La Tribuna illustrata della domenica“ vom 04.07.1897, S. 4) erschien: „Wer nach Wörishofen fährt, nur um die eigene Neugier zu stillen und nicht um die Magenverstimmung, die kranken Nerven oder anderes zu kurieren, der sollte sich besser nicht zu lange dort aufhalten: Die Gasthäuser sind abscheulich, die Kneipp-Suppe und das Kneipp-Brot sind nicht essbar, das Kneipp-Bier ist nicht trinkbar und man kann kein anderes Bier, kein anderes Brot und keine andere Suppe bekommen. Das Schauspiel der nackten Füße und Waden, das im Prinzip unterhaltsam ist, endet damit, dass es zu einer Obsession wird. Wenn die erste Neugier befriedigt ist, ist es das Beste, wenn man so schnell wie möglich wieder abreist.

 

Bonebergers Kritik wird zum Rundumschlag, er schießt gegen Kneipp und Bonifaz Reile („ein ehemaliger Sattlergehilfe, genannt Prior“) – von Dr. Alfred Baumgarten jedoch ist interesannterweise nicht ein einziges Mal die Rede. Wörishofen und die dort herrschenden „katastrophalen hygienischen Zustände“ („Der Verkehr mit diesen Kranken macht den Ort geradezu unheimlich. Man kann in Wörishofen kein Glas an die Lippen setzen, keine Gabel, keine Serviette in die Hand nehmen, ohne sich sagen zu müssen, es könnte ein solcher Kranker kurz davor Gebrauch gemacht haben.“), ja selbst die Ärzteschaft („der leichtgläubige, arzneimittelsüchtige Arzt“) insgesamt nimmt er sich vor, die nur noch chemische Präperate – lateinische Rezepte – verschreiben, was ganz offensichtlich seine Apotheker-Ehre kränkte (Apotheker als „mechanische Handlangern der modernen organischen Chemie“) und auch in diesem Feld die Wertschöpfung minderte.

 

Boneberger überzieht dabei alle mit herabwürdigenden Beleidigungen, selbst die Kurgäste beschimpft er als „vertrauensselige, denkschwache Kneippianer“, als „am Kneippfieber erkranktes Publikum“.

Nicht nur Kneipp und Reile, sondern pauschal allen Ordensleuten unterstellt er Gewinnsucht, ein Beispiel: „Die pekuniären Verhältnisse nahmen einen riesigen Aufschwung, der Pfarrherr und seine Köchinnen starrten von Gold und es ging wie in Salomons Tempel – „sie achteten das Silber kaum mehr.“

Seine Fazit: „Der Talar, der Theologe, gehört in die Kirche, das Ordensgewand, Mönche und Nonnen, hinter die hohe Klostermauer.“ „Ungebildete Laien im Ordenshabite“ würden „als Strohmann und Lockvogel ausgestellt und vorgeschoben, um das hilfesuchende, kranke Volk zu ködern und auszubeuten“. Die „klugen Klosterfrauen“ würden es „ganz gut verstehen, ihre Rechnung zu stellen“. Scharf kritisiert er einen Besuch Kneipps im Priesterseminar in Dillingen 1894, was nach Bonebergers Meinung zukünftig zu „Störungen des rechten Verhältnisses zwischen Seelsorger und Arzt“ führen würde, was „des Patienten Unheil“ wäre. Die „klerikale Reclame“ führe dazu, „daß die Zahl geistlicher Kurpfuscher Kneipp'scher Obedienz steigt, daß die Fülle ärgerlicher durch Übergriffe entstehender Differenzen zwischen Arzt und Seelsorger sich mehren werden“.

 

Bonberger wettert ohne jede Zurückhaltung oder Rücksichtnahme: „Welt- und Ordensgeistliche, welche ihre vertrauenerweckende Stellung zum Gelderwerbe mißbrauchen, das Hotelgewerbe ausüben und Kuranstalten betreiben, wie es in Wörishofen im Sebastianeum, Kneippianeum und Kinderasyl, ferner in Krumbach, Jordanbad u.s.w. thatsächlich der Fall ist, machen sich des unlauteren Wetterwerbes schuldig, sie arbeiten nicht, wie sie angeben, aus Nächstenliebe und Barmherzigkeit, sondern aus schnöder Gewinnsucht unter dem Deckmantel der Religion.“ Und an anderer Stelle: Sie verlangen „Preise, wie solche in jedem andern Priatunternehmen nicht höher sind, und belästigen den scheidenden Kurgast oftmals noch mit der Opferbüchse um milde Gaben für wohlthätige Zwecke. Manchmal gelingt es auch, eine ältere, wohlhabende, hysterische und gottesfürchtige Patientin, im Interesse ihres Seelenheiles, zu einer größeren testamentarischen Schenkung zu veranlassen und die todte Hand hält allenthalben reichliche Ernte.“ Die Barmherzigen Brüder bezeichnet Boneberger als „an Glücksgütern reiche Spekulanten im Ordensgewande“, „umsonst geschieht grundsätzlich nichts“. Er fordert eine klare Trennung ein: „Theologie den Theologen und Medizin den Medizinern!

 

Dem geistlichen Stand fehle außerdem die Qualifikation („Klosterbrüdern, welche vom Naturheilverfahren so viel verstehen, wie der Esel vom Lautenschlagen ...“).

 

Die heftigste Kritik geht jedoch gegen einen, der sich nicht mehr selbst wehren konnte: Sebastian Kneipp selbst („Messias einer neuen Heilmethode“, verehrt und angebetet von „einer nervösen, hysterischen, halbverrückten Gesellschaft“). Wörishofen wurde zu einem „pfarrherrlich mit dem Segen Gottes versehenen Bad“, das Buch „Die Wasserkur“ zum „wässrigen Märchenbuch“ bzw. „wässerigen Reklamebuch“.

 

Hier eine Auswahl von weiteren Ausdrücken: „Kneippseuche“, unfehlbaren Meinungen“, „Verherrlichung und Verewigung des Erbauers“, „Arzt im Talare“, „krankhaft ehrgeizig“, „Größenwahn“, „königlicher Pfarrherr“, „Hasenbastel“, „Bienenprofessor, „barmherziger Wasserapostel“, „Arzt von Gottes Gnaden“, „ganz besonderer Heiliger“ u.v.m.)

 

Kneipp war bekannt für seinen teils roher Umgang mit den Hilfesuchenden, eine Steilvorlage für Boneberger, der dies mit ausgewählten Zitaten belegt: „Schwätzen Sie nicht so viel Dreck!“, „Guß aufs Maul“. Der „gemüthlich in seinem Lehnstuhle sitzende„ der „sich allwissend, allweise und allmächtig stellende Pfarrer“ finde es „oft nicht der Mühe werth, seine Patienten auch nur flüchtig anzusehen oder kurz anzuhören“. Ist ein Kranker abgefertigt worden, bleibe er sich im Anschluss wochenlang selbst überlassen.

 

Kneipps Vorträge in der Wandelbahn, („Firmungsunterricht“, „starker Kitt, mit welchem die mit dem Aufenthalte und mit der Kneippkur Unzufriedenen an dem Weltkurorte festgehalten werden“) dienten nach Meinung des Autors dazu, „die Liebe zum Weltkurorte Wörishofen zu erwecken, das Kneippfieber in die chronische Form überzuführen, um die Gläubigen zu einem längeren Aufenthalte zu veranlassen“. Der hochwürdige Herr oder sein Vertreter hielt „jeden Nachmittag nicht etwa Gottesdienst, nein, einen medicinisch-populären Vortrag. Es waren nicht Priesterworte über Religion, christliche Duldung und Nächstenliebe, sondern langmächtige, ausführliche Lobgesänge auf sein eigenes, unfehlbares Heilsystem, auf seine Wunderkuren, auf die Leistungen seiner eigenen Person.“

 

Bei „seinen berüchtigten Vorträgen“ („alter Kneippkäse“) „rühmte er sich, nie ein medicinisches Buch gelesen zu haben. Er sprach über Nahrungsmittelchemie, Hygiene und Prophylaxis und machte sich durch seine Unwissenheit und Unkenntniß auf diesem Gebiete unendlich lächerlich, so der Mindelheimer Apotheker. Boneberger über Kneipps Fachkompetenz: Dieser besaß „nicht einmal die gewöhnlichsten, einfachsten, anatomischen und physiologischen Kenntnisse, welche jeder halbwegs gebildete Laie sein eigen nennt.“

 

Die Zustände im heutigen „Weltheilbad“ waren früher äußerst einfach gestrickt: „Der Fremde, welcher nach Wörishofen kommt, wird gehalten, eine Kurtaxe zu bezahlen, aber es wird demselben sehr wenig geboten. Überall elende Wege und Stege, im ganzen Ort kein schattenspendender Baum oder ältere Anlage, bei Sonnenschein drückende Hitze und entsetzlicher Staub, bei Regenwetter bodenlose Wege, Schlamm, Morast, Sumpf, überlaufende Düngergruben und Misthaufen vor den Häusern, zieren den klerikalen Weltkurort. Der Kurgast mag im Schlamm, Koth und Gestank halb umkommen, das ist dem Wörishofener Spekulanten gleichgültig; das ganze mobile Kapital wird für Wohnräume und Kuranstalten verwendet, um eine energische Ausbeutung des Kneippfiebers gründlich ausführen zu können, denn wer weiß, wie lange der Waizen [Weizen] blüht und auf sieben fette Jahre könnten magere Jahre folgen.“

 

Boneberger sagt am Ende den Niedergang Wörishofens voraus. „Die künstlich hervorgerufene Kneippbewegung hat durch den Tod des Prälaten ihren Schöpfer und Urheber verloren, den Reiz der Neuheit nicht mehr und ist außerdem durch die vielen Mißerfolge in bedenklicher Abnahme begriffen. Auf den fieberhaften Aufschwung, den Wörishofen in den letzten Jahren genommen hat, wird ein bedenklicher Krach folgen und die Volksstimme bezeichnet bereits jetzt schon als Kneipp's Nachfolger den Gerichtsvollzieher von Türkheim.“

 

Nach der Herausgabe von „Meine Wasserkur“ am 25.11.1886 war Wörishofen in äußerst kurzer Zeit einer Transformation ausgesetzt, es sah dort teils aus wie in einer Westernstadt. Händler mit ihren Buden wollten von den Fremden profitieren, Unterkünfte entstanden bzw. wurden ausgebaut. Das politische Wörishofen blockierte zunächst und scheute Investitionen in die Infrastruktur, die Landwirte fürchteten die explodierenden Grundstückspreise und Kneippianer, die ihnen bei Tautreten die Wiesen niedertrampelten. Nicht alle waren mit dieser Transformation „vom Bauerndorf zum Weltbad“ einverstanden, auch die Furcht vor Ansteckungen war nicht unbegründet. „Die Ökonomen, Handwerker, Gewerbetreibende und Kaufleute in der Umgebung werden nicht nur nicht berücksichtigt, sondern vielfach in ihrem Geschäfte und in ihrem Verdienste beeinträchtigt und entsteht viel böses Blut.“ Es kam zu mehreren Brandanschlägen, u.a. auf die Redaktion der Kneipp-Blätter.

 

Boneberger beschreibt die Veränderungen und die daraus resultierenden Zustände wenig schmeichelhaft: „Der plötzliche Fremdenandrang hat in Wörishofen eine wilde Häuserspekulation und epidemische Bauwuth hervorgerufen. Mit fieberhafter Thätigkeit wurde eine große Anzahl neuer, feuchter, ungesunder Wohnungen für Massenquartiere geschaffen und, wenn auch nur halb ausgebaut, sofort bezogen. Minderwerthiges Baumaterial, feuchter, sumpfiger Untergrund, brachte in vielen Häusern den Hausschwamm; mangelhafte Abortanlagen, Privatschlächtereien, Unreinlichkeit in Haus und Hof, Überfüllung der neuen, nassen Wohnräume mit Kranken aller Art haben im Laufe der Jahre den Untergrund mit schädlichen Abfallstoffen und Krankheitserregern durchsetzt, da jahrelang die gröbsten Fehler und Unterlassungssünden gegen die hygienischen Grundsätze begangen wurden, daher auch die schlechte, übelriechende Athmosphäre in dem internationalen Weltkurorte.“

 

Der Bauboom wurde auch von Kneipp persönlich befeuert. Hierzu finden wir die einzige biographische Note des Buches: „Nachdem die historische Waschküche zu den Wasseranwendnugen nicht mehr ausreichte, ließ Pfarrer Kneipp sofort ein größeres Badhaus und Wasserleitung auf eigene Rechnung herstellen und ging in seinem Dorfe von Haus zu Haus und animirte die widerstrebenden Besitzer zur Herrichtung von Fremdenzimmern und zur Anlage von Kuranstalten. Er animirte fortwährend zum Bauen und versprach, er werde dafür Sorge tragen, daß Wörishofen als Centralkurort für die Kneippkur erhalten bleibe.“

 

Die Folge: „Gründe, die noch 1890 zu 10 Mark das Dezimal gekauft wurden, erreichten 1892 je nach ihrer Lage einen Preis bis zu 150 Mark, ja bis zu 300 Mark. Es wird ein Wörishofener bezeichnet, der seinen Grund um 2000 Mark gekauft und ihn um etwa 35,000 Mark verkauft und verwerthet hat.“

 

Weiter mit den „unhaltbaren Zuständen“: Ein „Pfarrer Löwenbrück“ hätte in seiner Broschüre über Wörishofen wörtlich geschrieben: „Ich muß der Unannehmlichkeit Erwähnung thun, in Betten zu schlafen, worin weiß Gott welcher Kranke sich unmittelbar vorher befunden hat. Ein Schwindsüchtiger benützte wochenlang eine Wohnung; eine Stunde darauf zog ein mit Magenkatarrh Behafteter ein. Ein mit Syphilis infizirter junger Mann schlief wochenlang auf der Matratze eines Bettes, in welchem einige Stunden darauf ein vornehmes Fräulein ruhte.“

 

Die „Kneipp-Pillen“, der „Kneipp-Malz-Kaffee“, auch der „Kneipp'sche Honigwein“ werden im vorliegenden Buch gründlich auseinandergenommen. Kneipp würde gegen den Bohnenkaffee wettern, Tabak jedoch würde „stillschweigend geduldet, weil der Meister und seine medicinischen und barmherzigen Jünger selbst rauchen und schnupfen“. Die „Kneippreklame“ treibe „mit ihrem Meister eine Art Idolatrie [Götzenverehrung], die besonnene und nüchtern denkende Menschen anekelt“.

 

Die Praxis der Kneippkur („wässrige Goldgrube“, „herrliche Goldquelle“, „Wasserwunderkur“, „Wasserpantscherei“, „magischer Wirkungskreis der Kneipp'schen Suggestion“) kommt schlecht weg: „Die Kneipp'schen Ordinationen bestanden seit Jahren nur in Anwendung von Güssen, Übergießen des Körpers mit kaltem Wasser.“ Boneberger spricht deshalb von einer „Kneipp'schen Wasserschablone“ bzw. von „einseitigen Schablonenkuren“, es werde alles über einen Kamm geschoren. Berechtigt mag die Kritik sein, dass laut dem „Renommirbuch Nr. 1 Meine Wasserkur“ zwar auch andere Therapie-Methoden vorgesehen sein, dass aber „warme Kräuterbäder, die warmen Fichtenreisbäder, die warmen Heublumenbäder, die heißen Haberstroh- und Zinnkrautbäder in Wörishofen niemals verordnet werden, warme Fuß-, Sitz- und Vollbäder, sowie wechselwarme Bäder niemals in Anwendung gebracht werden, Kopf-, Fuß-, Voll- und Leibstuhldampf ebensowenig im Gebrauche sind; kurzer Wickel, spanischer Mantel und Aufschläge aller Art verhältnißmäßig äußerst wenig benützt werden.“

 

 

Dies „Schablone“ würde sich wie folgt zeigen: „Wenn in Wörishofen fünfhundert Kurgäste zusammenstehen und ihre Kurbüchlein vergleichen, so werden alle fünfhundert Patienten finden, wenn sie auch an den verschiedenartigsten Krankheiten leiden, daß Jeder die gleichen Güsse verordnet erhalten hat.“

 

Grundsätzlich wird die Frage aufgeworfen, warum „immer wieder die gleichen Anwendungen verordnet werden, warum nur Güsse und Güsse und Güsse? – Warum nur kaltes Wasser und wieder kaltes Wasser und immer kaltes Wasser???“

 

Eine Antwort fand Boneberger im „fehlenden Platze“, ein genaues Eingehen auf den Einzelnen wäre aufgrund der schieren Zahl von Kranken ohnehin nicht möglich: „Wie eine Schafherde wurden die vertrauensseligen, von den Kneippbüchern verführten Patienten, durch das pfarrherrliche Sprechzimmer getrieben und oft dutzendweise auf einmal abgefertigt, an manchen Tagen oft 2 bis 300 Hilfesuchende, von welchen die neu ankommenden à Person 3 Mark zu erlegen hatten.“

 

Den „Erfolg“ der Kneippkur in Wörishofen (dem „katholischen Mekka“, die „berühmte Lehmklinik) misst der Autor mit einem ganz anderen Maßstab: „In keinem Bade auf der ganzen Welt, an keinem Kurorte werden so viele Menschen vom vorzeitigen Tode ereilt, als [wie] in Wörishofen.“ „..., bis jetzt hat schon eine ziemlich große Anzahl gläubiger Kranker in Wörishofen statt Gesundheit durch die Wasserkur frühzeitig die letzte Ruhe gefunden.“„Wiederum andere wurden durch die Kneipp'schen Güsse irrsinnig und in der nächsten Irrenanstalt untergebracht.“ „ ... ein anderer legt in der Verzweiflung Hand an sich und versucht wegen Erfolglosigkeit der Kur sich die Kehle zu durchschneiden, wiederum ein anderer greift zum Revolver und schießt sich in der Angst und Erregtheit eine Kugel durch den Kopf, ...“

 

Zur Abschreckung folgert Boneberger: „Wer seinen Magen ruiniren, sein Blut vergiften, seine Nerven zerrütten und sich gründlich an seiner Gesundheit schädigen will, der reise nach Wörishofen, nehme fleißig Kneippgüsse, trinke fleißig Kneipp'schen Honigwein, Kneipp'schen Malzkaffee, rauche von früh bis spät wie der Meister Kneippcigarren – das bringt zuletzt eine Pferdenatur um.“ Fehlbehandlungen erläutert Boneberger auf den Seiten 141 - 43 mit zahlreichen konkreten Beispielen.

 

Die hygienischen Missstände führten zu Ansteckungen bei den Einheimischen („Fremde und Einheimische fallen dieser Krankheit zum Opfer. Lupus, Syphilis und Tuberkulose aus allen Herren Ländern in Wörishofen eingeschleppt.“), was Boneberger mit einem Beispiel belegt:

Plötzlich erkrankt die bisher gesunde, erblich nicht belastete Quartiergeberin, eine junge, kräftige Frau und fällt mit rapider Schnelligkeit der Miliartuberkulose zum Opfer. Der lupuskranke Kurgast hatte die Hausfrau infizirt, dieselbe mußte ihr Leben lassen und der Lupnskranke reiste ungeheilt wieder ab. Ähnliche Beispiele kommen viele vor.“

 

Im Zusammenhang mit dem Kinderasyl schreibt Boneberger: „Kneipp schuf statt einer Heilanstalt einen Seuchenherd für Typhus.“

 

Pauschal wird festgestellt: „Schon mancher Fremde, welcher wegen eines geringfügigen Leidens oder aus Neugierde Wörishofen besuchte, erlag daselbst einer tödtlichen Infektionskrankheit, denn Typhus und Dyphtherie, Blattern, welche in früheren Jahren nur ganz sporadisch vorkamen, sind durch die fieberhafte Kneippbewegung häufigere Krankheiten geworden.“

 

Boneberger stellt die Frage nach der Übernahme einer Verantwortlichkeit: „Wen trifft die Hauptschuld an solchen bedauerlichen Thatsachen? Wer hat alle diese unverantwortlichen Zustände herbeigeführt?“

 

Zu den Schuldigen zählt Boneberger auch die Kneippärzte, Günstlinge, die „den ehrgeizigen Meister in seinem ungeheuren Größenwahn“ „gegen besseres Wissen und bessere Überzeugung“ unterstützen würden, „um ihre einträgliche, goldene Stellung nicht zu verlieren“. Es gäbe „Kneippärzte, welche jährlich 20,000 Mark und mehr erobern“. Sie wären es, die Kneipp „mit ihrer Approbation gegen den Staatsanwalt schützenund „die Verantwortlichkeit für Unglücksfälle, welche durch die Kneipp'sche Wasserkurbehandlung entstanden“, übernehmen würden. Von den meisten Kneippärzten („mit dem Wörishofener Wasserdiplome ausstaffirte Herren Mediziner“) hielt Boneberger nicht viel: „Die meisten der sogenannten Kneippärzte sind oftmals Mediciner zweiter Güte, welche auf der Hochschule nicht viel gelernt haben, als praktische Ärzte keine Existenz erringen, in der Praxis Unglück gehabt haben, ...“

 

Kneipp habe es fachlich nicht im Griff, habe einen Laien zum Oberarzt gemacht, der ihn getäuscht hatte, „einen Kutscher, einen zungengewandter Pferdelenker, welcher sich für einen diplomirten Arzt ausgab, Herrn Pfarrer Kneipp täuschen konnte, so daß derselbe von ihm zum Oberarzte für Wörishofen ernannt wurde“. Prior Bonifaz Reile wird die fachliche Kompetenz abgesprochen, da er ein „ehemaliger Sattlergehilfe“ sei.

 

Kurzum: „Das durch Schilderung unwahrer Thatsachen und durch Suggestion irre gemachte und abergläubige, kranke Publikum läßt sich alles ruhig gefallen, weil es gedankenlos und blindlings Alles glaubt, was die wunderverheißende Kneippkur verspricht, trotzdem die Kneippschule die Wasserkur nur sehr stümperhaft ausübt, dieselbe zu einem Zerrbilde gemacht hat und mit der Zeit das ganze Wasserheilverfahren bei vernünftigen Laien in Mißkredit bringt.“

 

Ein guten Erfolg durch die Kneippgüsse werde – so der Verfasser – „als ein besonderes Ereigniß in allen Kneipp- und anderen Zeitungen in überschwänglicher Weise zur Kenntniß gebracht, wenn aber Hunderte von Kurgästen nicht nur ohne jede Besserung, sondern selbst mit Verschlimmerung ihres Leidens von dem Weltkurorte Abschied nehmen und die Kneippkur und alles, was drum und dran hängt, verwünschen, so wird dieses mit dem Mantel der Verschwiegenheit bedeckt.“

 

Die Kritik am System Kneipp wurde regelmäßig über Zeitungen (allen voran die „Augsburger Postzeitung“, die „Münchner Neuesten Nachrichten“ sowie die „Leipziger Volkszeitung“) verbreitet, aber auch in Buchform. (Hier folgend ggf. noch Literaturzitate.)

 

Nur ein weiteres Beispiel:
Literaturzitat:

Niemann, Clemens: Kneipp und seine ärztlichen Jünger, eine Kritik der Wassermethode. Zugleich eine Antwort auf Dr. Baumgartens Schrift über die medizinisch Berechtigung der Kneippschen Heilmethode, Verlag von Johannes Alt, Druck Gebrüder Knauer, Frankfurt a. M., 1894, 79 S.

Im vorletzten Kapitel „Praktische Brauchbarkeit des Systems“ schreibt Dr. med. Clemens Niemann auf den Seiten 74f: „Die angebliche Wirksamkeit der Kneipp‘schen Heilmethode ist in den vorigen Kapiteln genügsam beleuchtet. Wir sehen gerade an den sogenannten Paradefällen, wie falsche Diagnosen herhalten müssen, um nie dagewesene Erfolge zu konstatieren, wie Heilungen, die zweiffellos auf Rechnung anderer Faktoren zu setzen sind, kritiklos dem Wasser zugeschrieben werden. Auf solche Weise ist es freilich leicht, eine Zahl von Erfolgen zu bringen, welche die anderer Heilmethoden überragt. Wahre ärztliche Wissenschaft pflegt bescheidener aufzutreten, dafür aber präzise Diagnosen zu stellen und vor allem schafe Selbstkritik zu üben, wohl unterscheidend zwischen dem, was eigne Leistung, und dem, was nur Wirkung der gütigen Natur ist.

 

Zurück zum vorliegenden Buch: Nach der Einleitung greift Adolf Boneberger mit einem Verweis auf die Inquisition zunächst die Kirche an, erklärt die Ursache der Entstehung von Krankheiten, kritisiert dann erst den „Arzneiaberglaube der staatlichen Schulmedizin“, dann die Impfungen, („eine Vergiftung und nur dazu geeignet, Krankheit und Siechtum zu erzeugen“, „moderner Bazillenkultus“) insb. die in Bayern seit 1807 verpflichtend eingeführte Pockenschutzimpfung. Bei diesem Thema wäre er mit Sebastian Kneipp einer Meinung gewesen, denn dessen jüngere Schwester Theresia (*15.10.1822, Stephansried, 31.09.1878, Wörishofen) hatte zeitlebens unter einem Impfschaden zu leiden (Quelle: Vorträge 1890 / 1891, S. 227, „Vom Impfen“), Zitat Kneipp: Theresia „begann zu kränkeln, hatte öfter Krämpfe und war innerhalb von 7 Jahren fast immer zu Bett. Alle ärztlichen Mittel waren ohne Erfolg; es stand 13 Jahre an, bis sie sich halbwegs erholt hatte und wieder gehen und arbeiten konnte. Doch zu ihrer früheren Gesundheit ist sie nie wieder gekommen. Ein mir bekannter Arzt sagte, es sei die Kränklichkeit die Folge des Impfens und die Schwester werde einmal eines raschen Todes sterben. Und so geschah' es auch später. Eines Tages starb sie an Blutsturz. Der Giftstoff ist bei ihr ins Blut gedrungen und und hat auf's Herz gewirkt.“

 

Sinnvoll ist Bonebergers Appell, in den Schulen weniger auf religöse oder geschichtliche Inhalte zu setzen, sondern vielmehr „populäre Gesundheitspflege und Gesundheitslehre schon in höheren Klassen der Volksschule in der Stadt und auf dem Lande“ zum Unterrichtsgegenstand zu machen (vgl. S. 36 mit sehr anschaulichen Beispielen). Er schreibt außerdem ausführlich über gesunde Ernährung und Körperpflege was wiederum 1 : 1 der Kneipp‘schen Lehre zu enstprechen scheint, die es an sich schon längst gab. Was den Unterschied ausmacht, erklärt der Autor gegen Ende seines Buches wie folgt:

 

Vor dem Auftreten Kneipp's als Wasserapostel waren in Deutschland beinahe zweihundert Naturheil- und Wasserkuranstalten im Betriebe. Was also die Kneippschnle lehren will, ist alles schon längst bekannt und dagewesen, nur das Eine ist neu, daß ein katholischer Pfarrer, ein vom Staate angestellter Beamter, seine priesterliche Stellung mißbrauchte und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts durch maßlose Reklame sein ruhiges, zufriedenes Pfarrdorf zu einem internationalen Wallfahrtsort, Kur- und Rummelplatz machte, daselbst in jeder Beziehung ungesunde Zustände wie in einem kalifornischen Goldgräberdorfe schaffte und das gläubige hilfesuchende Volk im Vereine mit seinen Verwandten und Günstlingen durch seine Schablonenkuren ausbeutete und daß ein solches Thun und Treiben von den geistlichen Behörden nicht nur geduldet, sondern im ausgedehntesten Maaße unterstützt wurde.“

 

Zur Sache“ geht es vor allem ab S. 83. Vielleicht meinte Boneberger, Wörishofen ohne Kneipp könne kein dauerhafter Erfolg beschieden sein. Und so feuert er aus allen Rohren. Man spürt, dass er das Negative suchte, das Positive jedoch weitgehend ausblendet. Selbst den – für den schon recht betagten Kneipp – bewundernswerten Vortragsreisen kann der Konkurrent nichts abgewinnen: „Die Kneipp'schen Hausir- und Renommirreisen warfen ebenfalls hohe Einnahmen ab, denn die Welt ist weit, die Neugierde, das Elend und die Dummheit der Menschen allenthalben noch entsetzlich groß.“ Kneipp sprach in den größten Sälen, die es gab, vor bis zu 5000 Menschen. Nicht enden wollender Applaus, Gesten größter Wertschätzung, Geld für das Kinderasyl und die Behandlung von unbemittelten Kranken. All davon erfährt der Leser nichts.

 

Man sollte das Werk dennoch einmal gelesen haben, es ermöglicht einen anderen Blick auf Kneipp, seine Kur, auf Wörishofen und die Zeitumstände.

 

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Das Original der – durchaus raren – „Boneberger-Schmähschrift“ wurde denkenswerterweise unter Vermittlung von Kreisheimatpfleger Markus Fischer vom Heimatmuseum Mindelheim zur Verfügung gestellt und in Kooperation mit dem Markt Ottobeuren digitalisiert.

Literaturzitat:

Boneberger, Adolf: Der Kneippkur-Charlatanismus. Irrlehren und Widersprüche des Kneippsystems. Arzneimittelaberglaube der Vergangenheit und Gegenwart. Die Heilkunde der Zukunft, im Selbstverlag, Mindelheim, 1898, 180 S.

Hier nun das Buch als – weitgehende – Abschrift (s. unten; mit Formatierungen außerdem als docx und pdf). Das vollständige Original können Sie hier als textdurchsuchbares Digitalisat ebenfalls abrufen.

Abschrift, Kommentare und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 04/2021

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I.

Einleitung.

Als im Jahre 1886 die erste Auflage von dem Buche „Meine Wasserkur“, herausgegeben von Herrn Pfarrer Kneipp in Wörishofen, erschien, glaubte Verfasser in demselben etwas Neues über Naturheilverfahren zu finden, wurde aber in dieser Hoffnung gründlich getäuscht und bemerkte beim eifrigen Studiren der Schrift so viele Unrichtigkeiten, Unwahrscheinlichkeiten und Übertreibungen, daß dasselbe unbefriedigt bei Seite gelegt wurde. Ich hatte in jener Zeit Versuche gemacht, in meiner Kuranstalt das Naturheilverfahren nach dem Werke des Herrn Dr. Steinbacher in Brunnthal eiuznführen, aber das neue Buch von Pfarrer Kneipp hielt ja keinen Vergleich mit jenem Lehrbuche aus, welches die Schrott'schen und Priesnitz'schen Kuren als Grundlage hatte.

Was mir im Kneipp'schen Buche am meisten auffiel, war die Anpreisung des Kneipp'schen Wühlhuber [ein von Kneipp empfohlenes Abführmittel], „der vielen Hundert wacker beigestanden und zu wiederholtem Male in großen Quantitäten gewandert ist bis in die Schweiz und nach Ungarn.“ Mein Befremden erregte ferner „das Malefizöl,“ das Kneipp nach langem Suchen entdeckt haben will und das die Krankheitsursachen im Körper, im Blute mit scharfer Spürnase wittere und an's Tageslicht bringen soll, – das Loblied der Kneipp'schen Heilkräuter – das Hineinheilen der Krätze – die Abtreibung eines Blasensleines von der Größe einer Wallnuß! bei einem Manne!!??? – u.s.w. Diese und ähnliche Unwahrscheinlichkeiten mögen auf Selbsttäuschung beruhen und die Aufzählung der vielen Krankheitsfälle, welche das Kneippbuch ohne alle besondere Mühe leicht und sicher

II.

heilte, ließen den Zweck des Buches „die Reclame“ erkennen, welche von durchgreifender Wirkung war. Die Welt liebt das Außergewöhnliche, glaubt gerne an das Wunderbare und wer krank ist, will nichts unversucht lassen, um seine Gesundheit wieder zu erlangen. Man findet unter den chronisch Erkrankten kaum Einen, der nicht schon die eine oder andere von Laien erfundene Kur an sich probirt hätte, darum erwarb sich auch die Kneippkur, welche angeblich alle Krankheiten heilt, in Bälde zahlreiche Anhänger.

In gleichem Verhältnisse, wie sich die Kneipp'schen Reclamebücher verbreiteten, nahm die Anzahl der Kurgäste in Wörishofen zu. Bald waren sämmtliche Wohnungen besetzt, so daß besser situirte Kurgäste, welche mit den damals äußerst primitiven Wohnungs- und Verpflegungsverhältnissen nicht zufrieden sein konnten, sich gezwungen sahen, in der Umgebung von Wörishofen sich anzusiedeln.

Ein gerne gewählter Platz war das nahegelegene Städtchen Mindelheim und hier wiederum das Kurhaus Mayenbad, welches während der Sommermonate wegen seiner gesunden und hübschen Lage und freundlichen Umgebung von allen Gesellschaftskreisen mit Vorliebe besucht wurde. In Folge dessen wurde im Mayenbade die Kneipp'sche Wasserkur eingeführt und ein vom Erfinder der Kur anempfohlener Assistent [Dr. Alfred Baumgarten] angestellt, welcher die Ausführung der Kneipp'schen Ordinationen leitete. Sämmtliche Kurgäste in Mindelheim standen genau wie die Leidensgenossen in Wörishofen in persönlicher Behandlung des neuerstandenen Arztes im Talare [Seb. Kneipp]. Die Patienten besuchten alle vierzehn Tage bis drei Wochen denselben wieder und erhielten dann auf die gleiche Zeitdauer weitere Verordnungen.

Da jeder Kurgast vom Kneippbureau ein sogenanntes Kurbüchlein sich erwerben muß, in welchem Name, Stand, Wohnort, Krankengeschichte und Heilverfahren eingetragen war, so hatte ich in das gesammte Heilverfahren einen genauen Einblick und konnte an vielen Hunderten von Patienten die Art und Weise der Behandlung und deren Erfolg beobachten,

III.

den Priesterarzt und seine Jünger genau kennen lernen, und sollen die Licht- und Schattenseiten des Kneippsystemes in dieser Schrift hervorgehoben werden.

Gleichzeitig verfolgte ich in den naturärztlichen Werken von Dr. Hahn, Munde, Rausse, Canitz, Rikli, Niemeier, Winternitz, Densmore und Dr. Böhm das gesammte Naturheilverfahren und stellte Vergleiche zwischen diesen Werken und dem Kneipp'schen Heilverfahren an. Diese gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse, sowie meine eigenen medicinischen Erlebnisse, welche ich während meiner 12jährigen Thätigkeit als Apotheker im In- und Auslande mitmachte, wobei ich Gelegenheit hatte, die Therapie von Hunderten von Ärzten und verschiedene Heilsysteme kennen zu lernen, veranlassen mich, über die Kneipp'sche Wasserkur, Kneippapotheke, Arzneimittelaberglauben der alten und neuen Zeit, über die hygienischen Unterlassungssünden der Gegenwart und über die Heilkunde der Zukunft zu schreiben. Wenn hiebei auch das Kurhaus Mayenbad bekannter wird, ist mein Zweck erreicht.

Ich schließe die Einleitung mit dem Wunsche, es möge eine bessere rationellere körperliche Erziehung der Jugend augestrebt werden, es mögen hygienische Institute und Kurhäuser für das minder bemittelte Volk errichtet und ein Lehrstuhl für das Naturheilverfahren gegründet werden. Jedermann sollte mithelfen, die Lehre von der Verhütung der Krankheiten auszubreiten, denn schon der alle Prophet Sirach schreibt: „Es gibt keinen größeren Reichthum, als den Reichthum eines gesunden Körpers.“

Der Verfasser. [Adolf Boneberger, Mindelheim]

S. 11

(…)

Die Theologie verfiel in ihrem Aberglauben auf Gespenstererscheinungen, Teufelsspuk, Teufelsbeschwörungen u.s.w. Die Lehrer und Vertreter der Theologie, der Religion, waren von teuflischem Fanatismus geleitet, vergaßen in ihrem kranken unfehlbaren Wahne das Gebot der Nächstenliebe und Barmherzigkeit und wütheten in entsetzlicher und blutiger Weise mit Folter-, Kerker- und Todesstrafe Jahrhunderte lang gegen unschuldige Mitmenschen.

 

Die Inquisition, d.h. die peinliche Untersuchung zur Aufspürung und zur Bestrafung von Ketzern und Ungläubigen, war ein päpstliches Institut. Die Inquisition hatte das Recht, schon auf den Verdacht der Ketzerei Verhaftungen vorzunehmen. Mit grausamen Folterqualen, die oft härter als die Todesstrafe selbst waren, wurde dem Verhafteten ein Geständniß abgezwungen. An Strafen wurde verhängt Verlust der bürgerlichen Rechte, des Vermögens, lebenslängliche Kerkerstrafe und Todesstrafe meist auf dem Scheiterhaufen. Die Verbrennung der meistens unschuldig Verurtheilten fand gewöhnlich an kirchlichen Festtagen, die letzte anno 1781, also vor kaum etwas mehr als hundert Jahren statt.

 

In Spanien wurden im Zeitraum von 400 Jahren 32,000 Menschen durch die Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

 

Die strenge Christenverfolgung des an römischem Cäsarenwahnsinn leidenden Kaisers Nero vom Jahre 54 bis 68 nach Christus wird in religiösen Büchern mit Vorliebe angeführt, aber das himmelschreiende grausame Verfahren der heiligen Inquisition gegen die eigenen Glaubensgenossen, welches

 

S. 12

drei bis vier Jahrhunderte dauerte und Hunderttausende unschuldiger Menschen qualvoller Folter, Kerker und Todesstrafe verurtheilte, wird gerne verschwiegen, obwohl der Dominikanerprior und Generalinquisitator Thomas de Torquemada in Spanien vom Jahre 1481 bis 1498 8800 Menschen lebendig verbrennen ließ und 90,000 Menschen mit Vermögensstrafen und kirchlichen Büßungen belegte.

 

Die Justiz waltete in ihrem crassen Aberglauben in erschreckender Weise ihres Amtes. Durch Hexenprozesse und Gottesurtheile fielen Hunderte und Tausende unschuldiger Menschen dem Aberglauben und der Unwissenheit zum Opfer.

(…)

 

S. 13

(…)

Medicin. Der größte Aberglaube machte sich in der Medicin geltend. Der Aberglaube war glücklicher Weise harmloser Natur. Solange Ursache und Wirkung der Naturerscheinungen nicht bekannt waren, konnte man sich auch keine Aufklärung über die mechanischen Vorgänge im menschlichen Körper geben. Man suchte den Grund der Krankheit nicht in einer unterdrückten Thätigkeit oder falschen Stoffbildung der Organe, überhaupt nicht im Kranken selbst, sondern man hielt die Krankheit für etwas feindliches, durch Dämonen, Gespenster, Hexen, böse Geister, als Strafe Gottes u.s.w. verursacht. Man suchte durch Talismane, Amulette, Bannsprüche, Gebete u.s.w. die Kranken, Epileptischen und vom Teufel Besessenen zu heilen. (Letzte Teufelsaustreibung von Pater Aurelius zu Wemding (Bayern) anno 1893.)

 

Nicht nur Gebete und Besprechungen wurden zur Heilung von Krankheiten verwendet, sondern auch den geschriebenen Worten wurden früher Heilkräfte zugetraut und je unverständlicher nun dem Kranken die Worte erschienen, einen desto tieferen magischen Sinn vermuthete er dahinter.

 

Bei Krankheiten, Fieberkrankheiten, bei welchen der allopathische Arzt Chinin, Antipyrin oder Phenacetin verschreibt, – der Homöopath Aconit. 3. [?] verordnet und der Naturarzt das kalte Wasser anwendet, schrieb der alte Medikus nur einfach die Worte: „Abracadabra“ auf einen Zettel und ließ die Papierstückchen verschlucken, das Fieber sollte dadurch sicher vertrieben werden.

 

Kleine dreieckige Papierstückchen, aus welche einige Worte aus der Bibel von geweihter Hand geschrieben waren, wurden St. Lukaszettel genannt und von Frauen bei schweren Geburten eingenommen. Nach dem Volksglauben besitzen viele Bäume die gute Eigenschaft, die menschlichen Krankheiten in sich aufzunehmen und gelten als besonders geeignet die Fichte, Birke und Fliederbaum. Der Heilkünstler, welcher diese Krankheitsübertragung vom Menschen zum Pflanzenreiche

 

S. 14

kennt, verrichtet zuerst ein kurzes Gebet, darauf wird der Name, die Krankheitsgeschichte des Patienten auf ein Stück Papier geschrieben, ein Loch in eine Birke gebohrt, der Krankenzettel hineingeschoben und die Impf-Öffnung unter Gebet verschlossen. Die Krankheit geht nun von dem betreffenden Patienten in den Baum über, derselbe kränkelt und Patient wird gesund, wenn er daran glaubt.

 

Sympathetische Wunderkuren, Amulette, Voltakreuze, magische Worte, kabbalistische Formeln, phantastische Handlungen im verschwiegenen Dunkel der Nacht sind heute noch im Gebrauche und man trifft in manchem Bauerndorfe einen sympathetischen Wunderdoktor, welcher sich eines regen Zuspruchs erfreut. Derselbe kann den Schmerz nehmen, das Blut stillen, er vertreibt bei abnehmendem Monde alle Arten Geschwülste und Warzen und kurirt bei zunehmendem Monde, im dritten Tag Neulicht die sogenannte Schweine (Muskelschwür), vertreibt Kopfschmerz u.s.w. Der sympathetische Heilkünstler hat manchen Vortheil für sich, wenn die Heilkunst auch noch so sehr an Hokuspokus erinnert.

 

Der Patient sucht in der Regel erst dann Hilfe durch Sympathie, wenn alle bisherigen Kuren ohne Erfolg waren, der Kranke kommt in einer niedergedrückten Stimmung zu seinem sympathetischen Vertrauensmann; derselbe sagt ganz bestimmt und sicher, ich kann für das Leiden helfen, wenn du ganz und gar in deinem Innersten an die Heilkraft meiner Kur glaubst; diese und jene Patienten, die die Ärzte nicht kuriren konnten, wurden durch meine Kur gesund.

 

Alle diese Momente wirken günstig auf das Gemüth des Patienten, die Hoffnung auf Genesung erhöht die Energie der Nerventhätigkeit und vermittels der Einbildung kann das Nervenfluidum nach gewissen Organen der Ernährung und Absonderung hingeleitet werden.

 

Bei dem Gedanken an Speisen findet z.B. eine stärkere Speiseabsonderung statt – der Mund wässert. Die Idee, daß durch eine gewisse Thätigkeit ein Structurfehler ver-

 

S. 15

schwinden könne, bewirkt zuweilen, daß die dadurch stärker erregte Energie der betreffenden Organe den gewünschten Erfolg hervorbringt. Es handelt sich also bei sympathetischen Wunderkuren um Suggestion und Autosuggestion.

 

Die Wirkung mancher sympathetischer Mittel ist übrigens gar nicht sympathetisch. Jedermann weiß, wie gewöhnliches Nasenbluten gestillt wird. Man nimmt einen roten Faden, wohlgemerkt einen rothen! – und unterbindet dann recht fest den kleinen Finger – durchaus nur den Kleinen! – Nun aber lehrt die Physiologie, daß durch die Reizung eines peripherischen Nervens fast augenblicklich eine allgemeine Konstruktion der Gefäße – Arterien – des ganzen Körpers bewirkt wird. Weder die rothe Farbe, noch die Stelle der Zusammenschnürung sind von Belang; eine Brandwunde am Daumen würde den nämlichen Dienst leisten, der Faden ist aber einfacher, weniger schmerzhaft und hinterläßt keine Spuren. –

 

Alle diese wundersamen Mittel sind natürlich unwirksam wie die Arzneien der Apotheken, wenn es sich darum handelt, das Leben beliebig zu verlängern, oder unheilbare Krankheiten zu heilen. Keine Manipulation, keine Rezepte, keine magnetischen Ringe oder Voltakreuze, kein kaltes Wasser, keine Luftbäder, haben jemals das bösartige Krebsgeschwür geheilt. Um dieses Gewächs zu bekämpfen, bedarf es des Eisens oder des Feuers. –

 

Der sympathetische Aberglaube findet immer neuen Nährboden durch moderne, von anonymen Verfassern herausgegebene Bücher magisch-sympathetischen Inhaltes, die durch Kolportage und Zeituugsinserate außerordentliche Verbreitung finden, z. B. „das siebenmal versiegelte Buch der versiegelten Geheimnisse“ – oder „das siebente Buch Moses“ sind unter dem Landvolke stark verbreitet. Als Proben der in diesen Büchern empfohlenen Rezepte seien drei genannt:

Gegen Fieber: Stecke eine Kreuzspinne in eine Nuß, hänge sie dem Patienten um den Hals, doch darf er nicht wissen, was in der Nuß ist.

 

S. 16

Gegen Lungenschwindsucht: Nimm morgens nüchtern oder abends beim Schlafengehen eine Messerspitze voll Sägmehl in Branntwein; das Sägmehl muß von einer Esche gewonnen sein, deren Rinde bei Sonnenaufgang und bei zunehmendem Monde mit einem Messer geritzt wurde.

 

Gegen Gewächse und Warzen: Gehe in die Kirche; wenn du dort 2 Personen miteinander sprechen siehst, so sage, indem Du Gewächs oder Warze berührst: „Was ich sehe, sich winde! Was ich greife, verschwinde! Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes, des hl. Geistes Amen.“

 

Scheinbar zeigt sich nun oftmals auf eine sympathetische Besprechung der Warzen ein Erfolg, derselbe hat jedoch seinen Grund in der Selbstheilung, denn oftmals verschwinden die Hautwarzen plötzlich durch Einschrumpfung und Vertrocknung ihres inneren Gewebes von selbst.

 

Ein anderer Aberglaube bestand darin, daß man die Arzneimittel nicht nach ihrer eigentlichen Wirkung, sondern nach ihrer sympathetischen Beziehung zu den Kranken und dessen Krankheit wählte; z.B. die Blätter des Leberblümchens (Hepatica triloba) haben die Form und auf der unteren Seite die Farbe der Leber, deßhalb galt das Leberblümlein als ein vortreffliches Mittel gegen Leberleiden. Der Natterkopf (Echium vulgare), – mit einer dem Kopfe der Natter ähnlichen Blume, – galt deßhalb für ein sicheres Mittel gegen Schlangenbiß.

Das Johanniskraut (Hypericum perferatum) enthält einen harzartigen rothen Farbstoff, vom Volke Johannisblut geheißen; es galt deshalb als Heilmittel bei Blutspucken, Bluthusten und wurde auch gegen Lungenleiden viel angewendet. Das Schöllkraut (Chelidonium majus) galt früher als Heilmittel gegen Gelbsucht, weil der frische Milchsaft des Krautes eine gelbe Farbe besitzt. Alte Arznei- und Kräuterbücher, welche über die oft nicht vorhandenen Heilkräfte der Pflanzen- und Thierwelt unglaubliche Dinge erzählen, helfen mit, den Arzneiaberglauben zu verbreiten.

 

S. 17

Über den Werth der Arzneimittel gegen innerliche Krankheiten gehen zur Zeit die Anschauungen von Ärzten und Sachverständigen sehr auseinander. Es gibt eine Menge Krankheitsformen, gegen welche alle vorhandenen Arzneimittel erfolglos sind oder durch letztere nur vorübergehend einzelne Krankheitssymptome gemildert werden. In den allermeisten Fällen, in denen durch Arzneimittel eine anscheinende Besserung hervor gerufen wird, leidet der Gesammtorganismus unter der Nebenwirkung der Medikamente.

 

Der Genuß von Sennesblätter, Bittersalz, Schlehenblüthe, Aloe, Rhabarber u.s.w. verursacht wohl Leibesöffnung, aber nur durch eine krankhafte Reizung und Schädigung des Magens und Darmkanales als Nebenwirkung.

Opium lindert viele Schmerzen, aber es betäubt gleichzeitig das Gehirn, verursacht daselbst Blutstauung und schwächt die Nerven.

Digitalis (Fingerhutkraut) vermindert wohl die Herzschläge um zehn bis fünfzehn in der Minute, schädigt aber gleichzeitig den Magen, das Gehirn, regulirt aber nicht den bestehenden Herzfehler.

Bromkalium hemmt die Entladung epileptischer Anfälle für eine beschränkte Zeit, entfernt aber nicht die krankhaften Vorgänge im Centralnervensystem, welche ihre Entstehung veranlassen. Alcohol in gemessener Gabe erregt vorübergehend die Thätigkeit des Gehirns, des Herzens, heilt aber nicht einen einzigen pathologischen Zustand, dessen Vorhandensein die Alcoholdarreichung nothwendig machte.

Morphium bändigt die Schmerzen der Neuralgie, hebt aber nicht die demselben zu Grunde liegende Veränderung auf. Es ist keine Heilung von Verdauungsleiden zu nennen, wenn man gegen Sodbrennen und Magensäure täglich Natron oder Magnesia und gegen Verstopfung täglich Abführmittel nehmen und dabei ängstlich abwägen muß, was man essen und was man nicht essen darf. Von Verdaunngsleiden ist nur der geheilt, dessen schlaffer nicht genügend arbeitender

 

S. 18

Magen- und Darmkanal durch Förderung der Blutcirculation daselbst, durch Anregung der Magen- und Darmmuskulatur (durch ableitende feuchte Leibumschläge, Unterleibsmassage) zur normalen Thätigkeit gebracht ist.

 

Es ist keine Heilung von Rheumatismus zu nennen, wenn der Kranke durch Salicylsäure schmerzfrei geworden ist und sich wieder bewegen kann, sich aber ängstlich vor jedem Luftzuge hüten muß, bei nächster Gelegenheit wieder einen rheumatischen Anfall bekommt und durch Genuß der Salicylsäure Ohrensausen und Verdauungsstörungen als Nebenkrankheit erworben hat. Wohl aber ist ein Kranker von Rheumatismus und Gicht geheilt, wenn durch Wicklungen, Schwitzbäder, die von kräftigen Abkühlungsbädern gefolgt waren, die in seinem Körper abnormen Stoffwechselprodukte (Harnsäure, Salze) ausgeschieden, durch Abhärtung der Körper widerstandsfähig gemacht worden ist und der geheilte Patient ein bewegliches diätetisches Leben führt. –

 

Diese gleichzeitig nützliche und schädliche Wirkung der Medikamente hat die lobenswerthe Anschauung der Praktiker veranlaßt, welche lautet: „Je weniger Medikamente ein Arzt verschreibt, desto größer ist seine Befähigung zur Praxis.“ — oder „Wer seine Materia medica nicht auf einen Fingernagel schreiben kann, ist kein rationeller Arzt.“ d.h., je weniger Medikamente, desto gründlicher und allgemeiner müssen die hygienischen, diätetischen und prophylaktischen Anordnungen getroffen werden.

 

Daß die zahlreichen Schätze und Heilmittel der allopathischen Apotheke größtentheils überflüssig sind, beweist schlagend die Homöopathie mit ihren großen Verdünnungen, Verreibungen und Hochpotenzen, der Homöopath verordnet seine unschuldigen Wassermixturen, suggerirt dem Kranken, daß dieselben wirksam sind, verordnet eine entsprechende Diät, gönnt dem Patienten Ruhe, Schonung und Erholung und bringt denselben auf diese Weise zur Genesung. Die direkte

 

S. 19

Heilwirkung der homöopathischen Medikamente, in welchen sich weder chemisch noch physikalisch eine Spur der Urtinktur, des wirkenden Agens, Nachweisen läßt, ist daher völlig illusorisch und erreicht der Aberglaube und die Macht der Einbildung die höchste Stufe in der „Graf Mathäi'schen Elektrohomöopathie“. Kein größerer Humbug als die blaue Elektrizität ist noch niemals erfunden worden und noch niemals wurde das leidende Publikum auf eine solch lächerliche Weise geprellt. Es gibt heute noch eine Menge Patienten, Hypochonder, meistens den besseren Ständen angehörend, welche gerne das ganze Jahr an sich selber herumkuriren und glauben, daß sie nur durch die Mathäi'schen Wundermittel noch am Leben sind.

 

Wie entstehen Krankheiten und auf welche Weise werden dieselben behandelt?

Eine Reihe von chronischen Krankheiten entsteht durch verlangsamten Stoffwechsel, oder wenn die Ausscheidung der Stoffwechselprodukte nicht glatt erfolgt. In Folge dessen kommt es zu Anhäufungen von Zerfallsprodukten, der Körper wird mehr oder weniger mit Autotoxinen (Selbstgiften) geladen. Meist handelt es sich dabei um Säurevergiftung; Blut, Gewebe, Säfte, verlieren ihre normale Alkalescenz. Die Zellen können nur in alkalischen Medien normal funktioniren und besonders Krankheitserregern widerstehen. Die meisten chronischen Krankheiten wie Gicht, Zuckerharnruhr, Rheuma, Neuralgien, Basedow'sche Krankheit u.s.w. sind direkt auf mangelhaften Stoffwechsel, auf Selbstvergiftung, zurückzuführen.

 

Viele Krankheiten entstehen ferner durch schlechte Wohnungsverhältnisse, z.B. feuchte Zimmer. Die Hauptnachtheile feuchter Wohnräume bestehen nicht in der Nässe an sich, sondern in der durch sie verursachten Beeinträchtigung der Ventilation. Die feinen Poren der Wände werden durch das Wasser mehr oder weniger verschlossen, dabei wird einseitig Kälte ausgestrahlt, die wieder Zugluft hervorbringt, welche den Grund bildet zu Erkältungskrankheiten aller Art.

Katarrhe der Bronchien und Lunge, Disposition zu

 

S. 20

Erkrankung infektiöser Natur, Tuberkulose und eine Verkürzung der Lebensdauer ist in feuchten Wohnungen statistisch nachgewiesen.

 

Eine grosse Anzahl von Krankheiten wird veranlaßt durch mangelhafte und unpassende Nahrung oder durch Überfütterung. So verursacht einseitige Fleischkost verschiedene Krankheiten, weil durch dieselbe eine Anhäufung von Kalisalzen und Ptomainen (Leichengift) im Körper verursacht wird; werden dieselben nur unvollkommen ausgeschieden, so entstehen Nierenleiden, Gicht und Rheumatismus. Mangel an Eisen im Blute verursacht Bleichsucht, Mangel an Kalk und Phosphor befördert Rachitis und Knochenerkrankung, übermäßiger Salzgenuß erzeugt Scorbut. Wer sich in einer sumpfigen Gegend niederläßt, erkrankt an Wechselfieber (Malaria), wer in einer ungesunden Stadt wohnt, erkrankt an Typhus, der Verweichlichte wird von Erkältungskrankheiten heimgesucht; wer bei seiner Arbeit sich fortwährend im Zimmer aufhält, viel sitzt, sich wenig Bewegung macht in frischer Luft und dabei eine phosphatreiche Ernährung hat, bewirkt eine Verfettung von Leber, Nieren und Herz und wird Hypochonder und Hämorhoidarier.

 

Reichlicher Genuß von Bier, Wein, Spirituosen, Gewürzen, Tabak erzeugt Nervosität, Nierenerkrankung, Herz- und Leberleiden, Magenleiden, Fettsucht und Disposition für Schlaganfall; wer sich in geschlechtlicher Beziehung grobe Ausschreitungen erlaubt, wird mit Nervenleiden, Neurasthenie, Hysterie, Syphilis, Rückenmarksleiden, Lamheit und Blindheit gestraft.

 

Das Geschöpf, das falsch lebt, wird früh zerstört!“ (Göthe) [Goethe]. Um die verlorene Gesundheit wieder zu erlangen, wird man also stets zuerst die Krankheitsursachen entfernen müssen, darum ist der Werth der Arzneimittel oftmals ein sehr geringer. Wer glaubt, man könne für die gegen die Gesundheitsregeln

 

S. 21

begangenen Sünden beim Arzte einen Ablaßzettel lösen, oder wer da glaubt, man könne die Gesundheit eßlöffelweise aus der Apotheke beziehen, ist in einem gewaltigen Irrthume. Nicht durch Chemikalien und Apothekerwaaren, sondern einzig durch eine vernünftige, nicht einseitige Naturheilkur, welche alle Naturheilfaktoren, welche die Natur bietet, anwendet, werden Krankheiten geheilt und durch eine rationelle Lebensweise werden Krankheiten verhütet.

[Das hätte Kneipp sicherlich auch unterschrieben!]

 

Der Arzneiaberglaube der staatlichen Schulmedizin ist in vielen Fällen ein Irrthum und durch denselben wird das Volk vielfach an Gesundheit und Vermögen geschädigt.

 

Während im grauen Alterthume der Alchemist das Pflanzenreich, das Mineralreich und selbst die Eingeweide und Drüsenorgane der Thiere durchsuchte und durchwühlte, zahllose Präparate der anorganischen Chemie in raffinirtester Weise combinirte, um den Stein des Weisen zu entdecken, um durch denselben Reichthum, Gesundheit, Unsterblichkeit, Macht und Ansehen zu erlangen, so haben wir auch heute noch wie vor 1000 Jahren dasselbe Suchen und Forschen nach neuen Heilmitteln.

 

Obwohl die heutige Chemie noch nicht einmal mit dem chemischen Aufbau des Eiweißes völlig bekannt ist, so verwendet die Medizin dennoch völlig unbekannte giftige Stoffe, Antitoxine, Alexine innerlich als Heilmittel an. – Wir leben heute im Zeitalter der Bakteriologie und stehen in der Blüthe der medizinisch-chemischen Industrie. Die Anilinfarbenfabriken liefern uns die neuen Heilmittel; gegenwärtig feiert der Theer und seine Produkte die größten Scheintriumphe auf medizinischem Gebiete.

 

Der rezeptverschreibende Arzt und der dispensirende Apotheker sind zu mechanischen Handlangern der modernen organischen Chemie geworden; dieselben kennen die neuen Patentheilmittel oft kaum dem vereinfachten Namen nach und ist denselben die Herstellung, die chemische Zusammensetzung und Formel eine unbekannte Größe. Eine Masse solcher Patentheilmittel werden von Medizinern als neueste und zuverlässigste Heilmittel eingeführt und in den Himmel gehoben,

 

S. 22

nachdem vielleicht an einem Dutzend Kaninchen, Meerschweinchen, Hunden, Schafen und Eseln und in der Armenpraxis und Krankenhäusern einige Versuche und Experimente ausgeführt wurden.

 

Solche neue Präparate schießen wie Pilze aus der Erde hervor und verschwinden ebenso rasch wieder von der Bildfläche, nachdem in kurzer Zeit ihre Unbrauchbarkeit oder Schädlichkeit erwiesen ist und nachdem der leichtgläubige, arzneimittelsüchtige Arzt betrogen und der vertrauensselige Patient an seiner Gesundheit geschädigt ist.

 

Die medizinischen Wissenschaften Anatomie, Pathologie, Physiologie, Chirurgie u.s.w. stehen auf hoher Stufe, aber der wirkliche Fortschritt in der Therapie, in der innerlichen Heilkunst, besteht heute noch im Probiren neuerfundener Heilmittel und ist der Patient heute noch wie vor 1000 Jahren Versuchsobjekt für neue chemische Arzneimittel wie im grauen Alterthume.

 

Jetzt schon steht ein Theil der Ärzte diesen ewig neu auftauchenden Heilmitteln mit ihrem Eintagsfliegenschicksal mißtrauisch gegenüber und bekämpft die empirische, auf Autorität und Majorität sich stützende Richtung der medizinischen Wissenschaft; es scheint, daß ein anderer Geist sich Bahn bricht.

 

Nach dem Fiasko des Tuberkulins, des Heilserums u.s.w. beginnt sich ein Zweifel zu verbreiten; wiederholen sich solche Mißgriffe, so wird der Nihilismus in der Therapie immer weitere Kreise erfassen und man wird zu der Krankheitsverhütung, Diät und im allgemeinen Naturheilverfahren den einzigen Weg zur Gesundheit finden.

 

Die bakteriologischen Forschungen und deren Resultate waren die Folge, daß man mit den älteren Medikamenten aufräumte, man suchte nach antiseptischen Mitteln, um die allerorts auftauchende Bazillenbrut zu vernichten. Man hielt allgemein die entdeckten Mikroben als die Krankheitserreger und glaubte sie durch spezifische Antiseptica unschädlich machen zu können. Heute gilt der Grundsatz:

 

S. 23

Was man nicht im Mikroskope sieht, was nicht auf der Nährgelatine wächst und was der Thierversuch nicht nachweist, das existirt für einen sehr großen Theit des jüngeren Arztgeschlechtes überhaupt nicht.“

 

Die Bazillen allein sind Folge, nicht Ursache der Krankheit und nicht immer im Stande, eine Krankheit zu erzeugen, denn wäre dies der Fall, so müßten sämmtliche Menschen beständig krank sein, weil es in der Natur überall Bazillen gibt, welche bei Gährung, Fäulniß und Zersetzungsprozessen eine wichtige Rolle spielen.

 

Bei einem gesunden Menschen sind die Krankheitserreger, welche mit der Nahrung oder dem Athmungsprozesse in das Körperinnere gelangen, nicht fähig, festen Fuß zu fassen und sich zu vermehren, sie sterben wieder ab, wenn sie nicht den geeigneten Nährboden finden. Dagegen können Bazillen eine Krankheit herbeiführen bei blutarmen schwächlichen Individuen, welche an einer mangelhaften Verdauung oder chronischem Magenkatarrh leiden.

 

Alle neueren antiseptischen Mittel sowohl zum innerlichen als äußerlichen Gebrauche sind Giftstoffe, für welche der menschliche Organismus weit empfindlicher ist, als es die Mikroben sind, welche sie zerstören sollen.

 

Die medizinische Wissenschaft betrachtete als erste große antiseptische Entdeckung „die Salicylsäure“. (…)

 

S. 28

(…)

Noch unappetitlicher und abscheulicher als die Chemiker mit ihren neuen Heilmitteln sind die Isopathen, welche Krankheiten mit Krankheitsstoffen (Eiter-Giften) heilen wollen. Hieher gehören die von Jenner erfundene Schutzpockenimpfung, welche der Staat zum Gesetze erhoben hat, die Pasteur'sche Impfung gegen Hundswuth [Tollwut] und Wasserscheu, die Koch'sche Impfung gegen Lungenschwindsucht und Krebs und das Behring'sche Heilserum gegen Diphtherie. Diese Herren Forscher heißen ihr Präparat Lymphe oder Serum, welche eckelhafte, giftige, kranke Stoffwechselprodukte sind. Jenner erzeugt seine Lymphe aus dem Blatternausschlage erkrankter Rinder (Kuhpocken), Pasteur wählte den giftigen Geifer eines wuthkranken Hundes, Koch präparirte sein Heilmittel Tuberkulin aus dem giftigen Auswurfe eines lungenschwindsüchtigen Menschen und endlich Behring läßt systematisch Pferde mit Dyphtheriegift vergiften und benützt das den lebenden Thieren abgezapfte Blutwasser, Serum. Diese eckelhaften und giftigen Präparate gelten nach Auffassung ihrer Erfinder als Heilmittel und werden den

 

S. 29

Kranken direkt in die Blutbahn eingeimpft. Jede Impfung dieser Art ist eine Vergiftung und nur dazu geeignet, Krankheit und Siechtum zu erzeugen. Wäre die Impftheorie richtig, so müßte der Mensch das eineinal gegen Typhus, das andermal gegen Cholera, gegen Tuberkulose, gegen Schlangenbiß, gegen Milzbrand u.s.w., geimpft werden. Ob die Schutzpockenimpfung die Gefahr der Blatternepidemien gemildert hat, ist sehr fraglich und nicht erwiesen; während einer Blatternepidemie erkranken Geimpfte und Ungeimpfte. Aber daß tausende von Kindern in Folge der Impfung erkranken und daß durch die Impfnadel sehr oft der Grund zu chronischen Leiden aller Art, zu Syphilis, Skropheln, Flechten, Krebs, Schwindsucht und Blindheit gelegt wird, ist allgemein bekannt. [Das wird damals sicherlich so zugetroffen haben, die Weiterentwicklung des Impfwesens oder den Nutzen einer Welt frei von Pocken hat Boneberger nicht vorhergesehen.]

 

Hoffentlich wird es in nicht zu ferner Zeit jenen Menschenfreunden gelingen, welche mit vereinten Kräften zur Bekämpfung des Impfaberglaubens wirken, diesen bald auszurotten.

 

Die Pasteur'sche Impfung gegen Hundswuth und Wasserscheu[hier: Tollwut] hat bisher nur Mißerfolge zu verzeichnen. Die Koch'sche Bazillenlehre über Cholera und Tuberkulose hat sich als falsche Theorie erwiesen, trotzdem in tausenden von Zeitungen die Koch'sche Lymphe als epochemachende Erfindung von ungeheurer Wichtigkeit beschrieben wurde. Die gesammte Welt gerieth ob des weittragenden Wundermittels in große Aufregung; die ersten Autoritäten der Medicin beeilten sich aus weitester Ferne in Schaaren nach Berlin zu reisen, um so rasch als möglich dieses wunderwirkende Heilmittel kennenzulernen, da ein hochfliegender Enthusiasmus die Gesammtheit der deutschen Ärzte mit fortgerissen hatte. Der preußische Staat und Großkapitalisten erboten sich, Millionen zur Verfügung zu stellen, um Koch'sche Lymphenfabriken und Heilanstalten zn gründen. Kranke aller Art, namentlich wohlhabende Lungenkranke, verließen mitten im Winter die warmen und sonnigen Gefilde an der Riviera, um sich in Berlin rasch Tuberkulin und damit Gesundheit einimpfen zu lassen.

 

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Doch der Koch-Taumel nahm ein jähes Ende, da sehr viele Patienten, welche die Koch'sche Lymphe an sich versuchen ließen, an diesem Experimente zu Grunde gingen. Die Koch'sche Lymphe hat sich nicht als Heilmittel, sondern als tödtliches Gift erwiesen. Deutsche medicinische Wissenschaft, deutscher Forschereifer und preußische Unfehlbarkeit führte zu diesem schrecklichen Abgründe.

(…)

 

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(…)

Viele verheerende Volksseuchen, welche in früheren Jahrhunderten die Völker dezimirten, sind ohne Impfung verschwunden, da die hygienischen und allgemeinen Verhältnisse sich gebessert haben. Besonders in großen Städten verbesserte sich der Gesundheitszustand und das Sterblichkeitsverhältniß der Einwohner durch Einführung der Kanalisation und Beseitigung der Abfallstoffe, ferner durch bessere Wasserversorgung, weitläufigere Bauart, überhaupt durch sanitäre Maßregeln verschiedener Art wurden die hygienischen Verhältnisse auf eine vorher nicht gekannte Stufe gehoben. In der Riesenstadt London starben zur Zeit der Königin Elisabeth 1533 - 1603 von eintausend Menschen jährlich 42, während im Jahre 1846 sich diese Zahl ans 25 und im Jahre 1891 auf 19 verminderte.

 

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In Berlin sank nach der Kanalisirung 1876 bis 1885 die Sterblichkeit von 29 ans 24, namentlich ging der Tod an Typhus von 4% aller Gestorbenen aus 0,8% im Jahre 1885 zurück.

 

München war in früheren Jahrzehnten allgemein als ungesunde Stadt verschrieen, da namentlich der Unterleibstyphus zahlreiche Opfer forderte. In den fünfziger Jahren [1850er Jahren] starben zwanzigmal mehr Personen an Typhus als in den achtziger Jahren. Durch allgemeine Kanalisation und Erbauung eines Schlachthauses mit Viehhof, durch Anlage einer neuen Wasserleitung, wurde München zu einer gesunden Stadt.

Aber auch das Naturheilverfahren, „die Wasserkur“, hat unendlich viel dazu beigetragen, die schweren Erkrankungen zu mildern und Todesfälle der Typhuskranken auf einen geringeren Prozentsatz herabzusetzen.

 

In der Ohnmacht und Rathlosigkeit der medicinischen Wissenschaft war es ein bayerischer Arzt, Herr Dr. [Ernst] Brand in Stettin, welcher als Typhusheilmittel das kalte Bad eingeführt hatte und damit die Typhussterblichkeit von 25% auf 5% verringerte.

Wenn aber das kalte Wasser bei einer Infektionskrankheit als Arzneimittel die herrlichsten Resultate zeigt, so ist es nur folgerichtig, daß die Medicin dieses probate Mittel auch bei den übrigen Fieberkrankheiten in Anwendung bringen sollte. –

 

Ähnliche Beobachtungen, wie in München etc., sind in fast allen Städten gemacht worden, welche in der letzten Zeit durch Kanalisirung ihre Gesundheitsverhältnisse nicht nur in Bezug auf den mit Boden und Grundwasser eng zusammenhängenden Typhus, sondern auch bezüglich aller ansteckenden und epidemischen Krankheiten verbesserten.

 

Im Mittelalter dagegen waren die Städte eng gebaut, schlecht oder gar nicht gepflastert, starrten von Schmutz und Uurath, erfüllten die Luft mit Leichendunst, da die Gestorbenen in den Kirchen beigesetzt oder auf dem Kirchhof inmitten der Stadt begraben wurden. Deßhalb richteten Epidemien

 

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geradezu unglaubliche Verheerungen unter der Bevölkerung an. So hat in London die jetzt ganz verschwundene Pest in den Jahren 1592, 1597, 1603, 1625, 1636, jedesmal die Hälfte bis zwei Drittel der Einwohner hinweggerafft. Zwischen den Jahren 1300 und 1500 starben in Wien auf einmal 70,000, in London 80,000, in Köln 40,000, in Konstantinopel sogar 334,000 Menschen!

 

Man weiß ferner aus Erfahrung, daß viele Volksseuchen wie Blattern, Typhus, Ruhr, Cholera, Pest u.s.w. in der Regel nur im Gefolge von Hungersnoth, Kriegselend und damit verbundenen Schädlichkeiten und Nachtheilen, Furcht, Angst und Noth verheerend auftreten und zuerst die ärmliche darbende Bevölkerung dahinraffen, welchen die Mittel fehlen, sich eine nahrhafte kräftige Kost und damit ein gesundes widerstandsfähiges Blut zu schaffen.

 

Im Hinblicke auf die geschilderten Mißerfolge der Impftheorie hat die leidende Menschheit mit Recht ein Vorurtheil gegen die extreme Richtung der rezeptverschreibenden und impfenden Heilkunst auf die Bakteriologie. Keine Heilmethode und Heilmittellehre ist bisher auf solche Abwege gerathen, wie die Schulmedizin mit ihren neuen innerlichen Mitteln der Tuberkulin- und Serum-Therapie und zwar in dem Augenblicke, wo sie auf dem Gipfel ihrer Leistungen angelangt zu sein vermeint. Sie ist auf diese Irrwege gerathen durch den modernen Bazillenkultus und liefert damit den Beweis, daß die Heilkunst (Therapie) eine Sammlung ist von gelehrten Systemen, welche einander ablösen, verschwinden und für die praktische Heilkunst oft geringen Werth haben. Darum ist ein allgemeines Mißtrauen gegen Medikamente entstanden und selbst harmlose Präparate und Vegetabilien, welche sich oftmals nützlich zeigten, werden nicht mehr geschätzt. Man kommt immer weiter ab von den einfachen Grundsätzen natürlicher Heilweise, die begründet ist auf die natürliche Fähigkeit des Organismus, sich im Kampfe ums Dasein zu behaupten. Die wahre Medizin, die wirkliche Heilkunst, ist gar nicht eine so unzugängliche und unverständliche Wissenschaft, wie im Interesse des Nimbus [besonderes Ansehen, Ruhm] daraus zu machen versucht wird.

 

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Schon Aristoteles verlangt, daß alle Wissenschaft, welche auf Ausübung abzielt, mehr eine volksthümliche als schulgemäße Behandlung erfahren müsse. Die Heilkunde muß sich daher den Fesseln der Scholastik entwinden, die Professor Jäger an die Worte kleidet: „Die Heilkunde muß wieder eine freie Kunst werden, wie es die bildende Kunst stets ist und war, dann werden wir eine Renaissance derselben erleben.“

 

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Die Heilkunde der Zukunft.

Die geistige Erziehung und Ausbildung der Jugend hat der Staat übernommen und durch Gesetze geregelt. Für den Schul- und Religionsunterricht, für die moralische Erziehung, auf die Sorge für das Seelenheil, für das Wohlergehen im Jenseits, zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung wird sehr viel Mühe, Arbeit, Zeit und Kapital verwendet, – aber ein ebenso wichtiger Punkt, die körperliche Jugenderziehung, die rationelle Gesundheitspflege, die Lehre von der Verhütung der Krankheiten wird sehr stiefmütterlich behandelt, – trotzdem inan behauptet: „Gesundheit ist das höchste Gut des Menschen“.

 

Der Staat hat aber im eigensten Interesse nicht nur für die geistige Ausbildung, sondern auch für die körperliche Jugenderziehung einzutreten, dieselbe nicht wie bisher als Nebensache, sondern als Hauptsache zu betrachten. Durch möglichste Ausbildung nnd Abhärtung des Körpers sollte man suchen, der Degeneration eine Regeneration entgegenznsetzen und dieselbe durch die Reform der Erziehung anstreben.

 

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(…)

In der Volksschule werden wir gezwungen, die Eigenschaften Gottes auswendig zu lernen, wir müssen wissen, wie es dem Daniel in der Löwengrube ergangen ist, man hält es für wichtig, die Mantelgeschichte von Josef und Putivar[Potivar] dem kindlichen Gemüthe einzuprägen, man lehrt uns, wann und wie lange Karl der Große regiert hat, wann die Hunnenschlacht auf dem Lechfelde ober die Schlacht bei Gammelsdorf stattgefunden hat, wie die bedeutenden Flüsse in Südamerika heißen, wo die Malediv'schen und Lakediv'schen Inseln liegen u.s.w. – aber die einfachsten Vorgänge im menschlichen Körper, in gesunden und kranken Tagen, die einfachsten Gesundheitsregeln und Verhaltungsmaßregeln bei Unwohlsein, Kraukheits- und Unglücksfällen, sind unbekannt und werden weder in der Volksschule, noch an höheren Lehranstalten in das Lehrprogramm aufgenommen. Populäre Gesundheitspflege und Gesundheitslehre sollte schon in höheren Klassen der Volksschule in der Stadt und auf dem Lande Unterrichtsgegenstand sein und in allen

 

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Volksschichten sollte eine rationelle Lebensweise, Körperpflege, Abhärtung und eine einfache kräftige Ernährungsweise angestrebt werden, um Krankheiten und Krankheitsanlagen zu verhüten und den Menschen kräftig, gesund und widerstandsfähig zu erziehen, da wir im Zeitalter der Nervosität leben. Wir stehen in unserer hochgerühmten Zivilisation in der tiefsten Unwissenheit in einem sehr wichtigen Gebiete, in der Lehre von der Verhütung der Krankheiten. – An falscher Lebensweise, unrichtiger Ernährung, Verweichlichung, Entnervung, Genußsucht und Schwelgerei, sind die größten und mächtigsten Völkerschaften, welche auf hoher Kulturstufe standen, zu Grunde gegangen. Sie wurden von den naturgemäß lebenden, bedürfnißlosen und abgehärteten Barbaren vernichtet und nur noch kärgliche Überreste ihrer bisher unerreichten Baudenkmäler lassen uns ahnen, auf welch hoher Kulturstufe die untergegangenen Völker angelangt waren.

 

Darum zurück zur einfachen natürlichen Lebensweise, Abhärtung und Körperpflege, sonst wird auch die germanische Race [Rasse] im Kampfe ums Dasein unterliegen. – Die in allen Gesellschaftskreisen in erschreckendem Maaße auftretende Nervosität, der jährlich sich steigernde Prozentsatz zum Militärdienst untauglicher junger Männer, liefern den besten Beweis, daß ein Theil der deutschen Nation auf einem – wenn auch langsamen – Niedergange begriffen ist und lehrt uns, daß unsere jetzige Erziehung, Ernährung und Lebensweise nicht dazu angethan ist, ein gesundes, kräftiges und widerstandsfähiges Volk hervorzubringen.

 

Das alte römische Recht wird gegenwärtig noch an Universitäten dem angehenden Juristen gelesen, die Pandekten sind heute noch mustergiltig [mustergültig] und man könnte gewiß auch Nutzen ziehen, wenn man das Gute der alten römischen und spartanischen Jugenderziehung, unseren Verhältnissen angepaßt, einführen und an allen Schulen Turn-, Spiel- und Badeplätze, für jede Jahreszeit benützbar, anschaffen würde. Man sollte bestrebt sein, ein deutsch-nationales Olympia auszurichten und die Volks- und Jugendspiele zu wahren Volksfesten zu gestalten.

 

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Reform der Ernährung.

Die rationelle Ernahrung des Volkes ist die erste Forderung der Hygiene, denn zweckmäßige Nahrung macht denKörper kräftig, widerstandsfähig und vermindert die Gefahr der Erkrankung.“

 

Unsere Gelehrten behaupten, durch wissenschaftliche Untersuchungen und Forschungen herausgefunden zu haben, daß ein erwachsener Mensch zu seinem Bestande täglich circa 120 Gramm Eiweiß, 50 Gramm Fett und 500 Gramm Kohlenhydrate nothwendig habe. Weder das Fleisch der Thiere, weder Getreidearten, weder Hülsenfrüchte noch Blattgemüse oder Obst haben einzeln in sich obige Zusammenstellung von Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten und schon in frühesten Zeiten suchte der Mensch instinktiv seine Nahrung im Thierreiche und im Pflanzenreiche und hat sich die gemischte Kost aus eiweißreichem Fleische, nährsalzreichen Gemüse- und Getreidearten, welche reich an Kohlenhydraten (Stärkmehl) sind, am besten bewährt.

 

Aus der aufgenommenen Nahrung bildet sich das Blut, baut sich der Körper auf, darum wird auch eine unrichtige, oder falsche Zusammenstellung der Nährmittel eine mangelhafte Ernährung und damit eine schwächliche Constitution erzeugen und zu Krankheit disponiren. Deßhalb ist die richtige diätetische Ernährung von unendlich großem Werthe.

 

Leider werden aus Unkenntniß, Unwissenheit und Gleichgiltigkeit in den niederen Volksschichten große Fehler in der Art und Weise der Ernährung gemacht. Auf dem Laude und in ländlichen Hausindustriebezirken bildet die Kartoffel das Hauptnahrungsmittel. Kartoffeln enthalten 70 - 80% Wasser, 20% Stärkmehl und nur 1 bis 2 Prozent Eiweißstoff und sind in Folge ihrer Bestandtheile nicht geeignet, als ausschließliche Nahrung zu dienen. Außerdem fehlen den Kartoffeln die Nährsalze Natron, Kalk und Eisenoxyd. Ein erwachsener arbeitender Mensch müßte, um die zu seinem Bestände nothwendigen stickstoffhaltigen Nahrungsstoffe (Eiweiß) aus den Kartoffel zu beziehen, täglich wenigstens zehn Pfund hievon verzehren, würde aber hiebei

 

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durch das in den Kartoffeln gleichzeitig vorhandene Stärkmehl den Magen überlasten. Darum war es auf dem Lande allgemein gebräuchlich, zu den Kartoffeln in der Schaale Butter, Buttermilch, gestockte Milch, süße Milch, zu genießen; in dieser Verbindung war die Kartoffel ein wirkliches Volksnahrungsmittel.

 

Die Milch, dieses unersetzliche, ungemein nahrhafte, fett- und eiweißreiche Nahrungsmittel, verschwindet leider immer mehr und mehr vom Tische der Landleute, sie wird in die allerorts aufgebauten Genossenschaftskäsereien geliefert und dafür das sogenannte flüssige Brod, das Bier eingetauscht. Mit der Milch verschwindet gleichzeitig die frische und ungekochte Butter, das gute Kochfett aus der ländlichen Küche und theure, schlechte Surrogate, wie Margarine, Nierenfett, ungarisches und amerikanisches Schweinefett, welches oftmals künstlich hergestellt wird, verschlechtern die allgemeine Volksnahrung. Kartoffel und Bier, statt Kartoffel und Milch, führen zur Degeneration und die Käseküche wird zum Fluche für die Dorfbewohner. –

 

Nur durch ein gesundes, nahrhaftes Mehl und Brod [Brot], welches den ganzen Gehalt des Kornes enthält, kann sich das Volk richtig ernähren und ein kräftiger Volksschlag erhalten bleiben. Wenn das Brod aus nicht zu fein gebeuteltem Mehle hergestellt ist, so enthält es die zur menschlichen Ernährung wichtigen blut- und gewebebildenden Eiweißstoffe, sowie die nothwendige Menge Nährsalz. Weißes Brod und seine Bäckereien aus Kunstmehl sind arm an Eiweißstoffen und Nährsalz, sind mehr Luxusartikel für den Tisch der Reichen, welche die im Weißbrod fehlenden Nährsalze durch Kalbsbraten, Wildpret, Geflügel u.s.w. ersetzen können. Das Schwarzbrod des Bauern entspricht selten den Anforderungen, die man an ein gutes nahrhaftes Brod stellen muß; es ist vielfach schlecht ausgebacken, daher speckig und zähe, hat zu viel Salz und zu viel Säure und erzeugt in Folge dessen Sodbrennen, Verdauungsbeschwerden und Magenkrankheiten.

 

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In Städten dagegen nährt sich der kleine Mann und die Arbeiterbevölkerung vorwiegend von schlechtem Brode, schlechtem Kuchen, Kaffee, übersalzenem Magerkäse, Kartoffeln, Häringen, geringen Fleischspeisen, als Preßsack, Leberkäse, Wurstwaaren, geschnittenen Eingeweiden, genannt Kuttelfleck u.s.w. Alle diese Nahrungsmittel sind größtentheils zu stark gewürzt, haben zu viel Pfeffer, zu viel Salz und sind kein rationelles Nahrungsmittel, weil sie Durst erregen und zum Alcoholmißbrauche führen. Als Getränk dient Bier und Schnaps. Bier ist kein Nahrungsmittel, sondern Genußmittel mit ganz geringem Nährwerth, es verleiht keine Kraft, stillt nicht den Hunger und löscht nicht den Durst, ebensowenig wie der Schnaps.

 

Der Bierkonsum und die Bierindustrie hat sich zum Nachtheile der Volksgesundheit enorm entwickelt und der Staat erhält durch den Bierverbrauch ungeheure Summen von den Consumenten, ohne sich viel um die Qualität des Bieres zu interessiren. In früheren Zeiten unterschied man Schankbier und Lagerbier. Ersteres mußte ein gesetzliches Alter von sechs Wochen haben, das letztere drei Monate lagern. Durch diese Vorschrift wollte man bezwecken, dem Volke wenigstens ein gelagertes, helles, reifes Bier zu bieten, da junge Biere der Gesundheit nicht zuträglich sind. Heute aber sind die Bierfabriken das ganze Jahr im Betriebe und in kleinen Brauereien werden größtentheils unreife Biere dem Consum übergeben. Das Lagern des Bieres wird vielfach umgangen, indem man die neuen, trüben, unreifen Biere durch den Filtrirapparat gehen läßt; dadurch werden dieselben glanzhell, gleichen dem alten Lagerbiere, haben aber trotzdem alle Nachtheile eines Jungbieres.

 

Hier Abhilfe zu schaffen, ist eine wichtige Angelegenheit der Nahrungsmittelpolizei, wie es strafbar ist, einen unreifen Apfel auf dem Markte zu verkaufen; ebenso strafbar ist es, unreifes Bier zu verkaufen, namentlich wenn es betrügerischerweise filtrirt wurde. Der Arbeiter, welcher im Schweiße des Angesichtes sein Brod verdienen muß und glaubt, ohne Getränk nicht leben

 

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zu können, hält sich am besten an das leichte Weißbier; dasselbe ist, auf Flaschen gezogen und gelagert, ein angenehmes, kohlensänrereiches Getränk, welches den Durst löscht, den Körper erquickt und dabei um die Hälfte billiger zu stehen kommt als Braunbier.

 

Ganz unzweifelhaft ist der Alcohol in jeder Gestalt, auch als leichtes Bier oder leichter Wein, Gift für Kinder. Professor [Hermann] Nothnagel in Wien sagte in seinen Vorlesungen: „Ich, meine Herren, stehe nicht auf dem Standpunkte der Abstinenzler oder Temperenzler, aber folgendes möchte ich Ihnen doch ans Herz legen: Es ist eine schwere Sünde, wenn man Kindern Schnaps, Bier oder Wein zu trinken gibt.“

Bis zum 14. Lebensjahre sollte kein Kind Wein, Bier, Thee oder Kaffee zu trinken bekommen. Alle diese Erregungsmittel sind für Kinder ganz entbehrlich, denn gerade die furchtbare Nervosität unserer Zeit beruht auf dem frühzeitigen Alcoholgenusse. Der Alcoholmißbrauch ist der gefährlichste Feind des Volkes, der in immer wachsendem Maaße an unserem Marke zehrt; er ist der Urheber der meisten Mißstände im öffentlichen und wirthschaftlichen Leben des Volkes.

(…)

 

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Reform der Körperpflege.

Die Beachtung der größten Reinlichkeit an seinem eigenen Körper ist der sicherste Schutz gegen jegliche Krankheit. Plinius schreibt in seiner Weltgeschichte: „Die Römer bedurften sechs Jahrhunderte keines anderen Arztes als nur des täglichen Bades.“ „Jedem Menschen wöchentlich wenigstens ein Bad“, lautet die bekannte Forderung eines der bedeutendsten Hygieniker unseres Jahrhunderts.

 

Die äußere Haut besteht aus drei verschiedenen Schichten, der Oberhaut, der Lederhaut und der Fetthaut. Dieselbe bedeckt den Körper, schützt ihn vor äußeren, gewaltsamen Verletzungen (Druck, Schlag und Stoß), hält die Feuchtigkeit, Hitze und Kälte ab, reinigt das Blut durch Ausscheidung überflüssiger und unbrauchbarer Stoffe (flüssige durch den Schweiß, luftförmige durch Hautausdünstung), regulirt die Körperwärme, nimmt wie die Lunge Sauerstoff auf und gibt dafür Kohlensäure ab.

 

Diese vielen wichtigen Aufgaben machen uns zur Pflicht, unserer Haut eine richtige Pflege theilhaftig werden zu lassen. Dieselbe besteht in regelmäßigen Bädern und Waschungen des ganzen Körpers, unterstützt von Seife (zur Entfernung des fettigen, bloßem Wasser widerstehenden Schmutzes) und Frottirungen mit Flanell oder Bürste (zur Entfernung der abgestoßenen Oberhautzellen), ebenso sind fleißiger Wechsel der Leibwäsche und zweckmäßige Bekleidung für das Wohlbefinden und für die Gesundheit von größter Wichtigkeit. Unreinlichkeit unterdrückt die Hautausdünstnng und Schweißbildung. Diese Störung schädigt die Gesundheit, ja sie kann sogar tödtlich wirken. Sie ist oft auch eine Folge der Erkältung. Man schütze die Haut vor ihr, wenn nicht Rheumatismus, unheilbare Herzfehler oder schneller Tod uns heimsuchen sollen. Man vermeide schnelles Abkühlen der erhitzten, schwitzenden Haut, große Kälte nach Wärme, Zugluft,

 

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feuchte Kleider und Betten, zu leichte Bekleidung und Bedeckung während des Schlafes, Schlafen an kalter oder feuchter Wand, sowie den Aufenthalt in einem feuchten kalten Lokale. Dagegen härte man die Haut ab. Man gewöhne sich an laue und allmähliche kühle Bäder und Waschungen und geregelte Bewegung.

 

Gegen diese Grundregeln der Gesundheitspflege werden die schwersten Fehler und Sünden begangen. Das Baden im Flußwasser während der warmen Jahreszeit wird allgemein als ein vorzügliches Gesundheils- und Stärkungsmittel gebraucht, – aber während der kälteren Jahreszeit wird die große Mehrzahl der Menschen wasserscheu, trotzdem au vielen Orten, namentlich in größeren Städten, oft herrliche Volksbäder eingerichtet sind.

 

Staatliche Erziehungsinstitute, Seminarien, Lehranstalten, Mittel- und Volksschulen, sind leider noch ohne Brausebäder, trotzdem das Baden zur Körperpflege noch viel wichtiger ist, als das Turnen.

 

In bedeutenderen Fabriketablissements hat die Direktion aus Klugheit und Gesundheitsrücksichten für die Arbeiter Wannen- und Brausebäder eingeführt, dagegen sind die Militärverwaltungen noch zurückgeblieben. Letztere betrachten die Gesundheit der Mannschaften als selbstverständlich und wenden dagegen große Fürsorge für die Gesunderhaltung und Pflege der Pferde auf.

Wenn der Soldat vom Übungsplatze oder von der Reitschule kommt, so ist dessen erste und wichtigste Pflicht die Pflege des Pferdes. Das Abreiben und Putzen des Pferdes bekommt demselben gut und erhält das Thier gesund. Hernach geht es an das Putzen der Waffen, Uniformen u.s.w. Der Soldat muß nach außen proper und blank dastehen, aber nach nicht militärischen, hygienischen Begriffen, das Wichtigste: die Gesundheitspflege des Mannes wird weniger berücksichtigt; – nicht das Pferdematerial, sondern der Mensch ist das kostbarste Kapital im Staate.

 

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Dem ermüdeten und abgehetzten jungen Manne in der Uniform wird in der kalten Jahreszeit keine Gelegenheit geboten, seinen Körper von Staub und Schweiß zu reinigen, seine Gesundheit zu Pflegen und sich durch laue oder kühle Brausebäder abzuhärten und vor Erkältungskrankheiten zu schützen, was von unendlichem Vortheile wäre.

Entsprechende Körperpflege und zweckmäßige Ernährung erhält gesund und macht widerstandsfähig; epidemische Erkrankungen würden leichterer Art werden oder auch ganz ausbleiben und die gelehrten Herren hätten da nicht mehr nothwendig, im Untergrund der Kasernen Bazillenjagden zu unternehmen, wenn beim Militär eine rationelle Hautpflege eingeführt wäre.

 

Darum gründe man überall und allerorts in der Stadt und auf dem Lande, Volksbäder und erziehe das Volk zur Gesundheitspflege schon von der frühesten Jugend auf.

 

Reform der Heilkunde.

Die Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse, die Verhütung der Krankheiten, liegt im allgemeinen Volksinteresse, ist mit allen verfügbaren Mitteln vom Volke selbst auzustreben nnd nicht den Ärzten, Medicinalbehörden und dem Staate allein zu überlassen. Solange der Arzt nur als Heilkundiger sich seinen Lebensunterhalt verschaffen kann, solange er nur vom Unglücke, von der Krankheit seines Nebenmenschen lebt, solange kann er kein besonderes Interesse an der Verhütung der Krankheit haben. Deßhalb muß die Reformation der Heilkunde von den Laien angestrebt werden und darf keine Mühe gescheut und kein Mittel unversucht bleiben, um dieses ideale Ziel zu erreichen. Unsere bisherigen Einrichtungen zur Bekämpfung der Verhütung von Krankheiten sind sehr unvollkommen und

 

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reformbedürftig. Der wohlhabende Patient kann sich in Krankheitsfällen die besten Hilfsmittel leisten, die ersten Ärzte zu Rathe ziehen, in Bädern und Kuranstalten sein Leiden pflegen – aber die weitaus größere Mehrzahl der unbemittelten Kranken hat einfach gar nichts, weil sie arm ist. Eine Unsumme von Elend, Noch und Krankheit ist oftmals unter der weniger bemittelten Bevölkerung zu finden, der Kampf ums Dasein läßt dem armen Kranken keine Ruhe, er muß, um leben zu können, seine Tagesarbeit leisten und Gram, Kummer und Sorgen lasten schwer auf dem Unglücklichen. Was nützt in diesem Falle das unentgeltliche Rezept vom Kassenärzte, was nützen die Medikamente aus der Apotheke, wenn Erholung, Ruhe, gute Luft und entsprechende Nahrung fehlen?

 

Hier helfend einzugreifen, ist Pflicht der Nächstenliebe und wahren Religion. Jedermann sollte sein Scherflein opfern, um die Errichtung von Volksheilstätten, Krankeninstituten, Sanatorien und Volksküchen für die unbemittelten Kranken zu ermöglichen und die gähnende Kluft zwischen arm und reich zu überbrücken.

 

Die Reform der Heilkunde hat die fernere Aufgabe, die alten, erprobten Arzneimittel aus dem Pflanzenreiche beizubehalten und die Abschaffung der unzuverlässigen, giftigen, chemischen Patentheilmittel zu veranlassen und dafür zu sorgen, daß die Anwendung des gesammten Naturheilverfahrens allgemein in Anwendung kommt.

Zu diesem Zwecke sind in der Stadt und auf dem Lande gut geschulte Krankenpfleger und Krankenwärter als Heilgehilfen heranzuziehen, welche den Arzt bei Ausübung des Naturheilverfahrens, in der Hydrotherapie, Massage u.s.w. unterstützen. Der Bakteriologe sieht zur Zeit noch allerdings mit Geringschätzung auf das einfache Naturheilverfahren herab, er findet dieses Kurversahren zu einfach, zu unwissenschaftlich,

 

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das lateinische Rezept, ein neuerfundeues, unbekanntes, chemisches Präparat, erscheint ihm hilfreicher als eine Wasseranwendung oder Massage, – aber es wird die Zeit kommen, wo der Nimbus des lateinischen Rezeptes noch mehr sinkt, denn nicht die Ärzte, sondern das Volk entscheidet für die Zukunftsmedicin. Der Bazillendoktor ist nicht im Stande, der täglich wachsenden Ausbreitung des Naturheilverfahrens einen Damm entgegenzusetzen und die systematische Zurücksetzung und Vernachlässigung der physikalischen Heilmittel wird sich rächen.

 

Wenn einmal die Lehre von der Verhütung der Krankheiten, die Hygiene, in der Volksschule als Lehrgegenstand eingeführt sein wird und in Fleisch und Blut übergegangen ist, so werden wir auch weniger Kranke haben, weniger Ärzte brauchen und dieselben staatlich als Erzieher der leidenden Menschheit und als Gesundheitslehrer anstellen und damit eine Reformation der Heilkunde erreichen.

 

Hiemit soll jedoch in keiner Weise gegen den Stand der Ärzte gearbeitet werden; der Arzt, welcher nach bestem Wissen und Gewissen sich in den Dienst des Nebenmenschen stellt und Tag und Nacht hilfsbereit ist, verdient allgemeine Achtung und Verbesserung seiner wirthschaftlichen und sozialen Lage.

 

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Kneipp'sche Hausapotheke.

Nehmen wir uns nach vorausgegaugeuer allgemeiner Einleitung die Mühe und sehen wir durch die geöffneten Laden der Kneipp'schen Hausapotheke. Was finden wir dort? Wie das Kneippbuch lehrt, nicht viel Rahres: Unkräuter, veraltete Vegetabilien, von welchen die Schulmedicin viele, weil sie anerkannt werthlos sind, schon längst vom sogenannten Arzneischatz der privilegirten Apotheken gestrichen hat. Manche der sogenannten Kneipp'schen Heilkräuter haben ganz sicher nicht jene heilkräftigen Eigenschaften, welche denselben nachgerühmt werden. Nur ein künstlich geweckter und genährter Aberglaube veranlassen in vereinzelnten Fällen ein günstiges Resultat. Durch den felsenfesten Glauben an Pfarrer Kneipp's Versprechungen (Suggestion), durch die Riesenmacht der Einbildung (Autosuggestion), kann in einigen Fällen durch einen harmlosen Kräuterabsud eine vorübergehende Heilwirkung erzielt werden und ist dieses wirklich der Fall, so war oftmals nicht der Thee, sondern der Glaube an die Heilwirkung des Thees (Suggestion) wirksam gewesen. Die wichtigsten der sogenannten Kneipp'schen Heilmittel, Kräuter und Droguen, sollen nachstehend in alphabetischer Reihenfolge einer Betrachtung unterzogen und der Standpunkt der Schulmedicin und der Naturheilmethode beleuchtet werden.

 

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Alaun (Alumen). Der Alaun ist ein vielseitig angewandtes Arzneimittel und dient zu vielen Zwecken in der Technik; dersebe bewirkt die Gerinnung oder Fällung des Eiweißes, des Leimes, der Leimstoffe und hebt daher die Gährung oder die Zersetzung dieser Stoffe aus. Man gibt den Alaun innerlich zu 0,05 bis 0,1 als zusammenziehendes Mittel bei Blutflüssen, Diarrhoen, chronischen Schleimabsonderungen, man benutzt ihn ferner zu Angenwässern, Gurgelwässern, Einspritzungen und Bädern.

 

Aloe (Aloe spicata). Die Aloepflanze wächst wild in warmen Ländern und gehört in die Familie der Liliaceen. Macht man in die fleischigen Blätter Einschnitte, so tropft ein harziger Saft heraus, welcher an der Luft vertrocknet und Aloe liefert. Die Aloe gilt in der Medicin als ein die Magenverdauung zu gleicher Zeit unterstützender Bitterstoff. Man schreibt ihr ferner die Wirkung zu, besonders die unteren Parthien des Darmkanales in den Zustand der Blutüberfüllung (Hyperemie) zu versetzen und glaubt deßhalb an ihre Fähigkeit, Hämorrhoidalstockungen durch erregte Blutungen zu bessern und die gehemmte Menses in Fluß zu bringen. Man gibt die Aloe in kleinen Gaben 0,06 bis 0,30 als gelind eröffnendes Mittel bei Hartleibigkeit, Stuhlverhaltung, äußerlich verwendet man die Aloe zu Augenpulver, Augenwasser, Augensalbe und als Streumittel für Wunden an. Die Aloe bildet einen Hanptbestandtheil aller Langlebeessenzen, Blutreinigungspillen, Schweizerpillen, Kaiserpillen, Kneipppillen u.s.w.

 

Angelica oder Engelwurze (Angelica silvestris L.). Die Engelwurzelpflanze ist ein Doldengewächs subalpiner europäischer Gebirge; die Wurzel enthält ätherisches Öl, Angelicasäure, Bitterstoff u.s.w. Die Angelicawurzel ist ein belebendes, magenstärkendes, blähungtreibendes Arzneimittel der alten Schule. Man gab die Wurzel 2 bis 3 Gramm einigemal täglich als Thee. Angelicawurzel ist jetzt nur mehr Bestandtheil von Kräuterliqueuren.

(...)

 

S. 59

Erdbeere (Fragaria vesca L.). Die Walderdbeeren sind ein vorzügliches, diätetisches Genußmittel, besitzen ein äußerst liebliches Aroma und enthalten hauptsächlich Zucker und Citronensäure. Ein längerer Genuß dieser lieblichen Frucht hat bei Gichtleiden, Stein-, Gries- und Leberleiden die überraschendsten Erfolge. — Der bekannte Botaniker Karl von Linne, welcher stark an der Gicht litt, heilte sich selbst vermittelst einer Erdbeerkur; als er einst in seinem 43. Lebensjahre einen so heftigen Gichtanfall bekam, daß er Tag und Nacht keine Ruhe fand, aß er eine ganze Schüssel voll Erdbeeren, verfiel hierauf in einen ruhigen Schlaf und war am anderen Tage ziemlich frei von Schmerzen. Er machte sich diese Erfahrung zu Nutzen, verzehrte wiederum Erdbeeren in großer Menge und konnte am zweiten Tage darauf, völlig hergestellt, das Bett verlassen. Er aß nun jedesmal während der Erdbeerzeit in drei aufeinanderfolgenden Jahren Erdbeeren in großer Menge und bekam die Krankheit nie wieder, obgleich er ein Alter von 70 Jahren erreichte. Die günstigste Zeit zu einer Erdbeerkur ist die Zeit von Johanni bis Jakobi; diese Beeren werden im Mayenbade während der Saison massenhaft zu Kurzwecken angeboten und auch verwendet. Die beste Erdbeerkur wird jedoch dadurch erzielt, daß der Patient, wenn möglich, selbst in den an das Mayenbad angrenzenden Bergwald sich begibt und an Ort und Stelle die Erdbeeren pflückt und gebraucht. Die Bewegung, der stundenlange Aufenthalt in der stärkenden Waldluft, unterstützen die Erdbeerkur wesentlich.

 

S. 60

Die Erdbeerblätter enthalten Gerbstoff. Sammelt man die jüngsten Blätter im April oder zu Anfang Mai und trocknet sie sorgfältig im Schatten, so geben sie einen angenehm schmeckenden Thee.

 

Fenchel (Foeniculum officinale L.). Der Fenchel ist im südlichen Europa einheimisch und wird bei uns in einigen Gegenden eingebaut. (…)

 

S. 65

(…)

Hollunder, schwarzer [Holunder] (Sambucus nigra L.). Die Flieder- oder Hollunderblüthen stehen in dem alten Rufe, besonders schweißtreibend zu sein und werden vielfach als Thee gegeben. In den Apotheken wird das Fliedermus (Succus sambuci) vorräthig gehalten. Es wurde zu 20 Gramm auf 150 Gramm schweißtreibenden Mixturen zugesetzt. Jetzt aber wird das Fliedermus nicht mehr verwendet, es steht verlassen und vergessen in der Reihe der Apothekerporzellanbüchsen; nur einmal jährlich einige Zeit vor der amtlichen Apothekenvisitation beguckt sich der Apotheker seine überflüssigen Extrakthäfen mit oft verschimmeltem Inhalte und kommt bei dieser Gelegenheit daran, dem Fliedermus einige Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist nicht erwiesen, daß Hollunderblüthe eine besondere, schweißtreibende Wirkung hat. Die schweißtreibende Wirkung beruht nicht so fast in der geheimnißvollen Kraft der Blüthe, sondern mehr in dem heißen Wasser, welcher als heißer Thee dem Körperinnern zugeführt wird. Jeder Thee, heiß getrunken, ist schweißtreibend.

 

S. 66

Durch heiße Getränke wird man sich die Zähne, die Schleimhäute des Mundes, der Speiseröhre und des Magens mehr ober weniger verbrühen. Die Temperatur des heißen Thees theilt sich dem Blute mit, letzteres duldet keinen Wärmeüberschuß und leitet die überschüssige Wärme auf die Haut ab und es entsteht, wenn mehr Feuchtigkeit ausgeschieden wird als auf der Oberhaut des Körpers verdunsten kann, Schweißbildung. Es muß also beim Trinken von heißem Hollunderthee der unschuldige Magen die Rolle einer Wärmflasche übernehmen, um dem Blute mehr Wärme zuzuführen und damit die Ausscheidungen durch die Haut zu vermehren. Es ist dieser Umweg, um in Schweiß zu gerathen, eine brutale und gesundheitswidrige Mißhandlung des Magens und der Verdauungsorgane. Man erreicht denselben Zweck (Schweißerzeugung) viel einfacher und rationeller, wenn man den heißen Hollunderthee – oder einfach heißes Wasser – statt in den Magen, in einen Selterswasserkrug gießt, verkorkt, mit einem warmen, feuchten Tuche umwickelt und diesen Wärmespender in die Nähe des Magens resp. des Körpers bringt, d.h. man macht einfach ein Bettdampfbad.

 

Hollunderbeeren[Holunderbeeren] sind nach der Kneipp'schen Apotheke blutreinigend und sollen selbst Vögel die Hollunderbeeren als Blutreinigungsmittel benützen, um sich zur Herbstwanderung zu stärken. Die Zoologie lehrt aber, daß viele Singvögel, namentlich Drossel, Amsel, Krametsvogel, nahezu ausschließlich von Beeren leben und dieselben daher nicht als Blutreinigungs-, sondern als Nahrungsmittel gebrauchen. Die Vögel bedürfen keiner Blutreinignng, denn sie leben einfach instinktiv nach der Natur und haben in Folge dessen immer gesundes Blut; sie wohnen in Gottes freier Natur, die herrliche Waldluft umgibt sie Tag und Nacht und das Gefieder, welches jährlich zweimal gewechselt wird (Sommer- und Winterkleid), schützt sie gegen die Unbilden der Witterung.

 

S. 83

Zweiter Teil.

Irrlehren und Widersprüche des Kneipp-Systemes.

 

S. 85

Die Mineralbäder.

Das Kneipp'sche Buch „Meine Wasserkur“ verwirft den Gebrauch der Mineralbäder, deren Name schon eine strenge Wirkung andeute. Seite 63 schreibt dasselbe: „Alle diese Wasser, heißen sie wie, fließen sie wo sie wollen, enthalten mehr oder weniger gelindere oder schärfere Salze. Solche Salze von Außen nach Innen angewendet, kommen mir vor – man verzeihe den Ausdruck – wie der Fegwisch oder körnige Sand, welchen ich zum Putzen, zum Reinigen des Silbers oder noch edleren Metalles anwenden wollte. Silber und Gold sind zart und feinfühlig. Sind das die inneren Organe weniger? Ein Hauch trübt das Silber, rauhe Putzmittel verletzen, verwunden es. Es wird bei solcher Bearbeitung wohl blank; Fegwisch und Sand nehmen den Staub und den Schmutz gründlich weg. Ja nur allzugründlich und lange wird das Silberzeug solche Behandlung, besser gesagt, Mißhandlung, nicht aushalten. Die Anwendung brauche ich nicht zu machen, auch nicht lange und breit zu erklären, an welchen empfindsamen, weichen, überaus edlen Metallen solche Wasser ihre Reinigungsarbeit vornehmen.“

 

Diese Vergleiche klingen für den vertrauensseligen, denkschwachen Kneippianer ja sehr einleuchtend und verständlich, – aber in Wahrheit genommen, kann man mit derlei Scheinvergleichen doch nicht die Schädlichkeit oder den Nutzen einer Heilmethode beweisen, es wird damit einfach gar nichts bewiesen, sondern nur das hilfesuchende Volk irregeführt und eine Reihe gewerbtreibender Staatsbürger in unverantwortlichster Weise in Mißkredit gebracht.

 

S. 86

Der Nutzen der Mineralbäder und Kurorte steht fest – trotz des Kneippsystemes – und ihr Besuch wird sobald von der Welt nicht verschwinden. Kurorte wie Gastein, Wiesbaden, Baden-Baden u.s.w. sind herrliche Kurorte, in welchen jährlich Hunderttausende von Kurgästen seit langen Jahren verkehren. Wenn auch die sogenannten Brunnenkuren und Trinkkuren, aber nicht Badekuren, unter gewissen Umständen ihre Nachtheile haben können, so ist deßhalb die gänzliche Verurtheilung sämmtlicher Mineralbäder nicht begründet. Man heißt dieses einseitige Vorgehen das Kind mit dem Bade ausschütten. Der Verfasser des Kneippbuches war weder berechtigt, weder berufen, weder sachverständig, noch besaß er die nöthige Erfahrung und wissenschaftliche Bildung in Chemie, Physiologie und Medicin, um als maßgebende Autorität ein richtiges, sachgemäßes Urtheil über Mineralbäder und Kurorte zu fällen.

 

Sein hinkender Vergleich von Fegwisch und Sand, welcher thatsächlich gar nicht zutrifft, ist nur durch totale Unkenntniß der wirklichen Verhältnisse veranlaßt worden. Alle bekannten Kurorte und Mineralbäder, diese hygienischen Institute ersten Ranges, nützen dem Kranken in erster Linie, weil man dort regelmäßig nüchtern, diät und beweglich lebt, seine Familie, seine geschäftlichen Sorgen, seine amtliche Thätigkeit zu Hause gelassen, Luftveränderung und veränderte Lebensweise vorgenommen hat, eine rationelle Hautkultur betreibt und nur für die Körperpflege lebt. Sämmtliche Mineralbäder wirken, äußerlich als Bad angewendet, einzig und allein durch ihre physiologischen Eigenschaften, also vorzugsweise durch die Temperatur, nicht wie der Kneipp'sche Fegwisch oder der Wörishofener körnige Sand von außen nach innen hinein, während ihre chemische Zusammensetzung weniger in Betracht kommt. Die Ansicht, daß die verschiedenen Heilquellen vermöge ihres verschiedenen Gehaltes auch verschieden wirken, muß als

 

S. 87

unhaltbar aufgegeben werden, denn es ist wissenschaftlich durch chemische und physiologische Experimente nachgewiesen, daß die unverletzte, lebende, talgüberzogene Haut, im Wasser gelöste Salze nicht aufsaugt, nicht in den Körper aufnehmen kann. Darum ist es auch vom Arzte und Patient unrichtig, wenn jene Schwefelquelle für Gicht, diese Jodquelle für Scrophulose und eine Stahlquelle für Blutarmuth zum Baden empfohlen und gebraucht wird.

 

Manche Heilquellen, z.B. die sogenannten Wildbäder wie Ragatz, Gastein u.s.w., enthalten gar keine mineralischen Bestandtheile, sondern nur chemisch reines Wasser; diese Quellen kommen aus tiefen Spalten der Erdrinde; sie werden dort von der natürlichen Erdwärme ebenfalls warm und gelangen als Therme an die Oberfläche. Das warme Mineralbad von 26 bis 29° R. ist das beste Reinigungsbad, indem es den von den Hautdrüsen abgesonderten Talg und ähnliche Sekrete, wie auch den von außen auf die Haut gelagerten Staub und Schmutz entfernt und dadurch die Hautthätigkeit, welche gleiches anstrebt wie die Lungenthätigkeit, fördert. Außerdem werden die warmen Bäder mit besonderem Erfolge angewendet bei hochgradiger Reizbarkeit des Nervensystemes, bei Schlaflosigkeit, bei Reizzuständen der Haut, chronischen Ausschlägen u.s.w. u.s.w.

 

S. 90

(…)

Meine Wasserkur“ schreibt Seite 64 auch gegen die Luftkurorte und ist daselbst wörtlich zu lesen:

 

S. 91

Für den Kranken ist das zuträglichste und günstigste Klima der Ort, die Gegend, in der Gottes Schöpferhand ihn gebildet hat. Will mir die Luft zu rauh werden, nun dann suche ich mich abzuhärten; auch in Krankheiten wird nur das heimathliche Wasser so gute Dienste thun, wie jenes, das in fremden Landen fließt.“

 

Die Thatsache spricht gegen dieses Dogma; es ist allgemein bekannt, daß die Heilung oder Besserung einer großen Anzahl von chronischen Krankheiten nur durch den wohlthätigen Einfluß eines richtig gewählten Klimas gelingt und da, wo alle Arzneimittel und die verschiedenartigsten Kurmethoden ohne Erfolg waren, sehen wir durch Änderung der Luft allein schon die ausfallendsten Besserungen. Nervenkranke und blutarme Menschen, solche von äußerst schwacher Constitution, Scrophulöse, Lungenleidende and Rheumatiker bessern sich oft schon nach wenigen Wochen in einer milden, windstillen, feuchtwarmen Luft, ohne etwas Anderes zu gebrauchen. Klimatische Kurorte, namentlich Waldluftkurorte, in subalpiner Lage von 500 bis 700 Metern über dem Meere, sind Heilfaktoren allerersten Ranges. [Zufälligerweise passt diese Beschreibung exakt auf das Mayenbad!] Veränderte Luft, veränderte Umgebung, veränderte Lebensweise, Diät, Ruhe, das Freisein von Amts-, Geschäfts- und Familiensorgen, sind unentbehrlich zur Heilung chronischer Krankheiten. Wird an einem solchen Kurorte neben einer entsprechenden Körperpflege, Bäder, Wickel u.s.w. noch eine gute rationelle Küche geführt – der Mensch kann von Waldluft allein nicht gedeihen und gesund werden – so ist in allen heilbaren, chronischen Krankheiten oft eine gänzliche oder wenigstens wesentliche Besserung zu erzielen.

 

Aus meiner eigenen, zwanzigjährigen, praktischen Erfahrung, welche ich als Besitzer und Leiter der Kuranstalt Mayenbad gesammelt habe, könnte ich Hunderte von Personen mit Namen aufführen, welche mühselig und beladen, d.h. mit einer chronischen Krankheit, meine Kuranstalt aufgesucht haben, hier geheilt wurden und stets dankbar sich an den Waldluftkurort Mayenbad erinnern.

 

S. 92

Ein großer Theil jener Kurgäste, welche in Wörishofen eine Besserung ihres Krankheitszustandes erzielt haben wollen, verdanken sehr vieles, ja beinahe alles der vorgenommem Luft- und Lebensveränderung und nicht der Kneippkur, und doch ist Wörishofen der denkbar ungünstigste Kurort und Landaufenthalt.

 

Durch eine in der halben Welt verbreitete, klerikale Reklame wird das Kneippsystem als die Allheilkur angepriesen und in den Kneippbüchern die Behauptung aufgestellt, daß alle Kranken und alle Krankheiten nur aus Barmherzigkeit und Nächstenliebe in Behandlung genommen und alles kurirt werde.

Folge davon ist, daß sehr viele, leichtgläubige, chronisch kranke Menschen, welche bisher alle möglichen Kuren ohne entsprechende Ausdauer versucht haben, sich zuletzt zu einer Reise und zum Aufenthalte in Wörishofen entschließen. Aus allen Gegenden kommen Patienten, darunter viele Unglückliche und Unheilbare mit oft eckelerregenden, unheilbaren Krankheiten wie Lupuskranke, Krebskranke, Hautkranke, Syphilitische, Rückenmarksleidende, Lungenschwindsüchtige in vorgeschrittenem Stadium, Epileptische u.s.w., welche durch die schönsten Versprechungen zur Kneippkur und zur Reise nach Wörishofen angelockt werden.

 

Diese alle glauben nicht, daß, wie das Kneippbuch lehrt, das heimathliche Wasser so gute Dienste thut, als das im fremden Lande fließt, sie alle verlassen die heimathlichen Gewässer und reisen zum schwäbischen Kraftwasser in Wörishofen. Kneipp selbst glaubte auch nicht an diesen Lehrsatz, denn er sagte zu jedem Patienten: „Wenn ihr gesund werden wollt, müßt ihr dableiben.“

 

Der Anblick, Umgang und Verkehr an einem solchem Orte ist geradezu gefahrdrohend für die Gesundheit, da die Sorge für Reinlichkeit der Badelokalitäten, der Badewäsche, Zimmer und Bettwäsche, in vielen Fällen sehr vieles zu wünschen übrig läßt.

 

S. 93

So schreibt Pfarrer Löwenbrück in seiner Broschüre über Wörishofen wörtlich:

Ich muß der Unannehmlichkeit Erwähnung thun, in Betten zu schlafen, worin weiß Gott welcher Kranke sich unmittelbar vorher befunden hat. Ein Schwindsüchtiger benützte wochenlang eine Wohnung; eine Stunde darauf zog ein mit Magenkatarrh Behafteter ein. Ein mit Syphilis infizirter junger Mann schlief wochenlang auf der Matratze eines Bettes, in welchem einige Stunden darauf ein vornehmes Fräulein ruhte.“

 

Ein anderer Autor schreibt über Wörishofen: „Zahlreiche Lupuskranke, Syphilitische, Hautkranke aller Art, Lungenkranke mit furchtbarem Auswurfe, wohnen stets in den verschiedenen Privatwohnungen und Gasthäusern. Der Verkehr mit diesen Kranken macht den Ort geradezu unheimlich. Man kann in Wörishofen kein Glas an die Lippen setzen, keine Gabel, keine Serviette in die Hand nehmen, ohne sich sagen zu müssen, es könnte ein solcher Kranker kurz davor Gebrauch gemacht haben.“

 

In den Baderäumen und Wandelbahnen herrscht vielfach eine entsetzlich schlechte Luft und eckelhafter Dunst, weil selbst die allernothwendigste Sorge für Reinlichkeit fehlt. Bei großem Andrange und Wassermangel wurden in ein und demselben Wasser oftmals 10 bis 15 Kranke gebadet und mit demselben Wasser abgegossen. Das Badwasser wird meistens aus Pumpbrunnen geschöpft und läuft vielfach auf einem kleinen Umwege wieder in den Grund zurück.

 

Der plötzliche Fremdenandrang hat in Wörishofen eine wilde Häuserspekulation und epidemische Bauwuth hervorgerufen. Mit fieberhafter Thätigkeit wurde eine große Anzahl neuer, feuchter, ungesunder Wohnungen für Massenquartiere geschaffen und, wenn auch nur halb ausgebaut, sofort bezogen. Minderwerthiges Baumaterial, feuchter, sumpfiger Untergrund, brachte in vielen Häusern den Hausschwamm; mangelhafte Abortanlagen, Privatschlächtereien, Unreinlichkeit in Haus und Hof, Überfüllung der neuen, nassen Wohnräume mit

 

S. 94

Kranken aller Art haben im Laufe der Jahre den Untergrund mit schädlichen Abfallstoffen und Krankheitserregern durchsetzt, da jahrelang die gröbsten Fehler und Unterlassungssünden gegen die hygienischen Grundsätze begangen wurden, daher auch die schlechte, übelriechende Athmosphäre in dem internationalen Weltkurorte. Es wurde erst in den letzten Jahren auf Anordnung der Behörden Kaualisirung und Wasserleitung eingeführt, welche aber nicht ganz genügen, die bisherigen Mißstände zu beseitigen.

 

Das Pfarrdorf Wörishofen liegt frei in der Ebene, ist ungeschützt und allem Winde ausgesetzt; es war früher, vor 9 Jahren, ein unbekannter Ort, wie noch viele in Schwaben; es ist kein empfehlenswerther Aufenthalt für Gesunde und für Kranke wenig geeignet. Wörishofen hat weder durch seine landschaftliche Lage, weder durch seine klimatischen Verhältnisse, noch durch seine hygienischen Eigenschaften Anwartschaft auf einen Kurort.

 

Nur Prälat Kneipp war der Anziehungspunkt für das gläubig gemachte Publikum, da derselbe mit seinem Renommirbuche „Meine Wasserkur“, seinem Hauptreklamemittel, schon in hunderttausenden von unheilbaren Kranken in unverantwortlichster Weise Hoffnungen erweckt hatte, die nie in Erfüllung gehen und gehen können. Der Fremde, welcher nach Wörishofen kommt, wird gehalten, eine Kurtaxe zu bezahlen, aber es wird demselben sehr wenig geboten. Überall elende Wege und Stege, im ganzen Ort kein schattenspendender Baum oder ältere Anlage, bei Sonnenschein drückende Hitze und entsetzlicher Staub, bei Regenwetter bodenlose Wege, Schlamm, Morast, Sumpf, überlaufende Düngergruben und Misthaufen vor den Häusern, zieren den klerikalen Weltkurort. Der Kurgast mag im Schlamm, Koth und Gestank halb umkommen, das ist dem Wörishofener Spekulanten gleichgiltig[gleichgültig]; das ganze mobile Kapital wird für Wohnräume und Kuranstalten verwendet, um eine energische Ausbeutung des Kneippfiebers gründlich ausführen zu können, denn wer weiß, wie lange der Waizen[Weizen]

 

S. 95

blüht und auf sieben fette Jahre könnten magere Jahre folgen. Erst im letzten Jahre wurden auf Veranlassung einiger hoher Gönner Anlagen und Verschönerungen vorgenommen.

 

Schon mancher Fremde, welcher wegen eines geringfügigen Leidens oder aus Neugierde Wörishofen besuchte, erlag daselbst einer tödtlichen Infektionskrankheit, denn Typhus und Dyphtherie, Blattern, welche in früheren Jahren nur ganz sporadisch vorkamen, sind durch die fieberhafte Kneippbewegung häufigere Krankheiten geworden. Fremde und Einheimische fallen dieser Krankheit zum Opfer. Lupus, Syphilis und Tuberkulose aus allen Herren Ländern in Wörishofen eingeschleppt, sind jedenfalls auch nicht dazu geeignet, die hygienischen Verhältnisse zn verbessern, wie nachstehende Beispiele lehren.

 

Eine vornehme Familie aus Paris sendet ihr gelähmtes Kind zum Kurgebrauch nach Wörishofen. Das Kind erkrankt an Dyphtherie und erliegt trotz der wunderwirkenden Kneippkur der tückischen Krankheit. Ein Herr aus Berlin kommt mit Frau und drei Kindern nach dem Gnadenort Wörishofen, da eines der Kinder Rückgratverkrümmung (Scoliosis) hat, welche durch die Kneippkur leicht kurirbar sein soll. Nach einigen Wochen erkrankt das älteste, gesunde Kind, ein blühender Knabe von 12 Jahren und stirbt an Dyphtherie. Das kranke Kind mit dem schiefen Rücken wurde nicht kurirt; schwer geprüft und gräßlich enttäuscht verließ die Familie den sogenannten Kurort.

 

Eine Familie in Wörishofen hatte mehrere Monate einen Lupuskranken in Wohnung. Plötzlich erkrankt die bisher gesunde, erblich nicht belastete Quartiergeberin, eine junge, kräftige Frau und fällt mit rapider Schnelligkeit der Miliartuberkulose zum Opfer. Der lupuskranke Kurgast hatte die Hausfrau infizirt, dieselbe mußte ihr Leben lassen und der Lupnskranke reiste ungeheilt wieder ab.

 

Ähnliche Beispiele kommen viele vor. Wen trifft die Hauptschuld an solchen bedauerlichen Thatsachen? Wer hat alle diese unverantwortlichen Zustände herbeigeführt?

 

S. 96

Tief zu bedauern ist, daß ein Mann, welcher allerdings die beste Absicht hatte, unbewußt in seinem krankhaften Größenwahn Leben und Gesundheit seiner Mitmenschen, aus Mangel an Kenntniß und Erfahrung, indirekt gefährdete und daß dieser Irrwahn von Medicinern und Theologen unterstützt wurde.

 

Diese sehr bedauerlichen und traurigen Folgen der Kneippkur und die ungesunden Zustände in Wörishofen werden dem Fremden so gut als möglich verheimlicht, sind aber thatsächlich vorhanden und geben für das unfehlbare Kneippsystem, für die Urheber und Leiter der Bewegung, ein trauriges Zeugniß.

 

Seite 63 Zeile 16 ist in dem wässerigen Reklamebuch „Meine Wasserkur“ über Mineralbäder weiter zu lesen: „In großen Badestätten und Kurorten trägt man vielfach die Heimgegangenen nicht am Tage, sondern in der Nacht, nicht mit Gesang und Musik, sondern in aller Stille, um die Lebenden nicht unangenehm zu berühren und zu incomodiren, auf den Friedhof zur letzten Ruhestätte. Aber man trägt manche, ziemlich viele hinaus. Es stirbt jährlich eine ziemlich große Anzahl Menschen in den verschiedensten Bädern.“

 

Diese übertriebenen, größtentheils unwahren, höhnischen Schilderungen erinnern lebhaft an das in der heiligen Schrift angeführte Beispiel vom Splitter und Balken. Durch die Kneipp'schen Riesenreklamen in ultramontanen Zeitungen, Kneippblätter, Kneippbücher, durch die persönliche Empfehlung und thatkräftige Unterstützung der Kneippfreunde im Talare in allen Himmelsgegenden, durch die angeblichen Wunderkuren hat man aus Wörishofen ein katholisches Mekka gemacht und zahlreiche Wallfahrer kommen zum Gebrauche der Kneipp'schen Wunderkuren und auch oftmals nur, um recht ungenirt leben zu können; „aber Mancher, bis jetzt schon eine ziemlich große Anzahl gläubiger Kranker, hat in Wörishofen statt Gesundheit durch die Wasserkur frühzeitig die letzte Ruhe gefunden.“

 

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Dieser Herzleidende wurde infolge eines kalten Bades vom Schlagflusse getödtet, jener an einem hochgradigen Lungenleiden Erkrankte erlitt während eines Obergusses einen Blutsturz, von dem er sich nicht mehr erholte, ein anderer erkältet sich beim Barfußgehen und geht an Darmkolik zu Grunde, ein anderer legt in der Verzweiflung Hand an sich und versucht wegen Erfolglosigkeit der Kur sich die Kehle zu durchschneiden, wiederum ein anderer greift zum Revolver und schießt sich in der Angst und Erregtheit eine Kugel durch den Kopf, weil sein unheilbares Rückenmarksleiden auch durch die Kneippkur nicht geheilt wird, trotzdem ganz bestimmt und sicher vollständige Heilung und bei jeder Konsultation sichere Genesung in Aussicht gestellt wird.

 

Ein anderer kommt wegen eines leichten Rheumatismus oder aus Neugierde nach dem neuen Gnadenort, wird insizirt und stirbt an Dyphtherie, ein anderer erliegt dem Typhus, wiederum andere haben in Wörishofen bei ihrer ungenirten Lebensweise Unglück, erkranken an Syphilis und studiren über die Erbärmlichkeit des menschlichen Daseins nach. Wiederum andere werden durch die Kneipp'schen Güsse irrsinnig und werden in die nächste Irrenanstalt untergebracht.

 

In keinem Bade auf der ganzen Welt, an keinem Kurorte werden so viele Menschen vom vorzeitigen Tode ereilt, als in Wörishofen. In keinem Kurorte waren so viele Jahre hindurch, während der Zufluß von Kranken und Gläubigen der größte war, so erbärmliche Einrichtungen für die Verstorbenen, als in diesem Wunderkurort. Da kein Leichenhaus vorhanden war, so blieben die Verstorbenen oft mehrere, ja 3 bis 6 Tage, auch im Hochsommer, in den überfüllten Wohnräumen liegen und wurde schließlich der in eine Kiste verpackte Sarg auf einem einfachen Holzkarren – es gibt keinen Leichentransportwagen – nicht mit Gesang und Musik, sondern in aller Stille, bei Nacht und Nebel, um die Kneippianer nicht unangenehm zu berühren,

 

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zu incominvdiren, ober gar zu verscheuchen, nach der Bahnstation Türkheim zur „Heimreise“ gefahren. Es gibt sogar einen eigenen Reisemarschall für die Verstorbenen, welcher die Leichentransporte der Reichen begleitet und in dieser Eigenschaft schon viele größere Städte des Kontinentes bereist hat.

 

Die Wunderkuren des Kneippsystemes machten es nothwendig, daß die Pfarrgemeinde einen neuen, großen Gottesacker anlegen mußte, trotzdem die meisten der daselbst verstorbenen Kurgäste in die Heimath befördert werden. Sapienti sat.

 

Im grellen Widerspruche mit Wahrheit und Thatsache der Wörishofener Verhältnisse schreibt das Wunderbuch „Meine Wasserkur“ in allen seinen vielen Auflagen im Vorworte: „Das Kommen eines jeden Kranken war und ist mir eine Last. Nur der Aufblick zu demjenigen, der vom Himmel herabgestiegen ist, unser aller Krankheiten zu heilen, und der Gedanke an die Verheißung: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen“, „Der letzte Trunk Wasser soll nicht unbelohnt bleiben“, waren im Stande, die naheliegende Versuchung, alle Bittgesuche, ohne Unterschied des Bittstellers, in jedem Falle abzuweisen, zu unterdrücken; diese Versuchung lag um so näher, da nicht Gewinn, vielmehr unberechenbarer Zeitverlust, nicht Ehre, vielfach Verleumdung und Verfolgung, nicht Dank, sondern in gar manchen Fällen Undank, Spott und Hohn meine Diäten bildeten. An dieser Stelle kann ich versichern, daß trotz meines vielfach sehr schroffen und abstoßenden Benehmens das größte Gebäude nicht ausgereicht hätte, alle diese Kranken und Leidenden, welche ohne Übertreibung nach tausenden und zehntausenden zählen, aufzunehmen; daß ich ferner mit Leichtigkeit reich, sehr reich sein könnte, wenn ich nur einen Theil des mir angebotenen Heillohnes hätte annehmen wollen. Viele Patienten kamen und sagten: ich gebe 100, 200 Mark, wenn Sie mich gesund machen.“ – Diese mit der Wahrheit nicht im Einklänge stehenden Schilderungen des Kneippbuches sind so recht geeignet, bei

 

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leichtgläubigen, kranken, unglücklichen Menschen mächtig auf das Gemüth einzuwirken und bei denselben das schönste Vertrauen und die größten Hoffnungen zu erwecken. Der hilfesuchende Patient bewundert durch dieses großartige Selbstlob, ohne ihn zu kennen, den edlen, barmherzigen und gütigen Samariter im Priestergewande, er ist von Mitleid und Wehmuth erfüllt und fühlte sich hingezogen zu dem armen, verfolgten Priestergreise, welcher angeblich nur aus Nächstenliebe und Barmherzigkeit sich für die leidende Menschheit, gleich Christus der Herr, aufopferte und im Vertrauen auf den Himmelslohn seine wunderwirkende Wasserkur lehrte, ausübte und verbreitete und sich dafür als Diäten mit Undank, Spott, Hohn und Verfolgung begnügte.

 

Der gläubige Patient, dem es nie in den Sinn kommt, die Wahrheitsliebe eines Priesters zu bezweifeln, kommt durch diese vertrauenerregende Vorrede, bereits in den magischen Wirkungskreis der Kneipp'schen Suggestion. Das Wunderbuch, „Meine Wasserkur“, beschreibt ferner einhundertzwanzig Krankheiten, welche durch die Kneippkur sämmtliche leicht und einfach geheilt wurden. Der eifrige Leser glaubt bereits alles steif und fest, was das wässrige Märchenbuch erzählt, selbst die handgreiflichsten Unwahrheiten und Unmöglichkeiten werden nicht beanstandet.

 

Es lag nun sehr nahe, daß der erstaunte Patient den Messias einer neuen Heilmethode, den berühmten Wundermann, welcher tausende und abertausende von Ärzten aufgegebene Patienten schon kurirt haben will, welcher reich, ja sehr reich sein könnte, wenn er nur wollte, hochverehrt und für einen ganz besonderen Heiligen hält. Es erwachte der Gedanke, die unstillbare Sehnsucht, der krankhafte, unwiderstehliche Drang, diesen abnormen, uneigennützigen, edlen Menschenfreund, den Arzt von Gottes Gnaden und Wohlthäter der leidenden Menschheit, sobald als möglich persönlich zu sehen, zu sprechen, zu bewundern, wenn auch der letzte, dem Munde abgesparte Pfennig geopfert und die weiteste, beschwerlichste Reise angetreten werden mußte.

 

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Die wirklichen Verhältnisse bei dem guten Vater Kneipp waren jedoch ganz anders gestaltet, gar nicht so, wie es im Buche steht und wird nachstehend der Beweis geliefert, daß der barmherzige Wasserapostel nicht immer der uneigennützige Charakter ist und war, für den er infolge seiner sehr ausgiebigen Selbstbereicherung und seinem großartigen Selbstlob von Fremden gehalten werden will. Der ehemalige Beichtvater vom Kloster Wörishofen, ein einfacher, schlichter Herr, fühlte immer das Bedürfnis, sich nützlich zu zeigen, seine eigene Person in den Vordergrund zu stellen und war das Renommiren in Wort und Schrift immer seine Gewohnheit. So betrieb Pfarrer Kneipp, der ehemalige Beichtvater, angeblich im Interesse der Landwirthschaft, jahrelang einen Handel mit Saatgetreide, bis die Bauern seine Vermittlung ablehnten, mißtrauisch wurden und glaubten, der Herr Beichtvater, resp. das Kloster, könnte bei diesem Getreidehandel Nutzen ziehen.

 

Hierauf befaßte er sich mit Ökonomie, leitete die Bemeierung des klösterlichen Bauerngutes, kaufte selber ein Landgut, handelte mit Rindern, Pferden und Heugabeln, predigte und schrieb über Wiesenbau, Düngerlehre, Kunstdüngerbereitung und Salzdüngung, ohne den mindesten Begriff von Agriculturchemie zu besitzen; aber statt einer Musterwirthschaft war das Kneipp'sche Gut eine Mißwirthschaft, da der hochwürdige Ökonom vor lauter zwecklosen Versuchen und Experimenten die ordnungsmäßige Bewirthschaftung versäumte. Nachdem er den Stein des Weisen in der Ökonomie nicht fand, wandte Kneipp sein Augenmerk auf die Bierbrauerei und Honigweinfabrikation, braute im Kloster ober- und untergähriges Weiß- und Braunbier. Um zum Honigwein den Honig selber zu besitzen, verlegte sich Kneipp auf die Imkerei. Er trat sofort als Bienenprofessor auf, schrieb ein Büchlein über Bienenzucht. Auch als Bienenzüchter war Kneipp nach seiner Meinung eine hervorragende Größe und renommirte viel und oft über seine großartigen Resultate und die wunderbare Art und Weise, wie er sich erlauben durfte, mit seinen Immen umzuhantiren; ein Anderer, welcher

 

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solches gewagt hätte, wäre natürlich zehnmal todtgestochen worden. – Nur zu bald folgte auf die Bienenzucht ein anderes Unternehmen und zwar schuf Kneipp eine Musteranstalt für Kaninchenzucht und er trieb einen schwunghaften Handel mit ächten[echten] und imitirten französischen Kaninchen. Doch die Ökonomen[Bauern] in Wörishofen, diese schwäbischen Dickschädel, waren nicht zu bekehren, sie glaubten nicht an die vom Beichtvater gerühmten Vortheile der Kaninchenzucht, sie verlachten denselben und nannten ihn scherzweise Hasenbastel oder gaben ihm wegen seiner gewaltigen Renommirerei auch noch einen anderen Namen. (Bastel ist die schwäbische Abkürzung von Sebastian.)

 

Da der hochwürdige Beichtvater Kneipp mit den bisherigen Unternehmungen kein durchgreifendes Resultat erreichte, so schmiedete er weitere Pläne und kam nun, sei es Absicht oder Zufall, auf den Gedanken, sich der Behandlung der Krankheiten zuzuwenden und ein Buch darüber zu schreiben. Bald kamen zahlreiche Gläubige, um beim Verfasser des Buches eine Kur durchzumachen.

 

Die vielfach verbreitete Meinung, das Buch „Meine Wasserkur“ sei geschrieben worden, um den Hilfsbedürftigen ein Hilfsmittel in die Hand zu geben und dieselben dadurch von Wörishofen abzuhalten, ist eine handgreifliche Unwahrheit, denn nachdem die historische Waschküche zu den Wasseranwendnugen nicht mehr ausreichte, ließ Pfarrer Kneipp sofort ein größeres Badhaus und Wasserleitung auf eigene Rechnung herstellen und ging in seinem Dorfe von Haus zu Haus und animirte die widerstrebenden Besitzer zur Herrichtung von Fremdenzimmern und zur Anlage von Kuranstalten. Er animirte fortwährend zum Bauen und versprach, er werde dafür Sorge tragen, daß Wörishofen als Centralkurort für die Kneippkur erhalten bleibe. Zu allem Überfluß unternahm Pfarrer Kneipp noch selbst den Aufbau von 3 riesig großen Wasserkuranstalten. Jeder Schäfer scheert seine Schafe. Der Herr Prälat huldigte zwar diesem Grundsätze nicht, nahm aber Alles an, was man ihm gab und verbreitete aber gleichzeitig das

 

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Gerücht, nichts für seine eigene Person zu verwenden; er ließ sich für seine Ordinationen, Rathschläge, Kuren und Wandervorträge reichlich bezahlen, obwohl er einen ausreichenden Gehalt als königlicher Pfarrherr besaß und für seine eigene Person wenig Bedurfniß gehabt haben soll, – aber zur Befriedigung seines ungeheuren Größenwahnes in seiner grenzenlosen Verblendung zu seiner dauernden Selbstverherrlichung und zur Ausführung seiner krankhaften, ehrgeizigen Pläne ungeheure Geldsummen in unverantwortlichster Weise verschleuderte, welche er dem hilfesuchenden Volke direkt und indirekt abnahm und abnehmen ließ. Die neuaufgeführten, großen Kneippkasernen, das Kinderasyl, das Sebastianeum und das Kneippianeum[Kneippianum], sind keineswegs aus Nächstenliebe und Barmherzigkeit für die armen, nothleideuden Menschen erbaut, sondern dienen in erster Linie zur Verherrlichung und Verewigung des Erbauers und in zweiter Linie dienen diese Riesengebäude zum Gelderwerbe.

 

Der gläubige Fremde, welcher nach Wörishofen kam, um den Pfarrer zu cousultiren, in dem Wahne, derselbe begnüge sich für seine Mühe mit dem Himmelslohne, mußte sofort eine andere Erfahrung machen und finden, daß die schöne Vorrede nicht alles hält, was sie verspricht. Jeder Fremde erlegte eine Taxe von 3 bis 10 Mark, bis er den Wohlthäter der Menschheit, den Arzt im Talare, selber sprechen oder in sehr vielen Fällen nur flüchtig sehen konnte. Lange Zeit gab es jeden Morgen von 8 bis 9 Uhr eine sogenannte separate Sprechstunde für 40 bis 60 Patienten mit 3 Mark Consultationsgebühr pro Kopf, so daß Kneipp in dieser einen Stunde 120 bis 180 Mark!!! – Himmelslohn – bezog. In dieser kostbaren Sprechstunde, resp. für den einzelnen

 

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Patienten eine Minute treffende Consultationszeit, konnte kein Patient seinen Krankheitszustand schildern, nicht einmal das allernothwendigste angeben, es ist und war unmöglich, eine Diagnose zu stellen, unmöglich, eine rationelle Verordnung zu geben. Dieses Thun und Treiben war eine ganz unberechtigte Ausbeutung des am Kneippfieber erkrankten Publikums. Jeder rechtlich fühlende und denkende Mensch wird ein solches Gebahren verurtheilen.

Jeden Tag von 9 bis 11 Uhr vormittags und nachmittags von 1 bis 4 Uhr wurden die gewöhnlichen Ordinationsstunden abgehalten. Wie eine Schafheerde wurden die vertrauensseligen, von den Kneippbüchern verführten Patienten, durch das pfarrherrliche Sprechzimmer getrieben und oft dutzendweise auf einmal abgefertigt, an manchen Tagen oft 2 bis 300 Hilfesuchende, von welchen die neuankommenden à Person 3 Mark zu erlegen hatten.

Kein Patient hatte bei dieser sogenannten Sprechstunde Zeit, sich nur in kürzester Form auszusprechen, seinen Krankheitszustand zu schildern, da in der Regel 6 bis 12 Personen gleichzeitig im Sprechzimmer anwesend waren. Herren und Damen, Knechte und Mägde, Erwachsene und Kinder, junge Burschen und Mädchen wurden miteinander absolvirt.

 

Auch in dieser allgemeinen Sprechstunde war es dem Patienten unmöglich, seine Krankengeschichte vorzutragen. Wurde es versucht, sich etwas genauer auszusprechen, so hieß es sofort: „Ja, das wissen wir schon, wir haben keine Zeit, uns länger mit dem Einzelnen zu beschäftigen u.s.w.“ Wagte es trotzdem ein Patient, welcher vielleicht aus weiter Ferne gekommen war und ein besonderes Vertrauen zur Kneippkur im Herzen trug, sein Leiden etwas genauer zu schildern, so fand es in den meisten Fällen der sich allwissend, allweise und allmächtig stellende Pfarrer oft nicht der Mühe werth, seinen Patienten auch nur flüchtig anznsehen oder kurz anzuhören; er saß gemüthlich in seinem Lehnstuhle,

 

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drehte mit den Fingern seine Cigarre im Munde herum, rauchte und diktirte ruhig: „Oberguß, Schenkelguß, Knieguß, Rückenguß, Halbbad etc. etc.“

 

Waren Hochwürden guter Laune und zu Witzen und Spässen aufgelegt, so sagte er z.B. zu einem Patienten, welcher in Folge von Kehlkopftuberkulose die Stimme verloren hat: „Der Mann hat die Maulseuche“; ein anderer an Gicht leidender Herr wird, als an der „Klauenseuche“ leidend, behandelt. Herren, welche über einen ziemlichen Körperumfang verfügen, haben ihre Hypotheke (dicken Bauch) löschen zu lassen.

Frauen, welche über eine gewandte Zunge verfügen, wurde ein Guß aufs Maul angeboten. Einer Dame, welche bis von Rumänien zu Vater Kneipp gereist war, um demselben ihren Jammer vorzutragen, wurde gesagt: „Schwätzen Sie nicht so viel Dreck!“ – Oberguß, Schenkelguß, Rückenguß, Knieguß u.s.w. Ähnliche Beispiele kamen täglich vor.

 

Diese wegwerfende Behandlung des durch die Kneippreklame verführten Volkes, diese Ungerechtigkeiten, diese Mißstände, dieser rohe Charlatanismus, bestanden viele Jahre. Prälat Kneipp ordinirte jedem Einzelnen in einer halben Minute Sprechzeit auf 14 Tage bis 3 Wochen die obligaten Güsse zu seiner Unterhaltung und zu seiner Bereicherung.

 

Wie ungerecht die Patienten oft behandelt wurden, diene folgendes kleine Beispiel: Ein Bäuerlein aus dem Gebirge kommt zum hochwürdigen Wasserdoktor nach Wörishofen. Er hat am Handgelenk eine Geschwulst, ist dadurch arbeitsunfähig und Kneipp soll nun geschwind helfen. Wie schon bemerkt, war der Patient arm und glaubte, arme Leute brauchen nichts zu bezahlen, weil im Kneippbuche vom Himmelslohne geschrieben steht. Alles Bitten und Betteln hilft nichts; da unser Bäuerlein kein amtliches Armuthszeugniß bei sich hat, muß er 3 Mark Honorar bezahlen, um in die pfarrherrliche Sprechstunde gelassen zu werden. Endlich naht der aufregende Augenblick; das Bäuerlein zeigt dem geistlichen Wunderdoktor seine leidende Hand, er sieht dieselbe kaum an und sofort beginnt das mechanische Diktiren: Oberguß, Schenkel-

 

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guß, Knieguß, Rückenguß u.s.w. Bevor sich das Bäuerlein von dem Gehörten und Gesehenen so recht erholt hatte, war er schon wieder auf die Straße gedrängt und fragt sich: was habe ich jetzt für meine 3 Mark? Mir fehlt auf dem Rücken, an den Knieen, an den Schenkeln nichts, ich will keinen Rücken-, Knie- und Schenkelguß, aber meine Hand ist krank und dafür will ich ein Heilmittel, so kalkulirte unser Patient und ging aufs Kneippbureau, um sein Ordinationsbuch zurückzugeben und seinen Thaler wieder zu holen. Aber da hatte er sich gründlich verrechnet, im Hause der Barmherzigen wies man ihm die Thüre; um eine Erfahrung reicher und um 3 Mark ärmer, verließ er unter Verwünschungen schleunigst das Revier der Wasserwunder und der Barmherzigkeit.

 

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Hatte nun der in seinen Erwartungen meistentheils gründlich enttäuschte Patient seine Verordnungen auf 14 Tage bis 3 Wochen in das sogenannte Ordinationsbuch eingetragen erhalten und betrachtete der Neuling verständnißlos die eingetragenen Buchstaben O. S. R. O. H., so winkte schließlich der beisitzende Kneipparzt dem Abziehenden auf die Seite und lud denselben recht freundlich und zuvorkommend in seine Wohnung ein, um die geheimnißvolle Ordination genauer zu erklären, deren Anwendung zu lehren, eventuell eine Untersuchung des Patienten vorzunehmen und berechnete für dieses menschenfreundliche Entgegenkommen je nach Umständen und Rock des Patienten 3 bis 10 Mark.

Die wunderbare Kneippschule geht auch hier die eigenen Wege, zuerst Ordination, dann Diagnose, dann Untersuchung. Gewöhnliche, nicht hochwürdig angestellte Ärzte machen es in der Regel umgekehrt. War der Fremde nun von Herrn Prälat oder vom Prior und Arzt für den Betrag von 6 bis 10 Mark abgefertigt, so ist er 14 Tage oder 3 Wochen sich selbst überlassen und kann thun und treiben was ihm beliebt, keine Seele bekümmert sich um sein Befinden, um seinen Krank-

 

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heitszustand, um sein Kurleben und um Ausführung der Verordnung. Exempla trahunt – Beispiele wirken ansteckend, deshalb macht es der Ankömmling in der Regel, weil man nun doch einmal an dem Wunderort ist und nicht gerne ohne Resultat heimkehren will, wie die Mehrzahl der Neulinge, er schließt sich an den großen Haufen der Kneippkurverehrer an, er wirkt als aktives Mitglied an dem jahrmarktähnlichen Treiben der Kurgäste mit und das Kneippfieber beginnt in seiner Wirkung.

 

Um jedoch als ächter Kneippianer und richtiger Kaltwassermensch zu gelten, wird vor allem die Kneippuniform angeschafft. In erster Linie werden die verpönten Schuhe und Strümpfe abgelegt, dieses gemeine, gesundheitswidrige Zeug mit Hohn und Verachtung bei Seite gestellt und die wunderbaren Sandalen angeschnallt; die Hose wird entweder einfach in Kniehöhe abgeschnitten oder aufgestülpt, um die blosen Füße und Unterschenkel der Luft auszusetzen, wenn auch die liebe Sonne im Sommer der Haut den Garaus macht und dieselbe in Fetzen weghängt oder im Winter blau wird und erfriert. Ein weiterer gewichtiger Artikel im Kneippsystem ist die Mütze; dieselbe muß weiß, von weißer Farbe sein und ditto Schild haben. Ein rauhes leinenes Hemd ohne Halskragen, ebensolche Kniehosen vervollkommen die Toilette des Kneippgigerls. Ein nothwendiger Apparat ist ferner die Touristenflasche, wenn möglich mit Kneipp'scher Photographie; dieselbe wird mit Wasser gefüllt und alle Stunden ein Schluck genommen. Die Wassergrammatik bildet einen weiteren wichtigen Theil der Kneippausrüstung. Das schöne Geschlecht hat als Kneipp- und Promenadekleid – den Schlafrock oder das Hängekleid, als praktisch und hygienisch erprobt und allgemein eingeführt. Nun kann es losgehen, – Oberguß, Schenkelguß, Knie- und Rückenguß, Voll- und Blitzguß, Halb- und Sitzbad, Malzkaffee, Zinnkraut, Wassertreten, Kraftsuppe, Graslaufen, Toppenkäse [Topfenkäse, Quark], Kleie, Honigwein, auch Knochenmehl, – alles wird versucht, um die Gesundheit zu verbessern.

 

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Ein richtiger Wasserfex sucht auch seine medizinischen Kenntnisse zu bereichern und geht fleißig jeden Abend zu den Vorträgen in der Wandelbahn. Bekommen die Kneippgüsse gut, so erklärt der pfarrherrlich diplomirte Gießer dem Patienten, dem in der Regel nicht viel gefehlt hat, – es gießt ja in Wörishofen eine Masse sogenannter Bäderbummler, die überhaupt nicht krank sind und den Wörishofener Hausbesitzern einen Hungerlohn für Wohnung bieten, – „Sehen Sie die enakte [exakte?] Wirkung der Kneippkur?“

Bekommen die Güsse nicht gut, so wird dem Begossenen erklärt, daß die Wasserkur im Anfange immer etwas stark wirke, man sehe es nicht ungern, wenn es im Anfänge der Kur etwas minder gehe, das muß sogar so sein, denn es ist ein Zeichen, daß die Kur angreift.

Hilft die Wasserpantscherei auch nach Monaten nichts, so wird dennoch von allen Seiten sichere Genesung in Aussicht gestellt, – wenn auch erst in einigen Jahren und mancher eingebildete Kranke, der es sich leisten kann, ergreift gerne die Gelegenheit, mehrere Jahre die Zeit mit der Kneippkur zu verbummeln. Übrigens heilt die Kneippkur natürlich alles, nur gegen jene Form von angeborener Geistesschwäche, die man als Dummheit zu bezeichnen pflegt, scheint sie leider auch machtlos zu sein, – wofür die Thatsache seiner weiten Verbreitung den allerbesten Beweis liefert.

 

Beklagte sich ein Patient über das ewige Einerlei der Güsse, oder behauptete er, gar keine Erfolge zu erzielen, oder die Güsse nicht ertragen zu können, so wurde dem Unzufriedenen gesagt: „Wir haben Sie nicht veranlaßt hieher zu kommen.“ Mancher Arme bezahlte für die Kneipp'sche Ordination nichts, wenn er ein amtlich beglaubigtes Zeugniß vorlegen konnte. Viele Mittellose scheuten sich, ein Armuthszeugniß von der Behörde zu verlangen und ebneten die gestellte Rechnung. Wohlhabende, reiche Patienten, welche in der Regel viele Jahre gegen ihre Gesundheit gesündigt haben, durch Müßiggang, Wohlleben und Genüsse aller Art übersättigt, nervös, blasirt und fett geworden sind, ihre Gesundheit zer-

 

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stört und das Nervensystem durch Alcohol, Liebe und Nicotin zerrüttet haben, durch Arzneimittel und andere ungenügend durchgeführte Kuren keine Hilfe finden konnten, opferten in der sehnlichsten Erwartung und im besten Glauben an die Wasserwunderkur und an den hochwürdigen Arzt reichliche Gaben und der uneigennützige Menschenfreund nahm oftmals für einen geringfügigen Rath ganz ruhig 25, 50, 100 und 200 Mark als Entlohnung und zur Verwendung für wohlthätige Zwecke entgegen.

 

Christus der Herr hat Wunder gewirkt und unter anderen einmal Wasser in Wein verwandelt, – aber der päpstliche Hausprälat, Pfarrer Kneipp, der ehemalige Webergeselle von Stephansried, wirkte viel größere Wunder, indem er aus einer Mischung von Größenwahn, Aberglauben, Krankheit und Wasser jeden Tag ein schönes Quantum gediegenes Gold erzeugte. Eine Unmasse edlen Metalles in Form von Goldmünzen wurde in früheren Jahren durch den Hausgang und namentlich durch die Küche in den Pfarrhof nach Wörishofen geschleppt; (heute wird das gläubige Volk im Sebastianeum absolvirt). Die pekuniären Verhältnisse nahmen einen riesigen Aufschwung, der Pfarrherr und seine Köchinnen starrten von Gold und es ging wie in Salomons Tempel – „sie achteten das Silber kaum mehr.“ –

 

Aus allen Himmelsgegenden laufen seit vielen Jahren auf dem Kneippbureau täglich Hunderte von Briefen ein, welche mit Geldeinlagen versehen sind, worin der Hochwürdige um Rath und Hilfe in Krankheitsangelegenheiten ersucht wurde. Von allen diesen Briefen bekam der Adressat oftmals keinen einzigen in die Hände; diese schriftlichen Anfragen wurden von einigen Klosterbrüdern, welche vom Naturheilverfahren so viel verstehen, wie der Esel vom Lautenschlagen, in Form von gedruckten Formularien im Auftrage und im Namen Kneipp beantwortet und die Geldeinlagen, 5-Markscheine, Guldenzettel und größere Geldbeträge, hohnlachend eingeheimst.

 

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Diese gedruckten Kneipp'schen Ordinationsbogen haben am Beginn des Kopfes als Einleitung in gesperrter Schrift den bezeichnenden Satz: „Vergelt's Gott für die Einlage von ...“ Ein weiterer Kommentar ist überflüssig.

 

Ein Arzt in Düsseldorf, welcher auch ein medizinisches Schreibe- und Geschäftsbureau eingerichtet hatte und die Dummheit und Leichtgläubigkeit der Menschen ausnützte, wurde wegen Betrug bestraft, während Kneipp und seine Jünger als Wohlthäter der Menschheit gepriesen werden.

 

Im Sebastianeum und auch im Kneippianeum wurden unter Anleitung des Priors Hausapotheken für Kneippspezialitäten eingerichtet und nicht blos einfache Thees, sondern gemischte Thees, gemischte Pulver und eine ganze Reihe von Tinkturen, Essenzen u.s.w., dem Verkaufe unterstellt, deren Abgaben gesetzlich verboten sind. Wenn die harmlosen Thees nicht mehr ausreichen, so greift der Prior in die lateinische Giftküche und gibt einem Herzleidenden Digitalispulver oder giftigen Fingerhutkrautthee u.s.w. Auch die Ausführung von Harnuntersuchungen übernehmen die Barmherzigen und berechnen hiefür hohe Preise u.s.w. u.s.w.

 

Sowohl die barmherzigen Brüder als auch die armen Schwestern ergreifen jede Gelegenheit gerne, ihr großes Klostervermögen zu vermehren und betrachten dieses irrthümlich als den Hauptzweck ihres Ordens. Die Kneipp'schen Hausir- und Renommirreisen warfen ebenfalls hohe Einnahmen ab, denn die Welt ist weit, die Neugierde, das Elend und die Dummheit der Menschen allenthalben noch entsetzlich groß.

 

Die Kneippbücher, die Kneippwäsche, Honigwein, Kneippcigarren, Kneippkaffee, Kneipppillen, trugen dem Wohlthäter der Menschheit jährlich noch große Summen ein und besser Unterrichtete schätzten die Nebeneinkünfte des uneigennützigen, barmherzigen und gottbegnadeten Arztes jährlich auf hunderttausende von Mark und dieser wagte in seinen Schriften zu behaupten, daß er nur um Gotteslohn arbeite und Verfolgung, Undank, Spott und Hohn seine Diäten seien!!! –

Aber des Wasserapostels Sack hatte keinen Boden;

 

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immer wieder wurden neue Unternehmungen geplant, neue Kasernen und Kurhäuser gebaut, neue Reklamen geschmiedet, neue Bücher geschrieben und neue Hausirreisen unternommen, damit die moderne Krankheit, das Kneippfieber, sich immer weiter ausbreitet und die Wallfahrt nach Wörishofen gehoben wurde, nicht aus Nächstenliebe und zum Wohle der Menschheit, – sondern aus Ehrgeiz und Gewinnsucht.

 

Das Kommen“ eines jeden Hilfesuchenden war für den Begründer der Kurmethode, für den Prior und seine sogenannten barmherzigen Brüder und Schwestern und für den übrigen, unbarmherzigen Anhang keine Last, wie das Büchlein „Meine Wasserkur“ schreibt, sondern gleicht einer sehr einträglichen Goldgrube, welche mit allen Mitteln und mit besten Kräften ausgebeutet wird.

Deßhalb wurde auch, um das erwünschte Kommen der überlästigen Fremden zu erleichtern und bequemer zu machen, eine Eisenbahn von Türkheim nach Wörishofen gebaut. Um die Ausbeutung der wässrigen Goldgrube, dieser herrlichen Goldquelle auch fernerhin zu ermöglichen, zu veranlassen und zu unterhalten, hat der geschäftsgewandte Prälat bei Lebzeiten einen würdigen Nachfolger gewählt und eingeführt.

Wohl wissend, daß ein Herr im geistlichen Gewände dem leichtgläubigen, hilfesuchenden, kranken Volke mehr imponirt und mehr Vertrauen einflößt, so hat er nicht, wie man nach Sachlage annehmen sollte und wie das Buch „Meine Wasserkur“ an einer anderen Stelle selbst wünscht, nicht die Ärzte, also die langjährigen Mitarbeiter und Fachleute, sondern einen Laien im klösterlichen Habit, einen Laienbruder in der Mönchskutte als Nachfolger eingesetzt!

 

Nach den überraschenden Erfahrungen mit dem Reklamebuch „Meine Wasserkur“ wurde auch für den Kneipp'schen Nachfolger ein weiteres Werk, „Mein Testament“, geschrieben. Auf dem Titelbilde des Buches drückte der Verfasser seinen letzten Willen klar aus: „Ich setze mich jetzt zur Ruhe, aber mein barmherziger Prior Bonifaz steht vor euch, er sei mein Nachfolger.“

In den spekulativen Interessenkreisen Wörishofens

 

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wird seit langer Zeit dieser ehemalige ehr- und tugendsame Sattlergeselle, jetzt Prior, mit besonderem Eifer als ein gar tüchtiger, frommer und erfahrener Mann gepriesen ; die Wörishofener Geschäftsleute erzählen von ihrem Prior, er verstehe die Wasserkur und das Wunderwirken noch viel besser als der Prälat selber, so daß der alte Herr auf seinen Zögling bereits hie und da eifersüchtig wurde; denn jedem Neuangekommenen wurde der gute Rath ertheilt „geht nur zum Prior, der kann euch noch bessere Hilfe leisten als Kneipp selber, auch ist derselbe nicht so grob wie der alte Herr.“

 

Dieses geschah natürlich nur, um den Prior schon bei Lebzeiten des Prälaten einzuführen, damit wenn je der alte Herr das Zeitliche segnen sollte, ein gutgeschulter Nachfolger für den großen Wasserapostel geschaffen ist und die weitere Ausbeutung des Kurpublikums keine unliebsame Unterbrechung erleide. Die Kneipp'sche Kurleitung hielt es auch für angezeigt, daß der Prior auf schriftstellerischer Thätigkeit seinen Befähigungsnachweis als Wunderdoktor liefere und man räumte demselben in dem letzten sogenannten Kneippschen Buche, „Das Codizill“, eine Abtheilung zu und erwähnte denselben als Autor. Seine ganze Arbeit und Leistung bestand darin, daß er einige Kapitel aus dem Buche „Ranke, Der Mensch“ abdrucken ließ.

 

Die Ausübung der Naturheilmethode, der Hotel-und Badeanstaltbetrieb, gehört zum Gewerbe. Wer ein Gewerbe, ein Geschäft ausüben will, sei vor allem Bürger; nur dieser und nicht der vom Staate angestellte Beamte, Pfarrer oder Klosterinsasse ist berechtigt, zum Lebensunterhalte, zur Gründung einer Familienexistenz ein Gewerbe ausznüben. Der Talar, der Theologe, gehört in die Kirche, das Ordensgewand, Mönche und Nonnen, hinter die hohe Klostermauer. Es ist in hohem Grade unmoralisch und standeswidrig, wenn ein Priester unter Hintansetzung des eigentlichen Berufes sich aus Gelderwerb mit Ausübung eines Gewerbebetriebes

 

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befaßt, oder wenn zu diesem Zwecke ein ungebildeter Laie im Ordenshabite als Strohmann und Lockvogel ausgestellt und vorgeschoben wird, um das hilfesuchende, kranke Volk zu ködern und auszubeuten !!!

Welt- und Ordensgeistliche, welche ihre vertrauenerweckende Stellung zum Gelderwerbe mißbrauchen, das Hotelgewerbe ausüben und Kuranstalten betreiben, wie es in Wörishofen im Sebastianeum, Kneippianeum und Kinderasyl, ferner in Krumbach, Jordanbad u.s.w. thatsächlich der Fall ist, machen sich des unlauteren Wetterwerbes schuldig, sie arbeiten nicht, wie sie angeben, aus Nächstenliebe und Barmherzigkeit, sondern aus schnöder Gewinnsucht unter dem Deckmantel der Religion.

So schreibt z.B. ein Pfarrer und Badbesitzer in öffentlichen Blättern über seine Heilanstalt: „Die Leitung und Pflege wird von Ordensschwestern besorgt, da das Bad rein aus Gründen der Barmherzigkeit erworben wurde und ausgeübt werden soll zum Heile der leidenden Menschheit. Was wir den Badebesuchern leisten können an Werken der Barmherzigkeit, zur Heilung oder wenigstens zur Linderung ihrer Krankheit und Leiden an Körper und Geist, soll alles mit Freude und mit Opferwilligkeit geschehen. Auf diese Weise möchte das Beste und Wohlgefallen der Menschen und der Segen Gottes erlangt werden.“

 

Wer infolge dieser gleisnerischen Reklame sich entschließt, das pfarrherrlich mit dem Segen Gottes versehene Bad zu besuchen, wird dann finden, daß die klugen Klosterfrauen es ganz gut verstehen, ihre Rechnung zu stellen. Obwohl diese frommen und demüthigen Ordensschwestern für Kapitalanlage, Verzinsung, für Bedienstete, für Bademeister, Kellner u.s.w., nicht das Geringste zu leisten haben, auch für die eigene Person wenig Bedürfnisse haben, – so verrechnen sie für Pension, Wohnung, Bad u.s.w., ganz

 

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anständige Preise, wie solche in jedem andern Priatunternehmen nicht höher sind, und belästigen den scheidenden Kurgast oftmals noch mit der Opferbüchse um milde Gaben für wohlthätige Zwecke. Manchmal gelingt es auch, eine ältere, wohlhabende, hysterische und gottesfürchtige Patientin, im Interesse ihres Seelenheiles, zu einer größeren testamentarischen Schenkung zu veranlassen und die todte Hand hält allenthalben reichliche Ernte.

 

Die Ökonomen [Bauern], Handwerker, Gewerbetreibende und Kaufleute in der Umgebung werden nicht nur nicht berücksichtigt, sondern vielfach in ihrem Geschäfte und in ihrem Verdienste beeinträchtigt und entsteht viel böses Blut. Die in ihrem Erbrechte geschmälerten und in ihrem Geschäfte beschädigten Leute schauen mit Mißvergnügen, Ärger und Neid auf das Handeln, Thun und Treiben dieser Herren, weil dieselben durch ihre eigene Art des unlauteren Wetterwerbes und durch ihre weißen Sklaven (Ordensschwestern) eine erdrückende Concurrenz schaffen und nicht einmal den Grundsatz beachten: „Leben und leben lassen.“ Glücklicher Weise sind es nur einige wenige Kleriker, welche diese Übergriffe billigen, die größte Mehrzahl verurtheilt die Zustände in Wörishofen und in ähnlichen Fällen und sind es namentlich unsere hochgeachteten bayerischen Pfarrherren, welche gegen die Kneipp'schen Bestrebungen Stellung nehmen, wie nachstehender Zeitungsansschnitt lehrt.

Vom Lande schreibt uns ein kath. Pfarrer *): In Nr. 11 der „Augsburger Postzeitung“ konnte man Ausführliches über den Besuch lesen, welchen Pfarrer Kneipp von Wörishofen dem Priesterseminar zu Dillingen

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*) Der Herr Verfasser der obigen höchst beherzigenswerthen Ausführung bemerkt in einem Begleitschreiben: „Vielleicht wird mir ebenfalls von gewisser Seite her das Prädikat „Judas“ entgegengeschleudert, wenn ich in Ihre Zeitung korrespondire; aber es soll mich nicht stören. Ich glaube der Wahrheit damit am Besten dienen zu können.“

 

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am Nachmittag des 13. Januar abgestattet hat. Pfarrer Kneipp, von der Regentie des Hauses und den Alumnen begeistert empfangen, hielt eine 2stündige Rede über die „wichtigsten Punkte seiner Gesundheitslehre mit besonderer Anwendung auf das Seminar- und Seelsorgsleben.“ Er erzielte „nicht endenwollenden Beifall“.

Regens Dr. Ahle sprach dem Gaste für sein Wohlwollen gegen das Seminar, für welches dieser 6 Freiplätze in neuester Zeit gestiftet hatte, und für die „lehrreichen Stunden“, die er seinen Alumnen bereitet habe, seinen Dank aus. Er versprach, „die Vorschläge Kneipps“ im Seminar thunlichst durchzuführen. Schließlich fand „Konsultation“ für die Alumnen statt, unter denen „zahlreiche Anhänger und Jünger Kneipp's, des weltbekannten, großen Wohlthäters der kranken Menschheit, und seines naturgemäßen Systems sich befinden.“ Die Propaganda des Kneipp'schen Heilverfahrens im Priesterseminar zu Dillingen, aus dem der größere Theil des Diözesanklerus hervorgeht, will uns nicht recht gefallen. Wir stellen die Frage: Welche Garantie bieten denn die „zahlreichen Anhänger und Jünger Kneipp's und seines „naturgemäßen" Systems im Priesterseminar zu Dillingen dafür, daß sie in ihrer späteren Seelsorgspraxis die richtige Stellung den Berufsärzten gegenüber einzunehmen vermögen? Diese besteht darin, daß der Geistliche den ärztlichen Stand und seinen Träger achte, innerhalb und außerhalb der Krankenstube sich peinlichst vor einem Eingreifen in die ärztliche Sphäre hüte, das Vertrauen des Patienten zum Arzte fördere, jegliches Pfuscherthum verdränge. Hält der Geistliche die Stellung ein, so kann er sicherlich auf ein Entgegenkommen des Arztes rechnen und wird oft die wohlthätigen Wirkungen guten Einvernehmens für die eigene Berufsthätigkeit am Krankenbette empfinden; und so ist das Wohl des Patienten gewährleistet. Störungen des rechten Verhältnisses zwischen Seelsorger und Arzt sind des Patienten Unheil. Die Kneippbewegung deucht uns eine Gefahr für das rechte Einvernehmen zwischen beiden Berufsständen zu sein. Sie hat erklärlicherweise gerade den geistlichen Stand erfaßt, findet in diesem mächtigen Vorschub und große Reklame. Jetzt sehen wir, daß schon an

 

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der Pflanzstätte des Klerus die noch nicht urtheilsreifen Köpfe der Alumnen für das Kneippsystem präparirt werden. So geschieht es, daß die Zahl geistlicher Kurpfuscher Kneipp'scher Obedienz steigt, daß die Fülle ärgerlicher durch Übergriffe entstehender Differenzen zwischen Arzt und Seelsorger sich mehren werden. Wir wissen gar wohl und im Interesse der Standesehre freut es uns, das konstatiren zu können, daß viele Jünger Kneipp's, geistlichen Standes, für sich allein „Kneippianer“ sind und gegen den ärztlichen Stand sich taktvoll benehmen: daß aber so alle Verfahren, und daß so namentlich die aus dem Seminar hervorgehenden Kneippjünger verfahren werden oder können, wagen wir im Hinblick auf Erfahrungen nicht zu behaupten. Wir kennen die Natur des echten Kneippjüngers nur zu gut. Er mißachtet die ärztliche Wissenschaft, er mißtraut dem ärztlichen Können. Der Arzt scheint ihm ein privilegirter Giftmischer zu sein. Kneipp's System ist ihm das „naturgemäße“. Wie ein Muhamedaner auf seinen Propheten schwört: „Es ist nur ein Gott und Muhamed ist sein Prophet“, so lautet des Kneippjüngers Wahlspruch: „Und Kneipp ist sein Arzt.“ Während er so in Kneipp das Heil der kranken Menschheit erblickt, juckt es ihn selber an allen Ecken und Enden, einen Kneipp im Kleinen zu spielen. Aber leider, der Jünger ist nicht über den Meister, der Jünger wird und bleibt ein Kurpfuscher.

 

Wir wollen nicht Kneipp selbst und seine Heilmethode verurtheilen, im Gegentheil, aber darin fehlt Kneipp in schwerer Weise, daß er sein System, und zwar zur Heilung von Krankheiten oft schwerer Natur, populär gemacht hat und immer noch macht. Dadurch zieht er in unserer dem medizinischen Aberglauben verfallenen Zeit ein unseliges Kurpfuscherthum groß. Darin fehlt Kneipp oder sein Anhang, wir wissen nicht, inwieweit Kneipp der schiebende oder geschobene Theil ist, daß die Erfolge der Ärzte verschwiegen, ihre Mißerfolge in düstern Farben dargestellt werden, daß die eigenen Erfolge marktschreierisch ausposaunt, die eigenen Mißerfolge aber mit dem Mantel der Verschwiegenheit zugedeckt werden.

Die Kneippreklame, so oft Geschäftsreklame mit

 

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Benützung des Namen Kneipp, entwirft vom ärztlichen Stande, seinem Wissen und Können, ein falsches Bild, untergräbt das Ansehen des ärztlichen Standes beim heilbedürftigen Publikum, sucht die Heilkunde, die doch nur Sache eines bestimmten, fachgebildeten und approbirten Standes, des ärztlichen Standes allein sein kann, zum Gemeingut zu machen. Indem so die Kneippreklame bald direkt bald indirekt den ärztlichen Stand und seine Gerechtsame angreift, treibt sie mit ihrem Meister eine Art Idoletrie [Idolatrie, Götzenverehrung], die besonnene und nüchtern denkende Menschen anekelt. Bei diesen Erscheinungen der Kneippbewegung wäre es doch sehr bedauerlich, wenn der Klerus auf der richtigen oben gekennzeichneten Stellung zum ärztlichen Stande herausgedrängt würde, wenn er sich verleiten ließe, in das medizinische Gebiet hineiuzupfuschen. Die Gefahr hiezu wächst in dem Maße, als der Klerus von der Kneippbewegung sich erfassen läßt. Der „Kneippabend“ des 13. Jan. im Klerikalseminar zu Dillingen scheint uns von übler Vorbedeutung zu sein. Im Interesse des Wohles der Patienten, das so oft von der Eintracht der beiden Berufe abhängig ist, in Rücksicht auf die Ehre des eigenen Standes, für die Kurpfuscherei ein Schandfleck ist und bleibt, erheben wir unsere mahnende Stimme. Theologie den Theologen und Medizin den Medizinern! „Der schild die sündige Seele aus, der flickt ihr verfallenes Haus.“ Und, ohne daß ein Stand in den andern eingreift und dadurch schimme Kollisionen hervorruft, wird er an seinem eigenen Berufskreuz genug zu schleppen haben. „O jerum, jerum, jerum, o quae mutatio rerum!

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Jeder Fremde, welcher zur Kur nach Wörishofen kommt, wird direkt und indirekt veranlaßt, für längere Zeit daselbst Aufenthalt zu nehmen, denn nur in Wörishofen kann man gesund werden. Man scheut nicht davor zurück, andere Kurorte zu schädigen und in Mißkredit zu bringen und die Kneippbücher selbst gehen mit wenig erbaulichem Beispiele voran und berichtet das Buch „Mein Testament“ auf Seite 262:

 

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Ich kenne eine kleine Stadt, welche Jeden, der dort hinkommt, gefällt und gerade in dieser Stadt sterben viele an der Schwindsucht. Meine Ansicht über die Ursache dieser Erscheinung geht dahin: Es hat die Stadt gegen Westen, also der Windseite zu, eine Anhöhe, welche über dieselbe hinausragt, somit kann diese und die Häuser nicht gelüftet werden. Dann läuft ein Bach durch die Stadt, da aber der Wind nicht weht, so können die Dünste desselben nicht durch die Luftbewegung entfernt werden und die Folge davon ist, daß die Luft feucht und ungesund ist.“

 

An dieser thörichten Ansicht und armseligen Begründung ist folgendes wahr und Thatsache: Bewußtes Städtchen ist gegen Westen durch eine stark bewaldete Anhöhe gegen direkte rauhe Winde geschützt, es läuft ein Fluß durch die Stadt und dieselbe ist wegen ihrer hübschen und gesunden Lage, herrlichen Luft und freundlichen, von allen Seiten umschlossenen Waldungen und Anlagen als Mineralbad, Waldluftkurort und Sommerfrische seit Jahren besucht. Neue Wasserleitung mit vorzüglichem Quellwasser und Hochdruck, Kanalisirung, Pflasterung, Trottoirs, helfen mit, die hygienischen Verhältnisse auf das günstigste zu beeinflussen.

In diesem herrlich gelegenen Waldlustkurorte ist eine Erkrankung an Schwindsucht niemals häufiger vorgekommen als anderswo, wohl aber sind schon viele Brustkranke, welche von auswärts zur Luftkur in genanntes Städtchen kamen, mit dem Erfolge des Aufenthaltes sehr befriedigt gewesen. Die Kneipp'sche Behauptung, daß in dieser Stadt viele an Schwindsucht sterben, ist vollständig unrichtig; es ist statistisch nachgewiesen, daß die Lungenschwindsucht am häufigsten in Klöstern und Zuchthäusern vorkommt, weil solchen Einwohnern die nöthige frische Luft, gesunde Wohnung und entsprechende Bewegung fehlt, – auch in der genannten Stadt ist ein Kloster, dessen ungesunde feuchte Klosterräume überfüllt

 

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sind, infolge dessen die Insassen, namentlich auch deßwegen, weil die Klosterfräulein durch Schulunterricht überangestrengt sind, zu leiden haben; aber deßhalb die ganze Stadt dafür verantwortlich machen und dieselbe als Seuchenherd für Lungenschwindsucht hinzustellen, verräth eine gänzliche Verkennung der Thatsachen. Es muß aber hinzugefügt werden, daß in jüngster Zeit im genannten Kloster großartige Bauten vorgenommen wurden, um die schlimmen Zustände zu beseitigen.

Als schlagender Gegensatz kann angeführt werden, daß in demselben Städtchen neben dem einen untern Kloster nur hundert Meter entfernt, das obere Kloster besteht. In diesem Gebäude sind die Klosterfrauen kerngesund und werden steinalt, weil das Gebäude eine sonnige Lage hat, nur schwach besetzt ist und weil diese Klosterfrauen keinerlei Arbeit leisten, denn dieser Orden befolgt die Ermahnung des Erlösers nur zur Hälfte; derselbe sprach: „Betet und arbeitet!“

 

Nachdem der Herr Prälat Kneipp an eine sehr einfache Lebensweise gewohnt war und für die eigene Person wenig Bedürfnisse hatte, so ist man unwillkürlich veranlaßt, zu fragen, wie wurden die ungeheuren Geldsummen, welche im Pfarrhofe in Wörishofen zusammenströmten, verwendet? Wurden die reichlichen Geschenke, welche wohlhabende Patienten spendeten, im Sinne der Geber, nämlich zu guten und wohlthätigen Zwecken, zur Unterstützung armer, hilfsbedürftiger Kurgäste verwendet???

Das erste, größere Unternehmen war der Aufbau eines großen Hauses, genannt Sebastianeum, für den hochwürdigen Klerus, damit die Wörishofen besuchenden Herren geistlichen Amtsbrüder angenehm wohnen und gut und billig verpflegt werden können, in der Voraussetzung, daß diese Herren Clerici aus Dankbarkeit am meisten für die Kneippkur agitiren und ein regelrechtes, lustiges und fröhliches Kesseltreiben nach dem Wunderkurort Wörishofen veranstalten werden. Thatsächlich waren aus rein katholischen Gegenden z.B. Österreich, Ungarn, Böhmen, Frankreich, Polen etc. die meisten

 

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Besucher anwesend. Den Hotelbetrieb im Sebastianeum hatten Klosterfrauen übernommen, an deren Spitze als Verwalterin eine Oberin eingesetzt wurde. Kneipp glaubte bei seiner Vorliebe für die Ordensschwestern auf diese Weise am besten für seine Confratres gesorgt zu haben.

Doch das Zusammenleben von Priestern und Klosterfrauen dauerte nicht lange – für letztere zogen barmherzige Brüder ein. Diese, an Glücksgütern reiche Spekulanten im Ordensgewande, merkten sofort, daß im Sebastianeum ein schönes Stück Geld zu verdienen ist, wenn man dasselbe vergrößert, als Hotel im großen Maaßstabe betreibt und auch Nichtgeistliche aufnimmt, und es entstand in kurzer Zeit eine Riesenkaserne für alle Bessersituirte.

 

Mit diesem ersten Unternehmen wurde den am Platze befindlichen Gasthäusern, Hotels und Pensionen, eine empfindliche Concurrenz bereitet, obwohl die Leistungen der Barmherzigen sehr mittelmäßig sind, über die Küche derselben wird vielfach geklagt, aber dieselbe wird allein als kurgemäß erklärt, wenn sie auch die am schlechtest zubereiteten Gerichte liefert.

 

Das zweite Unternehmen bestand in der Erbauung eines Hauses für kranke Kinder, genannt Kinderasyl. In diesem Asyle können kranke Kinder Aufnahme und Verpflegung finden, wenn entsprechende Vergütung erfolgt, umsonst geschieht grundsätzlich nichts. Die Verwaltung und Pflege der Kleinen wurde wieder den bevorzugten Ordensschwestern übergeben. Prälat Kneipp und sein Oberarzt leiteten die ärztliche Behandlung und Oberaufsicht.

Eltern, welche ihre Kinder dorthin brachten, waren voll Vertrauen und glaubten, daß dieselben auch wirklich gut verpflegt und sorgfältig behandelt würden; denn wenn ein Priester, ein Arzt und Ordensschwestern an der Spitze des Unternehmens stehen, sollte ja überhaupt kein Zweifel auftauchen, als ob es anders sein könnte. Doch die Erfahrung lehrte das bittere Gegentheil. Kneipp schuf statt einer Heilanstalt einen Seuchenherd für Typhus.

 

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Der Stifter des Kinderasyles war nicht im Stande, sich um die kranken Kinder vollauf anzunehmen; der betreffende Asylarzt fand es für nützlicher, in seiner Wohnung Consultationen zu geben und die Kneipp'schen Ordinationen zu erklären, weil er dort mehr verdiente, als bei den armen Kleinen im Kinderasyl. Verpflegung und Reinlichkeit ließen im Asyle vielleicht auch manches zu wünschen übrig und so geschah es, daß – man sollte es für unglaublich halten – in der neuen Anstalt, die auf luftiger Höhe, auf jungfräulichem Boden, gut und und rationell gebaut wurde, eine Typhusepidemie auftrat, von welcher sehr viele Kinder befallen wurden und mehrere der tückischen Krankheit unterlagen. Zu jener Zeit herrschten im Kneipp'schen Kinderasyle schauderhafte Zustände, welche von der gänzlichen Unfähigkeit und unverantwortlichsten Gewissenlosigkeit der Kurkommission Zeugniß ablegten.

 

Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ brachten am 7. November 1894 folgenden Aufsatz von einem Arzte:

Die Zustände im Kinderasyl in Wörishofen. Von einem Arzte.

Vor etwa anderthalb Jahren war ich zum ersten Male in Wörishofen und habe mir die dortigen Verhältnisse und besonders das Kinderasyl angesehen, das für den Arzt viel des Interessanten bietet. Mit größter Bereitwilligkeit wurden wir – ein befreundeter Arzt und ich – in dem stattlichen Hause herumgeführt, das auf luftiger Höhe gelegen ist und aus dem Hunderte fröhlicher Kinderstimmen dem Besucher entgegenschallen. Die Kinder scheinen gewöhnt zu sein an den Anblick, der sie täglich und stündlich umgibt, sie scheinen nicht gestört zu werden in ihren Spielen durch die oft abstoßenden Gebrechen ihrer kleinen Leidensgefährten: die Gewohnheit und der leichte Sinn des Kindes, das ja oft gar nicht versteht, was es sieht, unterstützen sich zum Glücke für die armen Kinder. Denn was sie sehen, ist oft tieftraurig. Zwei Bilder, die ich damals sehen mußte, haften fest in

 

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meinem Gedächtnisse. In der Ecke eines Zimmers, das als Spiel- nnd Tagesraum diente, lag in seinem Bettchen todtenbleich ein etwa 12jähriges Mädchen mit schwerer Lungentuberkulose – im Sterben. Rings umher lärmten und spielten die anderen Mädchen, keines von ihnen achtete auf den Zustand der Spielgefährtin, so wenig wie auf die gelähmten oder blinden Kinder, die in den anderen Ecken still in ihren Stühlchen saßen. In einem anderen Zimmer, einem Schlafraum, lag ein blasser Knabe allein; er wußte ganz gut, was ihm fehlte, und die Krankheit stand auch richtig in dem Kurbüchlein, das neben ihm lag, verzeichnet: Coxitis, Hüftgelenksentzündung. Es war eine schwere Form dieser schweren Krankheit und aus einer großen Zahl von Fisteln floß reichlicher Eiter und beschmutzte das Bettlaken, wo er eintrocknete und eine starre, häßliche Kruste bildete – Verband hatte das Kind keinen und um die schwere Stellungsveränderung im Hüftgelenke schien sich Niemand zu kümmern. –

 

Solch' grosse Dinge habe ich bei meinem diesmaligen Besuche nicht gesehen. Es fiel mir überhaupt manche Veränderung gegen früher auf. Zunächst, daß es ungemein viel schwieriger ist, in dem Kinderasyl Einlaß zu finden. Die früher vorhandene Tafel mit der Angabe der Besuchsstunden ist entfernt. Die Besuche werden so viel wie möglich eingeschränkt. Weit vorsichtiger und mißtrauischer wie früher werden die Besucher herumgeführt; sie bekommen weniger zu sehen wie früher. Eine weitere Änderung, die mir sofort – und zwar wohlthuend – auffiel, ist die Stellung der Betten. Früher standen sie oft drei und vier nebeneinander in einer Reihe, so daß die Kinder über die äußeren Betten hiuübersteigen mußten, wenn sie in die mittleren gelangen wollten. Jetzt stehen sie in Längsreihen, in großen Sälen, alle mit reinen Tüchern bedeckt, was früher nicht überall der Fall war. Die Schlafsäle, die ich sah, waren gut gelüftet, allein der Eindruck, den jeder Besucher erhält, trotz der Größe und Höhe der Säle, muß unbedingt der sein, daß sie als Schlafsäle überfüllt, mit Betten förmlich vollgepfropft sind. Daß der Luftraum an sich bei der Höhe der Zimmer vielleicht eben genügt, mag zugegeben werden; allein in jedem anderen

 

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Krankenhause würde ganz sicher höchstens die Hälfte der Betten bei gleicher Zinnnergröße, bezw. Bodenfläche, aufgestellt werden dürfen. Es macht einen durchaus unangenehmen Eindruck, wenn je 20 - 24 Betten enggedrängt in einem Saale stehen, so daß nur der allernothdürftigste Raum für die Bewegung übrig bleibt.

Die große Mühe, die sich die Pflegeschwestern geben, die überfüllten Räume sauber zu halten, muß dabei ganz anerkannt werden. Nicht zu billigen ist, daß auch in den für den Aufenthalt bei Tag bestimmten Räumen, die für die große Zahl der spielenden und lärmenden Kinder ohnehin sehr beschränkt erscheinen, noch zwei bis acht Betten stehen, die mit zum Theil recht schwer kranken Kindern belegt sind. Entschieden zu verwerfen ist aber, daß Kinder mit Epilepsie und Chorea ohne jede Trennung unter den vielen andern Kindern verweilen.

 

Ein etwa vierzehnjähriger Knabe hatte gerade einen epileptischen Anfall, der wie gewöhnlich schwer gewesen sein soll, überstanden und saß auf's Äußerfte erschöpft, schwer athmend und tief bleich in einer Ecke, die gerade von einer Schaar von Knaben als Tumnielplatz gewählt war – wie dem armen Kinde zu Muthe gewesen sein mag, kann man sich denken; und da er mehrmals täglich seinen Anfall bekommt, ist im Spielzimmer, wie die Kinder sagen, die den auch für Erwachsene oft aufregenden Anblick täglich mit ansehen müssen, wiederholt sich täglich mehrmals dieselbe Qual für den armen, epileptischen Knaben und das wirklich traurige Bild für die zuschauenden Kinder.

In einem anderen Zimmer saß ein etwa achtjähriges Mädchen mit heftigen fortwährenden Zuckungen aller Extremitäten, Chorea (Veitstanz); ringsherum natürlich die Schaar der übrigen Kinder.

Eine Absonderung dieser Kinder muß entschieden verlangt werden, denn das ist bekannt und sicher, daß oft der Nachahmungstrieb bei ganz gesunden Kindern, die mit Choreakranken verkehren müssen, zu choreatischen Bewegungen führen kann. Viele Lehrer und Lehrerinnen wissen von solch allgemeinem Auftreten der Krankheit zu erzählen. Daß auch Kinder mit Impetigo contagiosium, einem weit verbreiteten, sehr leicht auf andere

 

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Kinder übertragbaren Ausschlag, abgesondert werden müßten, braucht wohl nur angedeutet zn werden. –

In großer Anzahl befinden sich Kinder mit Hüftgelenksentzündung im Kinderasyle. Ich habe bei meinem diesmaligen Besuche – soweit es möglich war, darauf zu achten – allerdings keines gesehen, dessen Eiter absondernde Fisteln nicht mit einem Verband bedeckt gewesen wären, freilich auch keines, bei dem auch nur der Versuch gemacht zu werden scheint, durch entsprechende Vorrichtungen und Verbände gegen die oft sehr starken krankhaften Stellungsveränderungen, welche die Kinder später ohne Weiteres zu Krüppeln machen müssen, anzukämpfen, und ebensowenig irgend eine Vorrichtung, um die in ungemein großer Zahl vorhandenen Verkrümmungen, Kontrakturen und Lähmungen der Glieder zn korrigiren oder zu stützen. Nur bei einem Kinde mit extremer Kontraktur in beiden Kniegelenken, sagte die Pflegerin, daß die Knie von der Schwester „bewegt“ würden; wie in diesem Falle der Erfolg sein wird, ist unzweifelhaft: die Knie werden bei dieser Art der „Behandlung“ einfach krumm bleiben. –

Es liegt mir vollständig fern, mich prinzipiell gegen das Kneipp'sche Heilverfahren zu erklären, das für eine gewisse Kategorie von Kranken vielleicht ganz gut sein kann. Aber nicht nur jeder Arzt, sondern auch jeder denkende Mensch muß dagegen protestiren, daß Krankheiten, wie besonders die Verkrümmungen der Glieder, die Tuberkulosen der Gelenke und vieles Andere, die nothwendig einer anderen Behandlung bedürfen und zum guten Theil durch diese gebessert oder geheilt werden könnten, einer „Kurmethode“ unterworfen werden, die, wenn auch vielleicht manchmal nicht direkt schädlich, so doch fast ohne Ausnahme nutzlos ist. Aber ganz sicher ist eben diese „Kurmethode“ oft direkt schädlich. Wohin soll es führen, wenn z.B. ein Kind mit eitriger Knochenentzündung des rechten Unterschenkels, bei dem eine akute Entzündung und Schwellung besteht, mit „Güssen“ behandelt und mit einem absolut unzureichenden Verbände, der von der Schwester in meiner Gegenwart ohne alle Kautelen abgenommen wurde, verbunden wird, statt daß die dringend nothwendige

 

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wendige Operation, die ohne Zweifel Heilnng bringen kann, vorgenommen wird? Protestirt muß werden gegen die Art, wie dort die Wunden u.s.w. verbunden werden, eine Art, die der heutigen, auf unumstößlich sicherer Basis beruhenden Wundbehandlung Hohn spricht. Wie ist es möglich, daß im Wörishofener Kinderasyl ein einziger Arzt, der ein Mal, höchstens zwei Mal täglich in's Haus koinmt, für 180 - 200 Kinder sorgen, ihre Behandlung nur einigermaßen überwachen kann, da man doch in jedem anderen Krankenhause 40 - 60 Kranke als die Höchstzahl betrachtet, die einem Arzte zugetheilt werden dürfen? Eine individuelle Behandlung ist dabei doch einfach unmöglich und das platteste Schematisiren, bei dem der „Gießer“ die Hauptrolle spielt, muß an ihre Stelle treten – zum größten Schaden der kranken Kinder.

 

Es ist unabweisbares Bedürfniß, daß in dem Wörishofener Kinderasyl die Zahl der aufgenommenen kranken Kinder beschränkt wird und das ließe sich sehr leicht erreichen, wenn die Leitung desselben in vernünftiger Selbstkritik nur solche Kinder aufnehmen würde, bei denen mit gutem Gewissen ein Erfolg erwartet werden kann oder wenigstens die Heilung nicht aufgehalten, eine Verschlechterung durch das Verfahren nicht direkt begünstigt wird. Ein einfacher Rundgang zeigt eine erschreckend große Anzahl von Fällen, bei denen die Anwendung des im Asyl geübten Verfahrens geradezu widersinnig ist. Es ist sehr zu bedauern, daß der Besuch des Kinderasyls jetzt anscheinend erheblich erschwert werden soll; denn es kann nicht dringend genug gewünscht werden, daß recht Viele mit offenen Augen in die dortigen Verhältnisse Einblick nehmen, besonders Eltern, ehe sie ihre Kinder dem Asyl anvertrauen. –

 

Manches habe ich besser gefunden, wie bei meinem ersten Besuch, aber unendlich viel muß um jeden Preis noch geändert und gebessert werden. Ein anderer Artikel in derselben Zeitung:

Oftmals hatte ich gelesen und gehört, daß in Wörishofen die fressende Flechte, Lupus, geheilt würde. Sehr gerne wollte ich die in Behandlung stehenden Kranken einmal sehen. Es wurde mir angegeben, daß die Lupuskranken sich

 

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im Kinderasyl befanden und daß ich sie im Laufe des Nachmittags besuchen könnte. Bald kam ich zu dem großen, schönen Bau. An dem Gartenzaun und auf der Freitreppe sah ich drei Lupuskranke. Sie waren theils gar nicht, theils so mangelhaft verbunden, daß ich ihr Leiden rasch übersehen konnte. Ich fragte sie aus nach ihrem Ergehen. Einer war sieben Monate schon in der Anstalt und Einer, wenn ich mich recht erinnere, sogar dreizehn Monate. Von einem Jeden hörte ich, daß es ihm bald etwas besser, bald etwas schlechter ginge. Von Keinem hörte ich, daß eine wesentliche Besserung eingetreten sei.

 

Ich trat in das Haus und wurde mit anderen Besuchern auf das Bereitwilligste von einer Schwester herumgeführt. Auch ich empfing von diesem Kinderheim den Eindruck, daß die Beaufsichtigung und die Pflege eine mangelhafte, die Absonderung aber und besonders die Reinlichkeit eine ungenügende war. Gar bald vermied ich, die Thürgriffe selbst in die Hand zu nehmen. Ich ließ mir die Thüren öffnen. Jetzt geleitete mich die Schwester in das oberste Stockwerk. Dort waren die Lupuskranken untergebracht. Ich trat in einen Raum mit schräger Decke und mit einem kleinen, geschlossenen Dachfenster. Ein durchdringender Gestank empfing mich. Ich öffnete zunächst das Dachfenster und sah nun einen Kranken, dessen Kopf in einem dicken Breiumschlag steckte. Unter diesem Umschlag sah ich Eitermassen herabfließen. Der arme Tuberkulöse fieberte. Auf meine Fragen antwortete er, daß er schon länger in diesem Hause sei, daß er sich nicht besser, wohl aber wesentlich schlechter befände. In andere Zimmer oder vielmehr Dachkammern wurde ich nicht mehr eingelassen. Warum?

Ich fragte die Schwester, ob das Asyl diesen Unglücklichen einen dauernden Aufenthalt gewähre. „O nein, in der Regel nicht,“ war die Antwort, „wenn die Krankheit nicht besser wird, schicken wir die Leute gewöhnlich nach zwei bis drei Monaten wieder nach Hause.“ „Das Nichtbesserwerden scheint aber nach dem, was ich gesehen, die Regel zu sein.“ „Ja, freilich!“ Die Schwester hatte während des Rundganges gewöhnlich

 

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die eine Hand auf dem Rücken. Jetzt bat ich, die Hand sehen zu dürfen. Sie war unverbunden und trag auf dem Rücken zwei Geschwüre, deren eines etwa 1 Centimeter, das andere über 2 Centimeter im Durchmesser gross war. Diese Geschwüre zeigten die auszeichnenden Merkmale der fressenden Flechte. „Sie haben ja auch Lupus. Warum verbinden Sie die Hand nicht und thun nichts gegen die Weiterverbreitung?“ „Ja, ich habe auch schon gedacht, daß dies die Krankheit sein müsse, denn die offenen Stellen wollen gar nicht heilen. Ich gebrauche ja immer die Güsse, die mir der Herr Doktor verordnet hat.“ „Sind Sie denn vorher gesund gewesen, ehe Sie in dies Hans kamen?“ „Ich war bis vor wenig Monaten ganz gesund.“ „Wie lange sind Sie denn schon hier?“ „Seit mehreren Jahren.“

 

Es mag sich in Wörishofen im Laufe des letzten Jahres vielleicht Manches geändert haben, damals schied ich von diesem Kinderheim mit dem Eindruck, daß es wahrhaftig keines praktischen Beweises bedurft hätte, daß Lupuskranke nicht in ein Kinderasyl gehören, daß man dort aber schwerlich einen Lupus geheilt bekommt, daß man einen solchen aber wohl dort durch Übertragung erwerben kann. –

 

Sollte jetzt wirklich schon die Zeit gekommen sein, in der man das Urtheil eines Arztes über Wörishofener Zustände nicht mehr von vornherein als „Nörgeleien“ der Konkurrenz ablehnt? Dann freilich wäre vielleicht auch die Zeit nicht mehr ferne, in der man Wunden nicht mehr „mit Kongressen (wahrscheinlich alten Leinwandstücken), welche in sterilisirte (wahrscheinlich einfach und einmal gekochte) Zinnkrautabkochung getaucht sind, behandeln wird.“

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Das dritte Unternehmen war die Gründung eines Hospitales für Lupuskranke. Die betreffenden Mittel zur Ausführung dieses menschenfreundlichen Planes wurden durch die freiwilligen Spenden der Kurgäste aufgebracht und enthält Nr. 5 des Wörishofener

 

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Kur- und Badeblattes vom 18. August 1895 folgenden rührenden Aufruf: „Der Grundstein des Lupushauses soll einfach und still, ohne jede besondere Feier gelegt werden“ – so lautet der Wunsch unseres allverehrten Herrn Prälaten Kneipp. Der hochwürdige Herr Prälat gibt durch diese neue Schöpfung der armen, hilfsbedürftigen Menschheit wieder ein neues Geschenk; er erwartet dafür keinen Dank und keine Anerkennung und wünscht auch nicht, daß die Kurgäste ihm anläßlich der Grundsteinlegung ihre Verehrung und Anhänglichkeit durch Veranstaltung einer besonderen Festlichkeit bekunden.

Dieses Haus für die Ärmsten der Armen ist jedoch noch nicht ausgebaut, es ist in seinen Fonds noch nicht gesichert, weßhalb sich die unterfertigten Angehörigen aller Welttheile und Staaten mit nachfolgender, inniger Bitte an die P. T. Herren Kurgäste wenden: „Steuern wir alle zum Bau des Lupushauses ein – wenn auch noch so kleines – Scherflein bei und ermöglichen wir den baldigen Ausbau desselben, eingedenk des vom hochwürdigen Herrn Prälaten so oft vorgebrachten Bibelspruches: „Die Barmherzigkeit üben, werden Barmherzigkeit finden.“

 

Als der Bau fertiggestellt war und dem Betriebe übergeben werden sollte, legte die vorgesetzte Behörde ihr Veto ein und untersagte den Betrieb als Heilanstalt für Lupuskranke. Das Hospital war zu nahe am Dorfe und man wollte dort nicht eine Ansammlung von Lupuskranken dulden, zumal durch die Kneippkur noch niemals ein Lupuskranker geheilt wurde, noch geheilt werden wird. Aber der Erbauer und Gründer des Lupushauses war kurz entschlossen; er änderte seine ursprüngliche Absicht und verwandelte das Lupushaus in ein Kurhotel zur Ausbeutung der Fremden und stiftete damit das dritte große Klosterhotel in Wörishofen unter Leitung von Klosterfrauen. Die jahrelang gesammelten Geldsummen wurden nicht im Sinne der Spender, zur Ausführung eines barmherzigen

 

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Werkes für arme Lupuskranke verwendet, sondern zum Geschäftsbetriebe mißbraucht und die Ärmsten der Armen wurden in schnöder Weise um ihr Almosen betrogen! Mit welchem Recht?!! Was bietet das neue Klosterhotel und Kurhaus Kneippianeum mehr als andere Gasthäuser, Hotels und Kurhäuser? Antwort: Nicht das Geringste.

Die sogenannten armen Schwestern, welche gegen ihre Ordensregel große Reichthümer besitzen, suchen sich unter der Protektion der Kurkommission noch mehr zu bereichern, sie treten mit dem den Lupuskranken und Armen entzogenen Kapitale unter unlauterem Wettbewerbe auf und untergraben die Existenz der Privatunternehmnngen in Wörishofen und Umgebung aus purer Nächstenliebe und Barmherzigkeit und Religiosität. Das sind die Stiftungen, welche der als Wohlthäter der Menschheit berühmte Prälat Kneipp nicht zum Wohle der Menschheit, sondern zum Wohle seiner sogenannten barmherzigen Brüder und sogenannten armen Schwestern gemacht hat.

 

Bei einem voraussichtlichen Rückgänge der Fremdenfrequenz wird sich zwischen den Kneipp'schen Stiftungen und den Privatkuranstalten und Pensionen ein heftiger Kampf ums Dasein entspinnen und Verwünschungen werden Jenem folgen, welchen eine nervöse, hysterische, halbverrückte Gesellschaft als den Messias einer neuen Heilmethode und als den Wohlthäter der Menschheit verehrt und angebetet hat.

 

Weitere Belege für die Kneipp'schen Widersprüche und Unwahrheiten sind: „Meine Wasserkur“ schreibt Seite 345 Zeile 26 unter Kapitel Verstopfung:

Man wird bemerkt haben, daß ich die so bekannten und allgemein benützten Abführmittel wie Rhabarbera, Sennesblätter etc. etc. oben nicht angeführt habe. Und der Grund? Diese an sich unschädlichen Mittel sind mir dennoch viel zu stark; widernatürlich schon kommt mir das drastische Abführen

 

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mit Mineralien und Giften vor, seien es nun Pulver oder Pillen.“ – (Wühlhuber? Tief in Ungarn drunten?)

Die Kneipp-Pillen sprechen gegen diese Grundsätze, weil dieselben von dem Kneipp'schcn Vertreter in öffentlichen Blättern als die besten Laxirpillen bei Stuhlverhaltung, gegen alle möglichen Krankheiten und als Ergänzung zur Kneippkur empfohlen werden. Das Reklameinserat zeigt Kneipp'sches Bildniß, Kneipp'sche Unterschrift und Warnung vor Nachahmung. Daß mit Pillenhandel ein schönes Stück Geld verdient wird, beweist der bekannte schweizerische Pillenmillionär. Der materielle Werth einer Schachtel Kneipppillen ist 20 Pfennig, der Verkaufspreis eine Mark, somit Reingewinn 400%.

Der Kneipp-Kaffee. Der Kneippkaffee ist nach Angabe des Fabrikanten ein mit dem Fleische der Kaffeefrucht durchtränktes Malz und wird durch eine kolossale Zeitungsreklame, wie sie sonst nur beim medicinischen Geheimmittelschwindel im Gebrauche ist, als ein ungemein nahrhaftes, gesundes und zur Erhaltung der Menschheit nothwendiges, hygienisches Volksnahrungsmittel empfohlen. Diese colossale Zeitungsreklame verschlingt Hunderttausende, welche der Käufer des Kneippkaffees decken muß; die Empfehlungen des Herrn Prälaten Kneipp beanspruchen ebenfalls Hunderttausende.

Die Kneippkaffeefabriken produziren jährlich 300,000 Zentner Malzkaffee, Kneipp und jetzt seine Nachfolger erhalten pro Zentner 50 Pfennig Procentantheile, somit jährlich 150,000 Mark, welche die Consnmenten des Kneippkaffees als indirekte Nahrungsmittelsteuer jetzt an ein reiches Kloster abliefern. Die jedem Paquete Kneippkaffee beigelegten Präsente, als Kaffeelöffel, Messer, Gabeln u.s.w. müssen ebenfalls mitbezahlt werden. Der wunderbare Kneippkaffee weist somit eine 4fache Belastung des Consnmenten auf: 1) Nutzen des Fabrikanten und der Händler, 2) Nutzen eines reichen Klosters,

 

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3) Unkosten für ungeheure Zeitungsreklamen in politischen und illustrirten Blättern, Haus- und Familienkalendern, 4) Unkosten für Präsente.

Solche enorme Belastungen sind für ein allgemeines Volksnahrungsmittel nicht angezeigt. Ist Malzkaffee wirklich jenes volkserrettende und gesundheitsfördernde Nahrungsmittel, wie es die Kneippklinik und der Fabrikant verherrlichen, so muß der Preis um die Hälfte sinken und der allgemeine Consum wird sich auch ohne geistliche und weltliche Mithilfe und ohne Zeitungsreklame einführen. Das Fleisch der Kaffeefrucht ist ein ganz werthloser Abfall, wie etwa die Schaalen der Wallnuß und ist das Durchtränken des Malzes mit Kaffeefruchtfleisch-Saft für den Nährwerth ohne den geringsten Vortheil. Das Urtheil über Geschmack ist sehr verschieden und manche Malzkaffeeliebhaber behaupten, ein gewöhnliches Farbmalz im Preise von 15 Pfennig sei so geschmackvoll als der Kneippkaffee, welcher den dreifachen Preis hat.

Guter Bohnenkaffee, mit Maaß getrunken, ist für Gesunde ein angenehmes Genußmittel, welches die Verdauung fördert, das Nervensystem belebt und eine erfrischende und durststillende Wirkung auf den Organismus ausübt und hat sich deßhalb bei Touristen, auch beim Militär auf großen Märschen am besten bewährt, aber Nahrungsmittel ist und war Kaffee niemals. Kneipp'scher Malzkaffee ist weder das Eine, noch das Andere. Als Genußmittel fehlt dem unverhältnißmäßig theuren Kneipp-Malzkaffee der die Nerventhätigkeit und die Verdauung anregende Kaffeeinhalt und als Nahrungsmittel bietet derselbe äußerst geringe Nährwerthe, welche in gar keinem Verhältnisse zu seinem enorm hohen Preise stehen. Ein einziger Tellervoll Brennsuppe, gekochte Brod- oder Kartoffelsuppe, Habergrütze oder Milchsuppe, dessen Herstellung vielleicht 6 bis 8 Pfennige kostet, hat mehr Nährwerth, ist angenehmer und besser, als ein ganzes Kilo Kneippkaffee zum Preise von 80 Pfennig sammt einem Dutzend Kaffeelöffel.

 

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Dieses mögen insbesondere ärmere Leute, Arbeiter und Kranke beherzigen, welche für ihr hartverdientes Geld nährstoffarmen Malzkaffee um den sündtheuren Preis erwerben, in dem guten Glauben, ein billiges, kräftiges und gesundheitförderndes Nahrungsmittel zu haben. Malzkaffee ist in der Hauptsache ähnlich dem Farbmalz, welches um den Preis von 12 bis 15 Mark pro Zentner überall zu haben ist; dasselbe dient dazu, dem Biere eine dunklere Farbe zu verleihen. Den gleichen Zweck erfüllt der Malzkaffee, indem durch seinen Absud die damit vermischte Milch braungefärbt wird und einen Röstgeschmack erhält, aber dafür verdünnt und nährstoffärmer gemacht wird. Wer den Röstgeschmack an der Milch liebt, dem ist als vorzügliches Frühstück eingebrannte Milchsuppe nach folgender Vorschrift zu empfehlen:

In einer Messingpfanne, oder einem emaillirten Tigel wird mit einem Stückchen Butter und etwas Waizenmehl eine hellgelbe Einbrenne gemacht, mit kalter Milch aufgegossen, etwas gesalzen und gut gekocht, dann wird die Suppe über fein geschnittenes Brod angerichtet. Nach Belieben kann man an diese Suppe ein Ei geben. Dieses ist die beste, billigste Kraftsuppe, das nahrhafteste Frühstück und für Kranke, Reconvalescenten und Gesunde empfehlenswerth.

 

Während der ziemlich harmlose Bohnenkaffee von der Kneippschule in Grund und Boden verdammt wird, ist ein anderes, viel heftigeres Nervengift, der Tabak, stillschweigend geduldet, weil der Meister und seine medicinischen und barmherzigen Jünger selbst rauchen und schnupfen. Viele Nervenleidende, Neurastheniker, verdanken ihre Krankheiten neben anderen schwächenden Einflüssen hauptsächlich dem übermäßigen Tabaksgenusse. Starker Tabaksgenuß, namentlich Cigarettentabak, kann eine Reihe krankhafter Zustände wie Augenaffektionen, Rachenkatarrh, Magenkatarrh, Sodbrennen, Herzklopfen, Gliederzittern, hypochondrische Verstimmung, Schlaflosigkeit, allgemeine Nervenschwäche, ja selbst fortschreitende Lähmung und Erblindung zur Folge haben.

 

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Während der Sommermonate sind unter Kneipp'scher Kurleitung sehr viele Nervenleidende, welche fleißig die kalten Güsse nehmen, barfußlaufen, ängstlich jeden Tropfen Bohnenkaffee vermeiden, aber zu ihrem hochwürdigen Malzkaffee ohne Besinnen die schwerste Virginia und Cigaretten dampfen; und das nennen die Leute Kur machen! Wer seinen Magen ruiniren, sein Blut vergiften, seine Nerven zerrütten und sich gründlich an seiner Gesundheit schädigen will, der reise nach Wörishofen, nehme fleißig Kneippgüsse, trinke fleißig Kneipp'schen Honigwein, Kneipp'schen Malzkaffee, rauche von früh bis spät wie der Meister Kneippcigarren – das bringt zuletzt eine Pferdenatur um.

 

Kneipp'scher Honigwein. Der Honigwein, Meth, ist ein weinartiges, alcoholhaltiges Getränk, welches gegenwärtig nur in Polen, West- und Ostpreußen und Rußland beliebt ist. Die Bereitung ist sehr einfach. Man siedet den Honig mit Wasser, entfernt durch Abschäumen die ausgeschiedenen Eiweißstoffe und bringt hierauf die Flüssigkeit mit Hefe zur Gährung. Durch diese Gährung wird der Zuckerstoff des Honigs (Traubenzucker) in Alcohol und Kohlensäure zerlegt, es ist also Honigwein ein Getränk, welches 8 bis 10% Alcohol enthält, während Bier und leichte Weine nur 3 bis 6% Alcohol enthalten.

Honigwein ist weder für Gesunde, noch weniger für Kranke ein empfehlensmerthes Getränk. Schon der römische Schriftsteller Plinius, † 79 n. Chr., schreibt über den Honigwein, daß er schädlich sei und unzählige Leiden verursache wie Gicht, Leberleiden, Herzschwäche, Wassersucht u.s.w. Der Kranke soll überhaupt keinerlei alcoholhaltige Getränke zu sich nehmen und am allerwenigsten den Honigwein genießen. Für Gesunde wird ein leichter Pfälzer-, Rhein- oder Moselwein oder frisches Lagerbier jedenfalls besser munden und besser bekommen als Honigwein. Nicht wie Kneipp behauptete, dem Honigwein, sondern der damaligen, naturgemäßen Lebensweise, der einfachen Nahrung, dem Habermus, der fortwährenden Abhärtung und Stählung ihres Körpers, verdankten die alten Deutschen ihre Kraft und Stärke.

 

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Die Wasserkur in ihren Grenzen und in ihrem wahren Werthe.

Die Kneipp'sche Wasserschablone.

 

Die Kneipp'schen Ordinationen bestanden seit Jahren nur in Anwendung von Güssen, Übergießen des Körpers mit kaltem Wasser. Ob nun ein Patient nervös oder rheumatisch ist, blutarm oder vollblütig, mager oder wohlgenährt, ob er an Gicht oder Gelenksentzündung leidet, ob er leber- oder nierenleidend ist, ob er an einem Herzfehler oder Lnngenleiden laborirt, ob es im Kopfe, Magen oder Unterleib fehlt, ob Patient blind, lahm, taub, stumm oder krumm ist, ob Lungenschwindsucht, Gebärmutterkrebs-, oder Rückenmarksleiden, ob Flechten, Lupus, Syphilis, Hysterie oder Uterusvorfall zu kuriren ist, ob der Patient ein robuster Holzknecht, ein abgehauster Lebemann, eine von Gesundheit strotzende, korpulente Dame ist, eine blutarme, hysterische Näherin, ob ein Kind, ein junges Mädchen, eine erwachsene Person, ein Greis, eilte gesegnete Fran oder altes Mütterchen zur Behandlung kommt – kurz in allen Fällen, heißen die Krankheiten, wie sie wollen, leide daran, wer es auch immer sein möge, – „Alle erhalten Güsse verordnet.“

Oberguß, Schenkelguß O. S.

Rückenguß, Knieguß R. K.

Halbbad, Blitzguß H. Big.

Oberkörperwaschung, Sitzbad Obkw. Sitz.

werden in endloser Abwechslung vom 1. Januar bis letzten Dezember Tag für Tag und Jahr für Jahr verordnet.

 

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Diese in der Kneipppraxis nahezu allein ausgeführten Anwendungen stehen im völligen Widerspruche mit der Kneipp'schen Wasserkurgrammatik, denn das Buch „Meine Wasserkur“ schreibt Seite 15 klar und deutlich: „Die Wasseranwendungen verfolgen den dreifachen Zweck:

des Auflösens,

des Ausscheidens der Krankheitsstoffe,

der Kräftigung des Organismus.

 

Im Allgemeinen kann gesagt werden, daß der erste Dienst des Lösens von allen Dämpfen und warmen Kräuterbädern besorgt wird, der zweite Dienst des Ausscheidens von sämmtlichen Wickeln, zum Theil von Gießungen und Aufschlägen, der dritte Dienst der Kräftigung von kalten Bädern, allen Gießungen, zum Theil von Waschungen und endlich vom gesammten Materiale der Abhärtung.“

Seit vielen Jahren wird das empfohlene Auflösen und Ausscheiden der Krankheitsstoffe durch die angeführten warmen Prozeduren von der Kneippschule nicht mehr ausgeführt und kommt der größte Theil der Wasserkur, der lang und breit beschriebenen wichtigen Auflösungs- und Ausscheidungsmittel niemals zur Anwendung.

Die von allen Kneippbüchern beschriebenen und empfohlenen warmen Kräuterbäder, die warmen Fichtenreisbäder, die warmen Heublumenbäder, die heißen Haberstroh- und Zinnkrautbäder werden in Wörishofen niemals verordnet, warme Fuß-, Sitz- und Vollbäder, sowie wechselwarme Bäder werden niemals in Anwendung gebracht, Kopf-, Fuß-, Voll- und Leibstuhldampf sind ebensowenig im Gebrauche; kurzer Wickel, spanischer Mantel und Aufschläge aller

 

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Art werden verhältnißmäßig äußerst wenig benützt, trotzdem die Heilprozeduren in dem Renommirbuch Nr. 1 „Meine Wasserkur“ und in dem Reclamebuch „Mein Testament“ wiederholt beschrieben und zum besseren Verständnisse mit neuen Abbildungen versehen wurden.

 

Obwohl jeder Kurgast in Wörishofen die Kneipp'schen Bücher gleich einem Bädeker früh und spät bei sich führt, die Anwendungen der Wasserkur, Apotheke und Krankheitsfälle emsig studirt, so fällt es doch keinem der Kurgäste ein, an betreffender Stelle zu fragen, warum werden für alle Krankheiten und für alle Kranke immer und immer wieder die gleichen Anwendungen verordnet, warum nur Güsse und Güsse und Güsse?Warum nur kaltes Wasser und wieder kaltes Wasser und immer kaltes Wasser??? Warum werden diese allbekannten, vorzüglichen Naturheilmittel, Dämpfe, Dampfbäder, Wickel, warme Bäder etc., welche in jeder gut geleiteten Naturheilanstalt, auch im Mayenbade, bei Bedürfnis angewendet werden und welche noch eine ganz andere Wirkung haben als das Ausscheiden von Krankheitsstoffen, von der Kneippklinik nicht verordnet???

Antwort: Weil Gelegenheit, Zeit und Platz mangelt, wo man solche Kuren vornehmen kann und weil diese Anwendungsformen für Massenbehandlung zu umständlich sind. Man verwendet für Kneippkasernen mit Glasgemälden, für Fremdenwohnungen, Wandelbahnen, Speisesäle, Cafes, Hauskapellen, Lourdesgrotten mit Opferstöcken Unsummen, aber „dem hilfesuchenden Patienten bietet man nichts als einige Liter kaltes Wasser, welches ein sogenannter Gießer dem Patienten bald oben, bald unten ans den Körper gießt!!!“ Eine solche Wasserkur, ein solches Heilverfahren, kann Jedermann ausüben, welcher einen Tag in Wörishofen die Behandlung gesehen hat; darum war es auch möglich, daß ein Kutscher, ein zungengewandter Pferdelenker, welcher sich für einen diplomirten Arzt ausgab, Herrn Pfarrer Kneipp täuschen konnte, so daß derselbe zum Oberarzte für Wörishofen ernannt wurde. Dieser Kutscher war lange Zeit die

 

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rechte Hand des Herrn Pfarrers und genoß das besondere Vertrauen Seiner Hochwürden; auch als Nachfolger des großen Meisters ist deßhalb ein ehemaliger Sattlergehilfe, genannt Prior, in Thätigkeit.

 

In dem Buche „Meine Wasserkur“ steht Seite 17 geschrieben: „In der Auswahl der zutreffenden Anwendungen zeigt sich der Meister“, aber der Meister und seine Schule zeigen sich bei ihren Ordinationen, bei Auswahl der zu treffenden Anwendung nicht als Meister, sondern als armselige Stümper, da sie für alle Kranke und für alle Krankheiten die gleichen Mittel, 6 Güsse, verordnen. Wenn in Wörishofen fünfhundert Kurgäste zusammenstehen und ihre Kurbüchlein vergleichen, so werden alle fünfhundert Patienten finden, wenn sie auch an den verschiedenartigsten Krankheiten leiden, daß Jeder die gleichen Güsse verordnet erhalten hat.

 

Bei einer solchen Heilkunst, bei solch einseitiger und bei solch schablonenmäßiger Krankenbehandlung ist die ärztliche Untersuchung Spiegelfechterei, die Diagnose, der Arzt selbst und die Ordination überflüssig, denn jeder ist Kneipparzt, welcher eine Gießkanne besitzt, sechs Güsse anfschreiben kann und dem Patienten den Glauben beizubringen oder anzulügen versteht, daß mit kalten Wassergüssen alles kurirt werden kann. Das ganze Prinzip des weltberühmten Kneippsystems besteht zur Zeit darin, daß man Vormittags die obere Körperhälfte und Nachmittags die untere Körperhälfte mit kaltem Wasser übergießt; man kann auch ohne Risiko zur Abwechslung die Procedur umgekehrt vornehmen, oder so man will, zwischen hinein einen Voll- oder Blitzguß nehmen.

 

Das durch Schilderung unwahrer Thatsachen und durch Suggestion irre gemachte und abergläubige, kranke Publikum läßt sich alles ruhig gefallen, weil es gedankenlos und blindlings Alles glaubt, was die wunderverheißende Kneippkur verspricht, trotzdem die Kneippschule die Wasserkur nur sehr stümperhaft ausübt, dieselbe zu einem Zerrbilde gemacht hat und mit der Zeit das ganze Wasserheilverfahren bei vernünftigen Laien in Mißkredit bringt.

 

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Aus diesem Grunde hat die k. k. österreichische Regierung die Anlage von Kneippkuranstalten verboten, aber: Was man verbeut, das thun die Leut'!

Schaarenweise wallfahren die hilfesuchenden, kranken Menschen, alle unter der Suggestion der Kneippbücher und klerikalem Einflüsse stehend, selbst aus den entferntesten Provinzen des österreichischen Staates nach Wörishofen, voran das gläubige Volk unter der Stefanskrone, Ungarn, dann die bekannten Deutschen-Fresser, die Tschechen, welche ihr böhmisches Karlsbad nicht achten und den bayrische Kurort Wörishofen aufsuchen; Ober- und Niederösterreich, Vorarlberg, Tyrol, Kärnten, Krain, Mähren, Schlesien, Galizien, Polen, Herzogowina und Bukowina sind in Wörishofen vertreten.

Selbst der französische Nationalhaß gegen alles, was deutsch ist, wird durch den Kneippbazillus gemildert und die Herren Franzmänner an der Seine und Loire reisen mit ihren Damen in Begleitung der unvermeidlichen Abbés in das Land der Barbaren nach Wäeringschowen, nehmen toujours Obäerguss, Rrrrüchenguss, trinken bayrisch Bieeer und leben im Wald und auf der Haide tres legére.

Auch im weiten Zarenreiche findet der Kneippbazillus, sporadisch in größeren Städten, vom finnischen Meerbusen bis zum Kaukasus günstigen Nährboden. Riga, Helsingfors, St. Petersburg, Moskau, Odessa und Baku senden vereinzelnt ihre Gläubigen zum schwäbischen Wasserwunder-Väterchen. Epidemisch grassirt die Kneippseuche nur im Reviere der Stanislaus und Ladislause, in Russisch-Polen. In Rumänien und Serbien, auch in Bulgarien, macht sich das Kneippfieber bemerkbar. Herren und Damen mit dunklem Teinte und tiefschwarzen Haaren unternehmen die Nordlandfahrt nach Wörrrisschooofen, um sich die verlorene Gesundheit durch kaltes Wasser angießen zu lassen. Voran der hohe Adel, vertreten durch Grafen, Fürsten, königliche Hoheiten, auch die Herren Clerici, Welt- und Ordensgeistliche in allen möglichen Rangstufen und Trachten,

 

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gehen mit leuchtendem Beispiele voran, bestärken das irregeführte, vertrauensselige Volk in seinem Aberglauben und helfen mit, die wässerigen Wunderkuren zu verherrlichen; denn Vertrauensseligkeit zu einem als Wunderdoktor verschrieenen Diener Gottes oder Klosterbruder, Aberglaube, zerrüttete Gesundheit, Elend und Dummheit sind allenthalben in Hütte und Palast zu finden. Dr. Fleekles in Karlsbad schreibt in seinem diätetischen Vademecum: „Wer sich mit dem Studium der menschlichen Dummheit beschäftigt, findet in den Kurorten das größte Terrain für seine Thätigkeit und die auserlesensten Exemplare.“

Einen ganz besonderen Einfluß übte der barmherzige Prälat auf sehr religiöse und auf bigottisch sich zeigende Frauen und hysterische, nervöse Jungfrauen aus, von welchen stets eine sehr große Anzahl anwesend ist. Manche dieser kranken und oft eingebildet kranken Damen fühlten schon beträchtliche Besserung, wenn sie den hochwürdigen Herrn, den sie wie einen Herrgott verehrten, liebten und anbeteten, nur von ferne sehen konnten, sprechen hörten, oder gar eine Gelegenheit zum Handkusse ergatterten. Sie lauerten deßhalb auf Schritt und Tritt demselben auf, fielen auf offener Straße im Staub oder im Schlamme demselben zu Füßen und waren glückselig, wenn sie in knieender Stellung Hände oder Talar küssen konnten. Das Höchste aber, was eine Dame erreichen konnte, war ein regelrechter Guß: doch dieses unendliche Glück und diese raffinirte Wohlthat wurde nur auserwählten Damen zutheil, welche reichliche Gaben spendeten und nach Kneipp'scher Bedingung das Maul halten konnten. Aber manche dieser Damen hielten das Maul nicht und erzählten überglücklich von der elektrischen Wirkung der Meistergüsse.

 

Außer warmen Bädern aller Art, Wicklungen, Dämpfen, welche in vielen Fällen unbedingt nothwendig sind, um chronische Krankheiten zu heilen, sind weitere, unentbehrliche und wichtige Heilfaktoren: „Diät, diätetische Ernährung, diätetische Küche, ferner Massage, Gymnastik, Ruhe, Bewegung, Luft- und Lichtkuren, Sonnenbad etc. etc.“

 

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Diese äusserst wichtigen Naturheilfaktoren werden von der Kneippschule gar nicht beachtet, obwohl sie in vielen Fällen mehr Nutzen bringen als kalte Güsse und Halbbäder. Nachdem der Begründer der Methode und sein Nachfolger diese Heilfaktoren nicht genügend kennen oder anerkennen wollen, so sollten die Kneippärzte und Assistenten für diese Naturheilmittel einstehen und ihrem Meister und Prior empfehlen, denn „Meine Wasserkur“ schreibt Seite 10 der Vorrede: „Ärzte mögen diese Laienarbeit als ein kleines Hilfsbuch betrachten.“ Aber viele dieser Herren machen sich die Kneipp'sche Heilmethode sehr bequem; lehrte der Meister, der Schnee ist schwarz, so behaupteten diese gelehrten Herren Doktors „der Schnee ist schwarz.“ Statt den Pfarrherrn, der in seinem Irrthum und Größenwahn sich und Andere täuschte, eines besseren zu belehren, ihn auf seine Irrlehre und auf seine lächerliche Wasserkurschablone aufmerksam zu machen, unterstützten sie, um ihre einträgliche, goldene Stellung nicht zu verlieren (es gibt Kneippärzte, welche jährlich 20,000 Mark und mehr erobern) gegen besseres Wissen und bessere Überzeugung den ehrgeizigen Meister in seinem ungeheuren Größenwahn. Sie schützten denselben mit ihrer Approbation gegen den Staatsanwalt und übernahmen die Verantwortlichkeit für Unglücksfälle, welche durch die Kneipp'sche Wasserkurbehandlung entstanden. Sie gaben sich scheinbar Mühe, das sogenannte Kneippsystem als das Non plus ultra aller Heilmethoden hinzustellen und die Wirkungen des kalten Wassers, der Güsse, wissenschaftlich zu beleuchten, was schon längst von anderer Seite geschehen ist, sie führen einen Kampf mit Windmühlen, rennen offene Thüren ein, streuen dem Publikum Sand in die Augen und blamiren dabei sich und ihren Meister. Man lese z.B. die Schrift von Dr. Niemann „Kneipp und seine ärztlichen Jünger“. Im Grund genommen geht ihr ganzes Thun und

 

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Treiben darauf aus, sich unter der Kneipp'schen Firma möglichst viel Geld zu machen, alles übrige ist ihnen völlig Nebensache. Sie versprechen dem Hilfesuchenden das Blaue vom Himmel herunter und erklären oftmals absolut unheilbare Krankheiten und alle körperlichen Gebrechen durch die Kneippgüsse allein heilbar, wenn dieselben nur lange genug mit Geduld und Ausdauer in Wörishofen gebraucht werden. Z.B.:

Dem Augenkranken, leide er nun an einer Hornhauttrübung, Atrophie der Sehnerven, am grauen, grünen oder schwarzen Staar, gibt man Augengüsse, Schenkel-, Rücken- und Kniegüsse und erklärt durch dieselben, sowie durch das Einstreuen von Zucker oder durch das Einschmieren von Wermuthhonig in die Augen, das Sehvermögen wieder herzustellen, selbst wenn es absolut unmöglich ist und eine sofortige Augenoperation allein das Übel [be]heben könnte. Fragt man, wie kam Kneipp zu dieser Augenheilkunde, speziell warum kommt Honig in die Augen? Die Ökonomen und Pferdebesitzer in Schwaben und vielleicht auch anderswo behandeln ihre an der Mondblindheit (periodische Augenentzündung) erkrankten Pferde durch Einblasen von Zuckerpulver in die Augen. Der große Wunderdoktor kalkulirte nun, was dem Auge eines Gaules gut thut, muß auch dem Sehorgane des Menschen gut bekommen und übertrug diese Pferdekur auf seine gläubigen Anhänger und jeder Augenkranke bekam jahrelang Zuckerpulver in die Augen gestreut. Um jedoch diese Behandlung geheimnißvoller zu machen, wurde der Zucker späterhin durch mit Wermuth grün gefärbtem Honig ersetzt. Durch das Einblasen von Zuckerpulver, oder durch Einschmieren von Honig in die Augen entsteht brennender Schmerz unter reichlicher Thränenbildung, die Augen werden heftig gereizt, während die wahre Naturheilmethode lehrt „laß das erkrankte Organ in Ruhe“. Trotzdem, daß tausende von Augenkranken durch diese Kneipp'sche Pferdekur mißhandelt wurden, ohne den geringsten Erfolg erzielt zu haben, fanden sich immer wieder Augenkranke, welche an die Erfolge der Kneippkur mehr glaubten,

 

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wenigstens eine Zeit lang, als den tüchtigsten Augenärzten, und dann oftmals die günstige Zeit für eine Augenoperation versäumten und erblindeten.

Dem Ohrenkranken, dem Tauben, gibt man Ohrengüsse, Schenkel-, Rücken- und Kniegüsse und stellt das Hörvermögen in sichere Aussicht, ob nun das Trommelfell, das Mittelohr oder der Hörnerv erkrankt ist, immer die gleichen Güsse. – Dem Nasenleidenden gibt man Nasengüsse, dem Kopfleidenden Kopfgüsse. Den Nervenleidenden und Neurasthenikern applicirt man ebenfalls Ober-, Schenkel-, Rücken- und Kniegüsse, läßt fleißig Barfußrennen, Wassertreten und auf nassen Steinen gehen, überreizt in vielen Fällen durch diese kalte Wasserschablone das Nervensystem und erzielt das Gegentheil von dem, was es bezwecken soll. Den Rückenmarksleidenden ordinirt die Kneippschule Ober-, Schenkel-, Rücken- und Knieguß und verspricht in einigen Monaten Besserung und sichere Heilung von der unheilbaren Rückenmarksschwindsucht und hält auf diese Weise unter Vorspiegelung von falschen Thatsachen Hunderte und tausende beinschleudernder, stampfender und schwankender, syphilitischer Tabetiker in Wörishofen jahrelang auf, um Geschäfte zu machen.

 

Lungenleidende in vorgeschrittenem Stadium mit Kavernenbildung, erschöpfenden Nachtschweißen, hohlem, dumpfem Husten und abgemagertem Körper, werden ebenfalls mit kaltem Wasser, mit Wärmeentziehung mißhandelt. Oberkörperwaschung, Oberguß, Schenkelgnß, Knieguß sind die Anwendungen, von welchen sichere Hilfe versprochen wird, wenn auch der Patient schon dem Grabesrande nahe ist und in kurzer Zeit seinem Leiden zum Opfer fällt. Den Lupuskranken streicht man mit Essig und Wasser geriebene Lehmerde in die eitrigen Geschwüre, verordnet die gewöhnlichen Güsse und will damit die unheilbare Krankheit kuriren. Wie kam Pfarrer Kneipp zu dem Lehmheilverfahren?

 

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Die Ökonomen im Allgäu (der südliche Theil der Provinz Schwaben heißt Allgäu), welche in hervorragender Weise Viehzucht betreiben, kommen häufig in die Lage, daß sie ihr Vieh bei leichten Unfällen und Krankheiten selber kuriren müssen, weil die Gehöfte einschichtig gebaut sind und thierärztliche Hilfe oftmals nicht zu haben ist. Hat sich nun ein Stück Hornvieh durch einen Fall, Stoß oder Schlag eine Verletzung zugezogen und ist an der verletzten Stelle Anschwellung und Hitze, eine Entzündung eingetreten, so rührt der Allgäuer gewöhnliche Lehmerde mit etwas Essig und Wasser zu einem dünnen Brei an, bestreicht die Verwundung und wiederholt dieses Verfahren, wenn der Lehmanstrich trocken geworden und abgefallen ist. Dieser Lehmüberzug, öfters erneuert, wirkt wie ein kühler Umschlag auf die erhitzte Stelle; derselbe kühlt, schließt die Wunde von der Luft ab und damit wird die Naturheilkraft unterstützt und die Verletzung rasch geheilt.

Die Kneippschule hat nun diese gebräuchlichen Rindvieh-Lehmkuren auf die Kurgäste übertragen und behandelt damit speziell die Lupuskranken, wie der Bauer im Gebirge seine Viehherden behandelt. Doch übersieht die berühmte Lehmklinik Wörishofen gänzlich, daß zwischen einer frisch entstandenen Verletzung eines gesunden Thieres und zwischen dem fressenden Geschwüre eines chronisch-kranken, oftmals eines syphilitischen oder tuberkulösen Menschen ein gewaltiger Unterschied besteht. Ein weiteres Heilmittel für Lupus hat Pfarrer Kneipp um schweres Geld von einer Frau aus München erworben, welche jahrelang sein spezielles Vertrauen besaß und in Wörishofen die Lupuskranken mit ihrem Geheimmittel kuriren wollte. Dieses Spezifikum besteht darin, daß man einen Fleck roher Leinwand auf einen Porzellanteller legt, anzündet und verbrennen läßt. Der hiebei entstehende, ölige Rückstand ist das Wundermittel für Lupus. Ein ähnliches Präparat und Heilmittel hatte vor circa 20 Jahren ein Wunderdoktor in München als Heilmittel

 

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für Wunden und Geschwüre im Gebrauche, verkaufte dasselbe zu hohen Preisen und wurde deßhalb wegen Betrug bestraft. Dieses Heilmittel, genannt „Papieröl“, wird auf folgende Weise hergestellt: Man nimmt einen Bogen Schreibpapier, faltet denselben trichterförmig zusammen, legt diesen Papiertrichler auf einen Porzellanteller und zündet denselben an der oberen, an der weiten Öffnung an; derselbe verbrennt nun allmählig bis zur Spitze, aus welcher sich zuletzt als Verbrennungsprodukt ein Tropfen braune Flüssigkeit absetzt. Diese braune, ölartige Flüssigkeit, welche sich beim Verbrennen von Papier, Leinwand u.s.w. bildet, ist „Theer“, welcher Pyridinbasen, Holzessig, Kreosot u.s.w. enthält und in ihren Wirkungen Ähnlichkeit mit Carbolsäure hat.

Es wurde bis jetzt weder mit Papier- noch mit Leinwandöl, noch mit Lehm ein Lupuskranker geheilt, sondern einen direkten Nutzen von der Leinwandverbrennung hatte nur die Münchner Frau, welche ihr Geheimniß um schweres Geld verkaufte und damit bewahrheitet sich:

 

Es ist nichts zu dumm,

Es findet sein Publikum.“

 

Gichtkranke, Ischiasleidende, Rheumatiker, welche durch heiße Compressen, Fangokuren, Dampfbäder, heiße Kiefernnadelbäder, Massage, Diät etc. etc. in kurzer Zeit von ihren Leiden und Schmerzen befreit werden könnten, werden monatelang mit kalten Güssen traktirt und das Übel oftmals schlimmer gemacht.

Frauen, welche infolge chronischer Entzündung oder Verlagerung des Uterus an Kreuzschmerzen, Unterleibsschmerzen, Krämpfen, Stuhlverhaltung, an nervösen und hysterischen Erscheinungen aller Art leiden und welchen durch Kreuzpackung, Rumpfbäder, Massage, Hilfe geleistet werden könnte, werden monate- und jahrelang mit Güssen bedacht. Patienten, welche der Chirurg in wenigen Tagen von ihrem Leiden befreien könnte, z.B. mit Balggeschwulst Behaftete, werden monatelang dort behalten und natürlich erfolglos begossen.

 

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Sind die gläubigen, vertrauensseligen und hosfnungserfüllten Patienten nach einigen Monaten noch nicht kurirt, so beginnt das Heilversprechen aufs Neue und werden dann eine Menge wunderbarer Kurerfolge erzählt, um wohlhabende Kurgäste zu möglichst langem Aufenthalte zu veranlassen.

Hunderte und tausende unheilbarer Kranken werden auf diese Weise an dem klerikalen Weltkurorte festgehalten und die Kneippschule findet diese unreelle Fremdenindustrie sehr angenehm, einträglich und unterhaltend! –

 

Jeder wissenschaftlich gebildete Arzt, welcher sich der Naturheilmethode zuwendet, ist hoch zu halten, aber jene wandelbaren Naturärzte, welche nicht auf eigenem Boden stehen, bald allopathisch, bald homöopathisch, bald electrohomöopathisch ordiniren, heute für Kneipp, morgen für Kühne, übermorgen für Prießnitz und dann wieder für Schrott schwärmen, das einemal Riklis Sonnenbäder, ein andermal die Densmore'schen Obstkuren und Heißwasserkuren als Allheilmittel empfehlen, verdienen wenig Vertrauen.

 

Die meisten der sogenannten Kneippärzte (es gibt rühmliche Ausnahmen) sind oftmals Mediciner zweiter Güte, welche auf der Hochschule nicht viel gelernt haben, als praktische Ärzte keine Existenz erringen, in der Praxis Unglück gehabt haben, oder auch solche Mediciner, welche mit der gegenwärtigen Therapie unbefriedigt „Neues“ suchen. Solche Ärzte kommen viele nach Wörishofen, namentlich aus dem nördlichen Deutschland und aus Österreich. Manchmal waren auch Ärzte darunter, welche eigentlich gar keine Ärzte sind, aber durch Scheinheiligkeit und Kriecherei sich die Gunst des Herrn Prälaten zu erwerben wußten. So war z.B. längere Zeit ein sogenannter Dr. Z . . ., ein Günstling des frommen Onkels Ludwig an der Donau, welcher bekanntlich durch seine religiösen Schriften unter dein Volke geschäftsmäßig den Aberglauben verbreitet und für Gott, zu Gott und zum Besten der Menschheit sich schweres Geld erobert, wie oben beschrieben, längere Zeit Kneipp'scher Oberarzt, Herrscher und Gebieter in Wörishofen; er war

 

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sozusagen die rechte Hand des Prälaten und galt bei demselben alles, weil man ihn für einen ungemein tüchtigen, hochgebildeten und reichen Mann hielt. Schließlich stellte sich heraus, daß dieser allbekannte, mächtige, tüchtige Kneipp'sche Oberarzt, der Pascha von Wörishofen, Dr. med. Zapf, wie er sich nannte, nennen ließ und zeichnete, weder ein Arzt, noch medicinisch Sachverständiger, sondern ein ganz einfacher, armseliger „Kutscher“ war!

 

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Mißerfolge der Kneippkur.

Wenn in Wörishofen durch die Kneippgüsse ein Kurgast einen guten Erfolg zu verzeichnen hat, so wird dieses als ein besonderes Ereigniß in allen Kneipp- und anderen Zeitungen in überschwänglicher Weise zur Kenntniß gebracht, wenn aber Hunderte von Kurgästen nicht nur ohne jede Besserung, sondern selbst mit Verschlimmerung ihres Leidens von dem Weltkurorte Abschied nehmen und die Kneippkur und alles, was drum und dran hängt, verwünschen, so wird dieses mit dem Mantel der Verschwiegenheit bedeckt.

Die zahlreichen Mißerfolge durch die Kneippkur werden veranlaßt:

1) weil die Kneippgüsse und das sinnlose, übertriebene Barfußlaufen, Wasser- und Steintreten, kein Universal Heilmittel ist, welches alle Krankheiten heilt,

2) weil alle Patienten nach einer Schablone behandelt werden und die wichtigsten Anwendungsformen der Wasserkur, Wickel und Dämpfe, ferner Diät, Massage, Gymnastik nicht zur Anwendung kommen.

 

Pfarrer Kneipp sagt in seinen Schriften manches Richtige, lehrt manches Gute, machte aber als Naturarzt durch seine einseitigen Schablonenkuren grobe Fehler und betrog in seinen unfehlbaren Meinungen sich selbst und andere.

 

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3) nimmt die Wasserklinik in Wörishofen jeden Patienten, welcher kommt, in Behandlung, ohne die Grenzen der Wasserkurwirkung zu kennen oder kennen zu wollen.

Während das kalte Wasser, die Wasserkur, aber nicht Kneippkur, in allen ihren Anwendungsformen und Abstufungen bei Stoffwechselkrankheiten, z.B. bei Blutarmuth, Bleichsucht, Skrophulose, Fettsucht, Gicht, bei chronischen Erkrankungen, bei Nervenleiden, Hysterie u.s.w. von vorzüglicher Wirkung ist, verbietet sich deren Anwendung bei einer großen Anzahl von Nervenleiden, Rückenmarksleiden, Epilepsie, bei Herzkranken und Lungenkranken in vorgeschrittenem Stadium. Die Kurerfolge, welche mit den Kneipp'schen Begießungen in Wörishofen erzielt werden wollen, gestalten sich deßhalb nicht immer so günstig, wie es die Kneippbücher erzählen. Wären dort, wie man es ehrlicher Weise verlangen kann, auch alle Mißerfolge aufgezählt worden, so hätten diese Schriften eine hundertfache, ja tausendfache Seitenzahl erhalten müssen und mancher Patient in weiter Ferne wäre, statt nach Wörishofen zu reisen, zu Hause geblieben.

 

Viele, sogar sehr viele Patienten verließen die Kneipp'schen Kuranstalten in Wörishofen oft nach mehrwöchentlichem, nach mehrmonatlichem, auch nach mehrjährigem Aufenthalte ohne jeden Erfolg, trotzdem Vater Kneipp die Güsse eigenhändig vornahm und bei jeder Consultation die bestimmte Versicherung gab: „Ihr werdet ganz gewiß gesund, wenn Ihr noch dableibet.“ Viele Hunderte und Tausende von Menschen, welche die Kneippbücher lesen, haben sich durch die falschen Anwendungen des kalten Wassers oft schon empfindlich geschädigt. Die Wasserkur in der Hand des Laien ist ein zweischneidiges Schwert; niemand kann gleichzeitig Arzt und Patient sein.

Nur zu oft wird die auf einen Kneippguß eintretende Reaktion, das angenehme Wärmegefühl, wie es ja bekanntlich nach jedem kühlen Bade eintritt, als ein günstiges Zeichen, als eine Besserung des Krankheitszustandes aufgefaßt, was

 

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man hofft, wünscht man gerne und fährt dann fort mit Wasseranwendnngen, bis das Nervensystem überreizt und die Krankheit unheilbar geworden ist. Wer die Kneipp'schen Heilresultate und Wasserwunder an Ort und Stelle sehen will, der begebe sich während der Sommermonate auf die Bahnstation Türkheim. Man wird mit Erstaunen beobachten, wie viele kranke, elende, krüppelhafte Menschen mit der Elektrischen, von der Kur in Wörishofen kommend, mit der Bahn in demselben kranken und leidenden Zustande wieder abreisen, wie sie angekommen waren. Sie haben alle die Reise oft aus den entferntesten Gegenden nach dem schwäbischen Dorfe mit den besten Hoffnungen angetreten und kehren nun, nachdem oftmals der letzte Sparpfennig erfolglos dem letzten Versuche geopfert wurde, an Körper und Geist gebrochen, in ihren schönsten Erwartungen getäuscht, in ihre Heimath zurück. Manche, vielleicht viele dieser Patienten hätten in einer gut geleiteten Naturheilanstalt [– wie das Mindelheimer Mayenbad –] eine glücklichere Kur gemacht, einen besseren Erfolg erzielt, was bei der schablonenmäßigen, einseitigen Massenbehandlung in Wörishofen nicht möglich ist.

 

Die Kneippkurbücher und Kneippzeitungen können den Patienten wohl viel, nach Bedürfnis sehr viel versprechen, das ist ihre größte Kunst; in dieser Beziehung stehen sie unerreicht da, können aber in sehr vielen Füllen nichts halten, denn das kalte Wasser ist kein Universalheilmittel und mit kalten Güssen und Wassergehen kann man nicht blos vieles nicht kurieren, sondern oftmals großen Schaden stiften, wenn nicht jeder Patient aufmerksam und individuell behandelt wird, was in Wörishofen selten geschieht.

 

Leider haben nur zu viele Patienten, welche nach Wörishofen zur Kur kommen, das Denken und Beobachten anfgegeben. Jeder Neuling ist durch die Kneippliteratur in dem Wahne befangen, die Kneippkur sei das unfehlbare Heilsystem für alle Krankheiten. Da die Kneippklinik, wie schon oben bemerkt, es in keinem einzigen Falle unterläßt, jedem hilfesuchenden Patienten sichere

 

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Heilung von Krankheit zu versprechen (es liegt ja nichts daran und bringt kein Risiko), so halten sich die Patienten nur mehr an Glaube und Hoffnung und verfallen durch den Kneipp'schen Trost oder Suggestion in eine ansteckende Krankheit, das Kneippfieber, Febris Kneippiana.

 

Um die beiden gott- und kneippgefälligen Tugenden, Glaube und Hoffnung, zu befestigen und auch die Liebe zum Weltkurorte Wörishofen zu erwecken, das Kneippfieber in die chronische Form überzuführen, um die Gläubigen zu einem längeren Aufenthalte zu veranlassen, hielt der hochwürdige Herr oder sein Vertreter jeden Nachmittag nicht etwa Gottesdienst, – nein, einen medicinisch-populären Vortrag. Es waren nicht Priesterworte über Religion, christliche Duldung und Nächstenliebe, sondern langmächtige, ausführliche Lobgesänge auf sein eigenes, unfehlbares Heilsystem, auf seine Wunderkuren, auf die Leistungen seiner eigenen Person. Es wurde Tag für Tag erzählt, wie man mit Leichtigkeit Krumme und Lahme, Blinde, Taube und Stumme, alle innerlichen und äußerlichen Gebrechen und Leiden aller Art prompt und sicher heilt; denn: „wie einfach, lehrt das Kneippbuch, unkomplizirt und leicht, fast jede Täuschung, jeden Irrthum ausschließend, ist die Heilung, wenn ich weiß, jede Krankheit besteht in Störungen des Blutes und die Arbeit der Heilung kann nur die zweifache Aufgabe haben: Entweder muß ich das ungeordnet circulirende Blut wieder zum richtigen, normalen Laufe zurückführen, oder ich muß die schlechten, die richtige Zusammensetzung störenden, das gesunde Blut verderbenden Säfte, Stoffe, Krankheitsstoffe, aus dem Blute auszuscheiden versuchen“. (Kneipp „Meine Wasserkur“, Seite 8.)

 

Alle hörten auf die wunderverheißenden Vorträge des Redners. Mancher Gelähmte im Rollstuhle, Rückenmarksleidende auf Krücken gestützt, Lupuskrauke mit Gesichtsschleier oder Lungenkranke, welcher zum Ärger der Anwesenden fortwährend hustet u.s.w. ist unter den Zuhörern, welcher schon seit Monaten und Jahren vergeblich mit Güssen bearbeitet wird, aber keinem dieser unglücklichen Zuhörer fiel

 

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es ein, zu rufen: „Hier, Herr Prälat, kurire mein Leiden.“ Hier gilt es, hic Rhodos, hic salta – denn wie einfach, unkomplizirt und leicht sind die Störungen des Blutes zu reguliren und die Krankheit zu heilen. An diesen Vorträgen, an diesen wirkungsvollen und einflußreichen Suggestionspredigten wurde mit besonderer Zähigkeit festgehalten; auch die Kneipp'sche Nachfolge verwendet viel Mühe und Zeit darauf, denn sie sind der starke Kitt, mit welchem die mit dem Aufenthalte und mit der Kneippkur Unzufriedenen an dem Weltkurorte festgehalten werden.

 

Durch diesen Firmungsunterricht wurden die im Kneippglauben Schwachen bestärkt, die Zweifler zur allein gesundmachenden Heilmethode zurückgeführt, die Ungläubigen erschüttert und bekehrt und die verstockten Zweifler, welche noch kneippfieberfrei und im Besitze ihrer fünf Sinne sind, verlassen sofort die Gegend der Wasserwunder.

 

Die Kneipp'schen Vorträge und Wunderpredigten waren wie seine Kurmethode alle über einen Leisten. Er erzählte seit 9 Jahren dem staunenden Publikum viele hundertemale seine Lebensgeschichte, wie er sich als alter Student mit kaltem Wasser selbst kurirt haben will; deßhalb verdammte er das warme Bad, obwohl er es in seiner Grammatik empfiehlt und lehrte, man solle selbst neugeborene Kinder ins kalte Wasser stecken. Er besprach immer wieder die Gründe, warum das menschliche Leben durchschnittlich von so kurzer Dauer ist und warum so viele Krankheiten großgezogen werden. Er suchte zu beweisen, daß wir im Zeitalter der Verweichlichung leben und erklärte, daß wir das Bewußtsein verloren haben, worin eine gute Kost bestehe. Er war der größte Gegner der Kaffeebohne, er lobte und empfahl seinen Kathreiner-Malzkaffee; er verdammte den Schnürleib, verglich Damen mit eng anliegenden Kleidern mit Windhunden, auch enge Strumpfbänder, enge Halskragen und hohe Stiefelabsätze erregten sein Mißfallen. Er verwarf Wolle und Baumwolle und empfahl dafür Kneipp'sche Leinenhemden, Kneipp'sche Unterkleider, Kneippstrümpfe u.s.w. und in Zeitungen kommt

 

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die Ermahnung, beim Einkaufe von Kneippwäsche aller Art seine Schutzmarke mit Unterschrift wohl zu beachten. Er erklärte das kalte Wasser als Universalmedicin und stellte die Behauptung auf: was das kalte Wasser nicht heilt, bleibt ungeheilt.

Herr Prälat Kneipp allein brachte es fertig, sein abergläubisches, vom Kneippbacillus befallenes Auditorium über Dinge belehren zu wollen, von welchen er sich selbst niemals Kenntnisse erworben hatte. Er dozirte in seinen berüchtigten Vorträgen mit apodiktischer Sicherheit über anatomische, pathologische, physiologische, botanische und pharmaceutische Themata, obwohl er in diesen Wissenschaften vollständig Laie war; er rühmte sich, nie ein medicinisches Buch gelesen zu haben. Er sprach über Nahrungsmittelchemie, Hygiene und Prophylaxis und machte sich durch seine Unwissenheit und Unkenntniß auf diesem Gebiete unendlich lächerlich.

 

Man war im Zweifel, soll man mehr die aufmerksamen Zuhörer, den Vortragenden oder beide zusammen bemitleiden. Der Hauptinhalt seiner Vorträge waren, wie oben bemerkt, immer dieselben oft gehörten Redensarten, verflochten mit faulen Witzen, Derbheiten, mit [an] Haaren herbeigezogenen Scheinvergleichen, großartigen Prahlereien, übergelungenen Kuren, großmächtige Lobreden auf seine eigene Person, seine Erlebnisse, seine Erfahrungen, Beobachtungen und Leistungen.

 

Er behauptete dem staunenden Auditorium gegenüber, er könne fast allen Kranken helfen, er brauche keine ärztliche Untersuchung und keine ärztliche Diagnose. Er will für 10 Patienten die Rezepte diktiren, ohne dieselben zu fragen, was ihnen fehle, er lese den meisten die Krankheit vom Gesichte ab. Wer sein Ordinationsbüchlein eingeschrieben bekommt, kann zufrieden sein. „Für Kranke“, rief Redner, „bin ich der Erste! Ich bin für alle da! Glaubt doch das thörichte Gerede nicht, daß ich einer ärztlichen Diagnose bedarf, um Euch zu helfen“ u.s.w.

 

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Auch der Nachfolger Kneipps, der Laienbruder Prior Reile, findet es für nothwendig, diese Vorträge fortzuführen, um die Kurgäste zu unterhalten und um das nervöse, hysterische Weibervolk für sich zu gewinnen. Bei dieser Gelegenheit gibt sich der Prior alle Mühe, den alten Kneippkäse wieder aufzufrischen und über medicinisch-pharmacentische Themata zu sprechen, von welchen ihm jede gründliche Kenntniß fehlt. Jeder, der sich den Schein von Kenntnissen zu geben sucht, die er nicht besitzt, ist Charlatan.

 

Das am Kneippfieber leidende Kurpublikum verschlang mit Augen und Ohren die wunderversprechenden Worte des neuen Propheten und wurde im Glauben bestärkt, die Kneippschule allein habe das unfehlbare Heilsystem und könne alle Krankheiten heilen. Es herrschte stille Andacht, Geduld und peinlichste Ruhe in der Suggestionsathmosphäre der Wandelbahn, hin und wieder unterbrochen durch den Beifallsruf des begeisterten Auditoriums, welches bezaubert, entzückt und verrückt, selbst den dicksten und dümmsten Blödsinn glaubte, welcher zum Vortrage kam. Zum Schlusse nochmals großer Applaus und im Bewußtsein, wieder etwas Tüchtiges geleistet und gehörige Riffel ausgetheilt zu haben, verließ der hochwürdige Sprecher seine von hysterischen Damen theatralisch geschmückte Rednerkanzel.

 

Während des Vortrages haben strebsame, begeisterte Kurgäste den Inhalt der Predigt nachgeschrieben und so ist eine Sammlung von Vorträgen entstanden, welche von P. Schön in Wörishofen im Drucke erschienen, vom Herrn Pfarrer selbst geprüft, bestätigt und mit seinem hochwürdigen Segen versehen wurde.

Zur Illustration der Kneipp'schen Vorträge, der Kneipp'schen Kenntnisse, Bildung und Wissenschaft, hier eine kleine Blumenlese aus diesem gesegneten Büchelchen: „über das Athmen habe ich immer etwas sagen wollen. Ich theile das Athmen in 3 Klassen ein.

 

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1) Das Athmen während des Sprechens. Hiebei dringt die Last bis in den Kehlkopf; 2) das Brustathmen, wobei die frische Luft bis in die Brust hineindringt und 3) das volle Athmen, wo die frische Luft bis in den Magen hineinkommt. Während der Nacht thut man doch die tiefsten Athemzüge, da dringt die eingeathmete Luft bis in den Magen hinunter und treibt die dort befindliche schlechte, abgestandene Luft hinaus.“

 

Der Vortragende constatirte mit solchen albernen Belehrungen seine gänzliche Unkenntniß der einfachsten physiologischen Vorgänge und bewies der berühmte Wunderdoktor, daß er nicht einmal die gewöhnlichsten, einfachsten, anatomischen und physiologischen Kenntnisse besaß, welche jeder halbwegs gebildete Laie sein eigen nennt, denn es weiß doch beinahe Jedermann, daß nicht der Magen, sondern die Lunge den Athmungsprozeß vollführt.

[Auf] Seite 30 dieses Büchleins steht ferner geschrieben: „Wenn ein Baumeister ein Haus baut, so kann er verschiedenes Material nehmen: das Beste, Gutes und minder Gutes. Hiernach wird sich der Ausfall des Bauwerkes richten und der künftige Bewohner wird es bald heransgefunden haben, was für Material verwendet wurde. Nun können wir den menschlichen Körper auch mit einem Hause vergleichen, das unserem Geiste als Wohnung dient. 25 bis 26 Jahre brauchen wir zum Aufbau dieses Hauses. Wie vorsichtig muß da gebaut werden, wie sorgfältig will da das Baumaterial ausgewählt sein. Ist es schlecht gewesen, so wird der Körper bald baufällig und sein Bewohner, unser Geist, kann sich nicht wohl darin fühlen.“

Nach diesem Kneipp'schen Lehrsatze wäre nur jener gesund und wohl, welcher in seiner Jugend eine sorgfältige Auswahl in guten Speisen und Getränken vornehmen kann, also nur der Wohlhabende. Die fortwährende Neubildung, Umbildung und Rückbildung des Körpermateriales, der Stoffwechsel, scheint von

 

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der Kneippschule nicht anerkannt zu werden und lieferte der Arzt von Gottesgnaden den Beweis, daß sein medicinisches Wissen auf dein Gebiete von Anatomie und Physiologie sehr naiver Art ist. Seite 20 desselben Büchleins ist zu lesen: „Jetzt sieht man die Kinder vielfach barfußlaufen, bis an die Knie tragen sie keine Kleider, wie der Storch auf der Wiese laufen sie einher. Aber um den Leib haben sie einen Klump von allerhand Kleidern, Spitzen u.s.w.; es sicht aus, als wenn von hinten 5, 6 Fuchsschwänze herauswachsen sollten. Nicht blos die Kleider halten warm, sondern die Luft, welche sich zwischen denselben befindet. Bei Leuten, welche zuviel Kleider übereinander tragen, kann die Ausdünstung nicht richtig vor sich gehen, die feuchten Stoffe trocknen im Unterleibe aus, so daß Verstopfung eintritt. Aber das will das Weibervolk nicht glauben, daß die Unterleibsorgane dadurch verdorben werden. Ja, und nicht zu vergessen das Kissen, welches das Weibervolk an seinem hinteren Theile trägt, manchmal sind es auch zwei und drei Kissen, je nachdem die Trägerin ihren hinteren Stock ausbauen will. Wenn ich solch einen Höcker vor mir sehe, meine ich allemal, es gehöre ein Affe darauf. Ja ihr lacht. Weibsleut, laßt euch rathen, werfet diese Hitzkasten ab; sie saugen die Körperwärme auf und halten den Körper nur an dieser einen Stelle warm, wohin alles Blut strömt und der übrige Körper leidet. Ihr glaubt nicht, was dieselben für üble Folgen nach sich ziehen. Wenn ihr operirt werden müßt, so wird euch die Lust an solchen Modeartikeln vergehen. Also fort damit, beherziget es wohl!“ –

Berühmt zu werden, hält nicht schwer,

Man darf nur für kleine Geister schreiben;

Doch bei der Nachwelt groß zu bleiben,

Dazu gehört schon etwas mehr.

[Christian Fürchtegott]Gellert.

 

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Erfolge der Kneipp'schen Wasserkur.

Sehr viele Krankheiten gehen ohne alle Behandlung von selbst in Besserung über, denn die Naturheilkraft ist es, welche Krankheiten in vielen Fällen heilt. Die Kurerfolge, welche man mit Allopathie, Homöopathie, Elektrohomöopathie, Sympathiekuren, Suggestion und Wasserkur erzielt, sind Naturheilprozesse, welche nur durch entsprechende Naturheilmittel unterstützt werden können. Schon Hypokrates, der Vater der Medicin, erklärte vor mehr als 2000 Jahren: „Die Natur ist es, welche Krankheiten heilt.“ Die Naturheilmittel Luft, Licht, Wärme und Kälte, Diät, Ruhe und Bewegung, sind die wichtigsten Heilmittel und man kann selbst, wenn nur das eine oder andere dieser Heilfaktoren zur Anwendung kommt, in einzelnen Fällen günstige Erfolge erzielen. Die Hauptwirkung wird aber immer eintreten, wenn alle Naturheilmittel in rationeller Weise zusammenwirken und jeder Kranke individuell behandelt wird. Die Art und Weise, in welcher die Wasserkur Krankheiten zur Besserung führen kann, ist nicht so fast auf das sogenannte Kneippsystem zurückzuführen, sondern beruht hauptsächlich auf folgenden Ursachen:

1) Es ist Thatsache, das; die meisten akuten innerlichen Krankheiten bei jungen, widerstandsfähigen Menschen allein durch ein vernünftiges, diätetisches Verhalten zur Besserung gelangen,

2) bewirkt bei sehr vielen chronischen Krankheiten veränderte Lebensweise, Luftveränderung, das Freisein von Amts- und Berufsarbeiten einen wohlthätigen Einfluß.

 

Eine große Reihe von Krankheiten wird hervorgerufen durch fortwährende schädliche Einflüsse, welche der gewählte Beruf mit sich bringt. Fortwährendes Stehen bei der Arbeit verursacht eine Überanstrengnng der betreffenden Organe, Knickebeine, Säbelbeiue, Plattfüße, Erweiterung der Venen daselbst, Krampfadern,

 

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Unterschenkelgeschwüre u.s.w., findet man häufig bei Schlossern, Schmieden, Zimmerleuten, Bäckern u.s.w., das Säbelbein bei Reitern und Matrosen. – Vieles Sitzen bei der Arbeit, wie es mancher Beruf mit sich bringt, z.B. bei Bureaubeamten, Uhrmachern, Schneidern, Schuhmachern u.s.w., ist oftmals die Ursache von Hämorhoidalleiden, Stuhlträgheit, Anschoppung der Unterleibsorgane, Congestionen etc.

Mancher Gewerbetreibende ist bei seiner Arbeit gezwungen, mit der Luft Stoffe einzuathmen, welche die Athmungsorgane reizen. Es entsteht dadurch vermehrte Schleimabsonderung, welche ausgehustet wird und die fortwirkende Schädlichkeit führt oftmals zu chronischen Katarrhen und zuletzt zu Schwindsucht. Müller, Bäcker, Steinhauer, Schriftsetzer, Cigarrenarbeiter leiden am meisten unter diesen schädlichen Einflüssen.

Viele Gewerbebetriebe führen zu chronischen Vergiftungen, z.B. bei Arbeitern in Bleiweißfabriken, Anilinfabriken, Zündholzfabriken, Zündhütchenfabriken, Spiegelfabriken entstehen chronische Blei-, Arsenik- und Quecksilber-Vergiftungen. Gegen alle Arten Berufskrankheiten sind die Kneippschen Güsse werthlos und ist die beste Medicin: Aufgeben oder Aussetzen des Berufes, dem die Schädlichkeit entspringt. In zweiter Linie kann durch ein systematisches Naturheilverfahren, durch Dampfbäder, Wickel u.s.w. das im Körper abgelagerte Gift aus demselben entfernt werden.

 

Eine große Anzahl – vierfünftel aller Frauenkraukheiten – werden durch starkes Schnüren des Corsettes hervorgerufen. [Vgl. Kritik am Schnüren!] Durch das enge Schnüren des Körpers in der Taille werden die Gedärme nach unten, Leber und Magen mit dem Zwerchfell nach oben gedrängt. Dieses bedingt außer unmittelbarem Drucke auf die in der Schnürebene gelegenen Organe oben eine ungenügende Entfaltung der Lunge und eine beeinträchtigte Thätigkeit des Herzens, unten ein systematisches Znsammendrängen der Genitalorgane und führt häufig zu Knickungen und Verlagerungen der Gebärmutter. Eine weitere Folge des Druckes, dem die Gedärme ausgesetzt sind, besteht

 

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in einer ungenügenden Thätigkeit derselben, die sich als chronische Verstopfung zu erkennen gibt. So kann es kommen, daß eine Reihe von Unterleibsleiden ihre Ursache in einem gesundheitsschädlichen Corsette haben. Nicht Kneippgüsse, sondern Vermeidung der Schädlichkeit, dem das Frauenleiden entspringt, sind hier Heilmittel und kann durch Sitzbäder, Kreuzpackung u.s.w. die gestörte Blutcireulation gehoben werden.

 

Der Glaube bewirkt in einzelnen Fällen dann noch Heilung, wenn andere Mittel versagt haben. Die Heilkraft des Glaubens zeigt sich am besten an Wallfahrtsorten. Die Einen wallfahren zum heiligen Rock nach Trier [– auch Kneipp war dort –] und werden durch Berührung desselben von ihrem Leiden erlöst, die Anderen reisen nach dem südlichen Frankreich und verschaffen sich an der ächten Lourdesgrotte bei der französischen Muttergottes Aufrichtung des schwachen Gemüthes, Stärkung und Hilfe in mancherlei Krankheit und Trübsal. Einem wunderthätigen Madonnenbilde werden ganze Berge menschlicher Gliedmassen aus Wachs geopfert, um durch Gebet und Opfer Gesundheit und Befreiung von Gebrechen zu erlangen. In dieser Gegend wird die gottselige Creszentia als Fürsprecherin und Helferin bei Veitstanz verehrt, in jener Gegend gilt die heilige Theresia als Wunderthäterin bei Krämpfen, Lähmungen u.s.w.

In früheren Jahrhunderten, zur Blüthezeit des Aberglaubens, geschahen selbst an den Gräbern der Heiligen ganz merkwürdige Wunder, so war z.B. das Grab des heiligen Ludwig ein sehr besuchter Wallfahrtsort. Die Einwirkung des Gemüthes, die Macht des Gemüthes, ist von allergrößtem Einflusse auf den Körper. Die wunderbaren Heilerfolge, welche oftmals an Wallfahrtsorten verzeichnet werden, lassen sich auf die günstigen Nebenumstände, die hinreißende Gewalt der Reise, die zunehmende Aufregung und das felsenfeste Vertrauen auf Hilfe zurückführen. Deshalb ist das Vertrauen, die Leichtgläubigkeit, die Sugibilität Bedingung für Heilung durch den Glauben.

 

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Aber nur eine sehr geringe Anzahl von Krankheiten sind durch den Glauben heilbar; es sind jene Krankheitszustände, welche hysterischer Natur sind oder mit einer solchen im Zusammenhänge stehen. Hysterische Krämpfe, hysterische Verkrümmungen, Lähmungen, Geschwülste, Geschwüre, Muskelschwund, Wasseransammlungen etc. etc. werden durch den Glauben geheilt.

Aber es ist noch niemals erlebt worden, daß ein verlorengegangenes Bein durch Glauben nachgewachsen wäre, ein Herzfehler beseitigt, ein Magenkrebs verschwunden, Rückenmarksschwindsucht, Tuberkulose, grauer Star, Lupus etc. geheilt oder ein zerüttetes Nervensystem gesund geworden wäre. Deßhalb ist auch an dem neuen Wallfahrtsorte Wörishofen die Anzahl der durch den Glauben an die Kneippkur geheilten Patienten eine verhältnißmäßig geringe, denn mit Güssen, Glauben und Barfußgehen bleiben sehr viele Krankheiten ungeheilt.

Auch werden in Wörishofen in vielen Fällen in der Eile unrichtige Diagnosen gestellt, leichte Erkrankungen als schwierige interessante Fälle hingestellt und auf diese Weise Krankheiten geheilt, welche gar nicht vorhanden waren. Die Kneipp'schen Wunderkuren, die unglaublichen Ergebnisse der Kneippgüsse, sollen an folgenden Beispielen, welche alle aus dem Leben gegriffen sind und thatsächlich vorkamen, näher erörtert werden, um zu beweisen, daß nicht die Kneippschen Verordnungen, nicht das Kneippsystem allein vortheilhaft gewirkt hat, sondern, daß hauptsächlichst äußerst günstige Nebenumstände, welche die Kneipp'schen Lobredner verschweigen und alles auf Conto der Kneippmethode und auf den medicinischen Scharfblick Kneipps schreiben, das allermeiste znr Heilung bei Krankheiten beitragen und daß die wunderbaren Kurerfolge, welche man in Wörishofen mit den Güssen erzielen will, sehr zusammenschrumpfen und sich alle auf natürliche und einfache Weise erklären lassen.

 

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Erster Fall. Ein Student, ein junger Mann von 17 Jahren, ist durch Überanstrengung beim Studiren und sonstige nachtheilige Einflüsse nervös geworden und kann den Gymnasialunterricht trotz aller Mühe und Fleiß nicht mehr fortsetzen. Man versucht beim Arzte Hilfe, derselbe verordnet gegen Nervosität Bromkalium, gegen Schlaflosigkeit Chloralhydrat etc. Das Mediciniren bringt nur vorübergehend Besserung, Patient erhält Ferien und reist in die Heimath. Der Herr Ortspfarrer, welcher in dem jungen Gymnasisten bereits einen Cleriker vermuthet, erkundigt sich theilnamsvoll nach seinem Befinden und ertheilt den wohlmeinenden Rath, „eine Kur in Wörishofen“ zu machen. Patient erhält daselbst verordnet die allbekannten O. S. R. Kn. H. Wg. Barfußgehen und arbeitet 3 Wochen mit Vertrauen, Fleiß und Ausdauer an der Ausführung der Wasserkur.

Das Allgemeinbefinden wird ein besseres, die Nerven werden ruhiger, der Schlaf wird länger andauernd: nach weiteren 4 Wochen befindet sich der Nervöse im besten Wohlsein und verläßt dankbar als Kneippverehrer Wörishofen. Kneipp verzeichnete in seinem Tagebuche: Student A.B. aus D. wurde von hochgradiger Nervosität durch meine Güsse vollständig kurirt. Betrachtet man diese Wunderkur näher, so ist leicht herauszufinden, was die wirkliche und eigentliche Hauptursache der Heilung in diesem Falle war, ob die Kneippgüsse sich allein wirksam erwiesen haben. Nervosität war in diesem Falle hervorgerufen durch einseitige Überanstrengung der Gehirnnerven – also Hauptkurmittel wird sein: Vermeidung der krankmachenden Schädlichkeit d.i. Aussetzung des Schulunterrichtes, „geistige Ruhe“. Ferner ist vor und nach dem Gießen systematisches Warmlaufen in frischer Luft vorgeschrieben, welches täglich 2 bis 3 Stunden Zeit in Anspruch nimmt, während Patient früher täglich 6 bis 8 Stunden im dumpfigen, schlecht ventilirten Klassenzimmer sitzend zubringen mußte. Viele Krankheiten

 

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nehmen ihren Ursprung aus der Entziehung freier Luftathmung, durch sitzende Lebensweise oder aus dein andauernden Athmen von verdorbener Luft, wie sie in Arbeitsräumen, Schulen etc. vorkommt. In diesem Falle von Nervosität waren Heilfaktoren: geistige Ruhe, Körperbewegung, Einathmung von frischer Luft, veränderte Lebensweise. Die Kneipp-Verordnungen O. S. R. K. H. Wg. etc. kommen erst in zweiter Linie in Betracht. Ein tägliches Flußbad im Freien, oder ein lauwarmes Wannenbad mit kühler Abwaschung hätten die Kneipp'schen Güsse vollständig ersetzt und übertroffen, denn auch letzteres bewirkt eine gleichmäßige Vertheilung des Blutes auf den ganzen Körper und damit eine Entlastung des Gehirnes vom Blutdrucke, was in diesem Falle anzustreben ist.

 

Zweiter Fall. Ein junges Mädchen, Putzmacherin, deren Beruf eine sitzende Lebensweise bedingt, leidet an Bleichsucht, Kopfweh, Magenbeschmerden, Athmungsbeschwerden, Herzklopfen, Stuhlverhaltuug u.s.w. Der Arzt verschreibt Stuhlpillen, Abführmittel, Pepsinweine und verschiedenes Andere, aber alles ohne nennenswerthen Erfolg, weil die ungünstige Lebensweise, vieles Sitzen, Mangel an Bewegung in frischer Luft, fortdauern. Man sucht zuletzt Hilfe in Wörishofen. Die Kneipp‘schen Verordnungen lauten: „Dableiben 6 Wochen und Güsse nehmen als O. S. R. K. H. Wg. Nach Umfluß dieser Zeit fühlt sich die bleiche Modes wesentlich besser, auf den sonnverbrannten Wangen zeigt sich ein röthlicher Schimmer, so daß die Patientin die Verordnungen für „zu Hause“ erhält und wird mit den obligalen wöchentlich 3 Halbbäder, 1 Schenkelguß, 1 Rückenguß als geheilt entlassen. Auch in diesem Falle sind nicht die Kneipp'schen Güsse allein, sondern durch Vermeidung des schädlichen Vielsitzens, welches eine schlechte Blutcirculation, schlechte Athmung, schlechten Stoffwechsel und damit schlechtes Blut erzeugt, eine Besserung erzielt worden.

 

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Viel Bewegung in frischer Stift, kräftige Einathmung derselben, veränderte Lebensweise sind hier Heilmittel gewesen. Eine rationelle Naturheilkur mit Wickeln, Sonnenbädern, Athmungsgymnastik, Heilgymnastik, Unterleibsmassage, Halbbäder, eine entsprechende diätetische Ernährung hätten in diesem Falle rascher zum Ziele geführt als die Kneippgüsse.

 

Dritter Fall. Ein Beamter, Ende der vierziger Jahre, in einer großen Stadt wohnend, ist durch seinen Beruf genöthigt, den ganzen Tag im Bureau zu arbeiten und seit vielen Jahren gewohnt, Abends nach Tisch in einer Kneipe durch Biergenuß, Tabak und Schafkopfspiel sich die nöthige Erholung und Bettschwere zu verschaffen. Doch es kommt eine Zeit und dem Herrn Beamten ist es niemals so ganz recht wohl, so nicht besonders extra. Es stellen sich verschiedene früher ungekannte Beschwerden ein, als Blutandrang gegen den Kopf, Unterleibsbeschwerden, Athemnoth, der Mann wird aufgeregt, leidet an Schlaflosigkeit, befindet sich meistens in einer gereizten, nervösen Stimmung und ist zuletzt nur noch mit Aufbietung aller Kräfte imstande, seine tägliche Arbeit, welche er früher spielend leistete, zu verrichten.

Man konsultirt schließlich den Hausarzt, welcher Arznei verschreibt und „Ausspannen“ empfiehlt. Die Arznei bewirkt keine besondere Erleichterung und der zweite ärztliche Rath – „das Ausspannen“ – kann nicht befolgt werden, weil zur Zeit kein Urlaub möglich ist. Endlich sind die Ferien da; auf Anrathen eines Wasserfreundes entschließt sich Patient zu einer Kur in Wörishofen. Zur Beseitigung der „Hypotheke“ (Kneipp'scher Kraftwitz für Corpulenz) ordinirt die Kneippschule O. S. R. K. H. Bl. Steinegehen.

Nach Umfluß von 6 Wochen ist wesentliche Besserung eingetreten, weil Patient auch sonst sehr einfach lebt, keine Mediein einnimmt, wenig Bier trinkt, wenig raucht, zeitig Schlafen geht, um im Morgenthau spazieren gehen zu können. Auch in diesem Falle waren Hauptmomente: Luft- und Ortsveränderung, das Freisein von Amtsgeschäften, veränderte

 

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Lebensweise, geistige Ruhe, Körperbewegung, eine gewisse Diät, Enthaltung von Alcohol und Nicotin. Die Kneippgüsse haben auch hier keine Wunder gewirkt, sie wäre durch kühle Brausebäder oder 20° Halbbäder vollständig ersetzt und übertroffen worden.

 

Vierter Fall. Eine vornehme junge Dame, deren Beschäftigung in Toilettemachen und Romanelesen besteht, klagt über Kopfweh, Magenweh, Schmerzen und Krämpfe im Unterleib, Athmungsbeschwerden, Herzklopfen, Stühlverhaltung, Blutandrang gegen den Kopf, kalte Füße, Nervosität, – Patientin wird melancholisch, schwermüthig u.s.w. Die Gesichtsfarbe ist blaß, Figur schmächtig und die mehr als schlanke, wespenartige Taille ist mit beiden Händen zu umspannen. Der Hausarzt behandelt die Dame an Blutarmuth, Bleichsucht, Nervosität und Obstipation. Für Bleichsucht wird verordnet Chinaeisenwein, täglich viermal 1 Löffel voll, gegen Nervosität Bromkalium, gegen Stuhlverhaltung Rhabarberapillen Abends 2 bis 3 Stück zu nehmen; außerdem empfiehlt der Herr Doktor im Anblick der Wespentaille das Korsett möglichst locker zu tragen und fleißig in frischer Luft spazieren zu gehen.

Die Apothekermittel verursachen ab und zu Erleichterung der Beschwerden, doch das Allgemeinbefinden wird nicht besser, weil das letzte Rezept, Lockerung resp. Ablegung des Korsettes und Bewegung im Freien, nicht in der Apotheke gemacht werden kann. Patientin gehört zu den bleichsüchtigen, siechen, langweiligen, ewig kränkelnden jungen Mädchen, welche trotz Bouillon mit Ei und Fleischextrakt, trotz englischer Beafsteak, Thee, Bordeauwein, Roncegnowasser, trotz Aufenthalt an der See und im Gebirge nicht gedeihen, nicht gesund werden. Der letzte Versuch, die Gesundheit wieder zu erlangen, führt unsere Patientin aus Wien nach Wörishofen. Die Kneippschule verordnet das bekannte „Dableiben“ und O. S. R. K. Wg. H. Kn. in endloser Abwechslung. Ferner

 

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jeden Morgen Oberkörperwaschung, Barfußgehen, Ablegen des Schnürleibs, denn mit einem solchen können nach Kneipp die Weibsbilder überhaupt keine Kur machen. Verboten sind Caffee, Thee. Nach 8 Wochen Kurzeit sind die meisten Krankheitssymptome verschwunden und mit den obligaten Verordnungen für „zu Hause“ reist Patientin nach ihrer Vaterstadt an der schönen blauen Donau. Zur Sammlung der Kneippatteste wird beigefügt: Fräulein X. X. aus Wien, welche von mehreren Ärzten ohne Erfolg behandelt wurde und auch die verschiedensten Bäder vergeblich besucht hatte, wurde durch die Kneippkur vollständig hergestellt.

Haec fabula docet: Nicht die Kneippgüsse, sondern Patientin selber, welche einmal zur Vernunft kam, das Schnürzeug abzulegen und statt still sitzen und erlogene Romane zu lesen mit anderen Kurgästen in Feld und Wald herumtummelte, hat sich selber den großen hygienischen Dienst ertwesen. Das hätte sie aber überall vornehmen können ohne Kneipp und ohne Wörishofen, in einer hübscheren Gegend und angenehmeren Gesellschaft.

Durch Entfernung des Korsettes kann der Blutkreislauf, welcher bisher gestört war, ungehindert im ganzen Körper und namentlich im Pfordtadersystem flott vor sich gehen. Wichtige Organe: die Leber, Gallenblase, Magen, Lungen und Nieren werden von dem äußerst schädlichen Drucke befreit, der Brustkorb kann sich wieder normal ausdehnen, die Athmung, welche unter dem Drucke des Korsettes stets gehindert ist, kann wieder normal vor sich gehen. Durch erhöhtes Athmen wird dem Blute mehr Sauerstoff, Lebenslust zugeführt, die giftige Kohlensäure und andere Blutschlacken werden energischer aus dem Körper ausgeworfen, durch Tiefathmen wird das in den unteren Extremitäten stagnirende Venenblut kräftig zum Herzen geleitet und der Stoffwechsel mächtig gefördert. Durch Barfußgehen fallen weiter die engen Strumpfbänder und engen Schuhe weg, welche meistens die Ursache der chronisch kalten Füße sind. Letztere

 

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werden erwärmt, das Blut vom Kopfe abgeleitet und damit Congestion und Kopfschmerz beseitigt. Bewegung vor und nach den Güssen ist ein wichtiger Heilfaktor. Das kalte Wasser, es müssen nicht gerade Kneippgüsse sein, wirkt vortheilhaft auf den Stoffwechsel und die Blutcirculation und es ist nur das Eine für das neuerfundene Kneippsystem unangenehm, daß das kalte Wasser schon jahrhundertelang vor dem Erscheinen „Meine Wasserkur“ im Gebrauch und bekannt war.

 

Fünfter Fall. Ein Herr ist seit vielen Jahren von früh bis spät Abends im Geschäfte thätig und verliert infolge von Überanstrengung allmählig die Sehkraft, consultirt infolge dessen die verschiedensten Ärzte und gebraucht alle möglichen Heilmittel ohne Erfolg. Der letzte Arzt räth zu einer Kräftigungskur. Der Augenkranke verfügt bereits schon über eine ansehnliche Leibesfülle und wird durch die empfohlene Stärkungskur, ächte theure Bordeauxweine, Beafsteak mit Ei noch korpulenter und gleichzeitig blutarmer und die Sehkraft nimmt immer mehr ab. Als letzter Versuch wird eine Kneippkur unternommen.

Wörishofen war damals von Fremden überfüllt und suchte und fand Patient im Mayenbade Aufnahme, Verpflegung und Behandlung unter Kneipp'seher Direktion. Die Verordnungen waren: O. S. R. K. H. Bl. und täglich eine Messerspitze voll Zuckerpulver ins Auge.

 

Durch die kräftige Bewegung im Freien vor und nach dem Gießen, durch die im Mayenbade in diesem speziellen Falle eingeführte, täglich mehrstündige Kurbelbewegung am Ergostat, durch entsprechende Diät, Vermeidung der Fettbildner und Einschränkung der Getränke wurde der Gesammtstoffwechsel gehoben, das Blut verbessert und bedeutend vermehrt, das überschüssige Fett entfernt und infolge dessen wurden die Sehnerven mit gesundem normalen Blute wieder ernährt und die Sehkraft stellte sich allmählig wieder ein.

Die Kneippleitung legte zu seinen Erfolgen das Attest: Herr D. ans K. litt an Atrophie der Sehnerven und wurde durch die Güsse vollständig geheilt.

 

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Was war aber wirklich das Wirksame an der Heilung? 1) Aussetzen des bisherigen Berufes, 2) Vertauschung des Klimas am Unterrhein mit der Allgäuer subalpinen Zone, 3) Diät und Bewegung, Oertel'sche Entfettungskur, 4) Kaltwasserkur.

Infolge dieser glücklichen Kur, welche durch die Kneippliteratur als hervorragender Paradefall ungeheuer aufgebauscht wurde, kamen viele Hunderte ja Tausende von Augenkranken und Blinden nach Wörishofen, trotz derselben Behandlung, der Güsse und des Zuckerpulvers wurde keiner mehr geheilt, weil bei keinem dieser Augenkranken die Ursache dieselbe war, wie im oben angeführten Falle, und doch wurde von der Kneippschule jedem Augenkranken sichere Hilfe versprochen und die hoffnungserfüllten armen blinden Menschen jahrelang vergeblich in Wörishofen aufgehalten. Ich kenne Leute, welche den letzten Sparpfennig opferten, im Vertrauen auf versprochene Heilung, aber dieselbe nicht fanden.

 

Sechster Fall. Ein Metallarbeiter, Gelbgießer, hatte verschiedenartige Krankheitssymptome, welche auf das Vorhandensein einer Rückenmarkserkrankung hindeuteten. Dieser Arbeiter kam nach Wörishofen und erhielt wie gewöhnlich verordnet O. S. R. Kn. V. H. Wg. – Nach mehreren Monaten waren die meisten Krankheitssymptome verschwunden und Patient erklärte, sich wohl zu befinden. Es wurde nun constatirt, Arbeiter N. N. aus W. litt an Rückenmarksschwindsucht und wurde durch die Kneippkur vollständig hergestellt. Thatsächlich war der Mann aber gar nicht rückenmarksleidend, sondern eine chronische Metallvergiftung (Blei und Kupfer) verursachte seine Krankheit. Nachdem der Gelbgießer, während der Kurzeit, mehrere Monate aus seiner Werkstätte entfernt und den giftigen Metalldämpfen nicht mehr ausgesetzt war, verloren sich sänimtliche Krankheitserscheinungen.

 

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Alle diese Naturheilfaktoren waren längst bekannt und im Gebrauche. Für die Wasseranwendungen ist nicht Wörishofen sondern Gräfenberg, nicht Kneipp sondern Prießnitz der große Meister. Kopfbad, Halbbad, Sitzbad, die Körperwaschungen, die Begießungen, die Wickel, die Dampfbäder, die wechselwarmen Bäder, Barfußgehen u.s.w. hat zuerst Prießnitz erfunden und augewendet. Im Jahre 1829/30 gingen sogar eine überaus große Anzahl von Ärzten zu dem Bauern Prießnitz, dem Gegner der herrschenden Medizinkunst, um sich über das Wesen und Wirkung der Wasserbehandlung unterrichten zu lassen. Professor Wintermitz war unermüdlich für die Wasserbehandlung thätig, Pleniger hatte schon 1863 eine „Physiologie des Wasserheilverfahrens“ geschrieben, Brandt führte in den Lazarethen der preußischen Armee die Behandlung des Typhus mit Kaltwasserkur ein u.s.w. u.s.w.

Das Barfußgehen ist seit vielen Jahrzehnten auf dem Gräfenberg, auf der Waid bei St. Gallen, in Veldes in Krain, auch im Mayenbade für Kurgäste obligatorisch und dasselbe ist auch sehr wohlthätig, wenn es vernünftig betrieben wird. Mitten im Winter bei Kälte mit bloßen Füßen, barfuß in Sandalen herumzulaufen, während der Kopf mit einer Pelzmütze und der Körper mit einem Mantel umgeben ist, wie man es in Wörishofen täglich sehen kann, ist ein Blödsinn, denn eine alte erprobte Gesundheitsregel lautet: Kopf kühl, Füße warm!

 

In den Wasserheilanstalten mit Luft, Licht und Sonnenbädern sind die enganschließenden Korsette der Damen von jeher verpönt gewesen. Vor dem Auftreten Kneipp's als Wasserapostel waren in Deutschland beinahe zweihundert Naturheil- und Wasserkuranstalten im Betriebe. Was also die Kneippschnle lehren will, ist alles schon längst bekannt und dagewesen, nur das Eine ist neu, daß ein katholischer Pfarrer, ein vom Staate angestellter Beamter, seine priesterliche Stellung mißbrauchte und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts durch maßlose Reklame sein ruhiges, zufriedenes Pfarrdorf zu einem internationalen Wallfahrtsort,

 

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Kur- und Rummelplatz machte, daselbst in jeder Beziehung ungesunde Zustände wie in einem kalifornischen Goldgräberdorfe schaffte und das gläubige hilfesuchende Volk im Vereine mit seinen Verwandten und Günstlingen durch seine Schablonenkuren ausbeutete und daß ein solches Thun und Treiben von den geistlichen Behörden nicht nur geduldet, sondern im ausgedehntesten Maaße unterstützt wurde. –

 

Die Vorrede in dem Buche „Meine Wasserkur“ berichtet ferner: „Ich selbst (Kneipp) habe nichts sehnlicher gewünscht, als daß ein Mann von Beruf, ein Arzt, mir die schwere Last und drückende Arbeit abgenommen hätte und ich trage kein innigeres Verlangen und Wünschen, als daß endlich Leute vom Fach allgemeiner und umfassender auch die Wasserheilmethode gründlich studiren und in die Aufsicht nehmen mögen. Ein solcher möge diese Laienarbeit (Meine Wasserkur) als kleines Hilfsmittel betrachten.“

Diese Wünsche veranlaßten manchen Arzt mit geringer Praxis die Wasserklinik Wörishofen zu belegen, um die leicht und sicher wirkende, angeblich neu erfundene Heilmethode an Ort und Stelle zu studiren und zu praktiziren. Viele Mediziner, diplomirte Ärzte, hatten den traurigen Muth, sich von Herrn Pfarrer Kneipp ein Zeugniß ausstellen zu lasten, (Testimonium paupertatis), daß sie die neue Heilmethode richtig begriffen, gründlich erlernt haben und im Stande seien, eine Kneippkuranstalt lege artis zu leiten.

Viele Kneippärzte und Kuranstalten mit Kneippärzten hoben es in ihren Prospekten namentlich hervor, daß sie selbst in Wörishofen gewesen und ächt Kneipp'sche Behandlung verständen. Für diese mit dem Wörishofener Wasserdiplome ausstaffirten Herren Mediziner war es nun die nächste Aufgabe, ihren verehrten Lehrer, den alten überangestrengten Herrn, wie er selbst ja scheinbar wünschte, die schwere Last und drückende Arbeit abzunehmen. Jeder kneippdiplomirte Arzt lebte nun in dem Wahne, er brauche jetzt nur eine Kuranstalt (System Kneipp) zu bauen

 

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oder zu errichten, um den vielgeplagten Pfarrherrn zu entlasten und dieselben glaubten und hofften, Kneipp werde, um seine Ruhe zu bekommen, die nach Wörishofen strömenden Patienten zurückweisen und an die neuen Kuranstalten empfehlen. Man hoffte in kurzer Zeit durch die Pastoralmedizin Ruhm, Ehre und Vermögen zu gewinnen. Große Kapitalien wurden durch die Kneipp'sche Anregung zur Gründung von neuen Kuranstalten aufgewendet; dieselben schossen wie Pilze aus der Erde hervor, riesige Geldsummen wurden für Kneippkurorte und Kneippreklamen verschleudert, man versprach sich goldene Berge. – Aber viele Kneippkuranstalten warten seit 9 Jahren heute noch vergebens auf den Andrang der Wasserverehrer, weil die Leiter der Kneippbewegung behaupteten: „Man kann nur in Wörishofen, dem Centralpunkte, die beste Kur machen.“ Manche geriethen in Concurs oder waren gezwungen, einen anderen Nahrungszweig zn suchen. (Johannisbad, Pfersee, Johannisbad-Schongau, St. Achaz, Gundelsheim u.s.w.)

 

Ein trauriges Ende nahm das ostschweizerische Wörishofen, die Kneippkuranstalt Dußnang. Eine Zeitung berichtet hierüber: „Das ostschweizerische Wörishofen, die Kneippkuranstalt in Dußnang (Kanton Thurgau) ist verkracht; über ihren Gründer, den kath. Pfarrer Engster, ist der Konkurs verhängt. Die Passiven betragen etwa über eine halbe Million Franken. Gegen den Pfarrer wurden bei der Thurgauer Staatsanwaltschaft Klagen eingereicht. Ob es zu einer Strafverfolgung des Geistlichen kommt, bleibt abzuwarten. Nach der „Ostschweiz“ hat Pfarrer Engster Dutzende von Existenzen in das dunkle Berhängniß mit hineingerissen. Auf die Warnungen der kirchlichen Oberbehörden hat er nicht gehört. Die Opfer sind gute katholische Leute aus dem Alttoggenburg und Hinterthurgau, die ihre kleinen Ersparnisse in der Anstalt anlegten und nun alles bei Heller und Pfennig verlieren. Eine alte Frau gab der Anstalt ihr 18,000 Fr. betragendes Vermögen, um dafür lebenslänglich in der Kuranstalt untergebracht zu werden; sie

 

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mußte ins Armenhaus übersiedeln. Betheiligt sind ferner fleißige Handwerker und Geschäftsleute der Umgebung. Durchweg sind die Gläubiger kleine Leute. Mit der kath. Religion wurden hier Geschäftsspekulatiouen verknüpft. Das Ereigniß bildet für die solide Bauerngemeinde Dußnang eine Katastrophe. Der berüchtigte Teufelskult, der im Taxil und Miß Vaughanhandel [??] so große Verheerungen angerichtet hat, spielt auch hier eine Rolle. Wenn die armen Leute hörten, daß es in Dußnang schief gehe und sie nach ihrem Gelde sehen wollten, wurde ihnen gesagt, daß nur Satanswerk sei, was Engster geschäftliche Schwierigkeiten bereite; der Teufel habe auch hier die Hand im Spiele, um Mißtrauen gegen das ihm verhaßte Werk zu säen, und die abergläubischen Leute ließen sich wieder beruhigen. Engster wurde als Pfarrer bereits suspendirt.“ –

 

Wie stehen die Verhältnisse in Wörishofen? Wird Wörishofen das Schicksal von Dußnang theilen oder wird sich dasselbe wie bisher als Kurort behaupten, ist die Frage Vieler. Als Pfarrer Kneipp 1886/87 zum erstenmal „Fremde“ behandelte, für die sich das Bedürfniß nach Wohnungen ergab, stand er in einem Alter von 66 Jahren, war also bereits betagt. Es bestand also nach menschlichem Ermessen wenig Aussicht, daß er so lange „Doktern“ und Fremde heranziehen werde, daß der Bau von Wohnhäusern zum Zwecke des Vermiethens an Kurgäste räthlich erschien. In der That wagten es nur unternehmende Köpfe, schon zu Beginn Kneipp durch den Bau von Etablissements zu unterstützen. Das Gros der Fremden vertheilte sich auf Mindelheim, Türkheim u.s.w. Erst vom Jahre 1890 ab begannen Villen, Pensionate, Badeanstalten, Wirthschaften und Hotels gleichsam aus dem Boden zu schießen. Zu dieser Zeit war Kneipp durch seine Bücher bereits weiter bekannt geworden und zog Kranke in größerer Zahl an. Man baute nicht mehr im Vertrauen darauf, Kneipp werde lange leben, sondern im Glauben an seine Methode und an sein Versprechen: „Ich werde sorgen, daß Wörishofen erhalten bleibt.“

 

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Die Grundpreise stiegen im Nu in's Unermeßliche. Gründe, die noch 1890 zu 10 Mark das Dezimal gekauft wurden, erreichten 1892 je nach ihrer Lage einen Preis bis zu 150 Mark, ja bis zu 300 Mark. Es wird ein Wörishofener bezeichnet, der seinen Grund um 2000 Mark gekauft und ihn um etwa 35,000 Mark verkauft und verwerthet hat. Zu diesen exorbitanten Grundpreisen kommt, daß Wörishofen nicht die Gewerbsleute besitzt, die die Bauten hätten übernehmen können. Es mußten auswärtige Maurer zu theuren Preisen herangezogen werden. Das Baumaterial war ebenfalls theuer. Während man sonst für 1000 Ziegel 25 - 30 Mark bezahlte, kamen sie hier auf 42 Mark zu stehen.

So entstanden theure Häuser auf theuren Plätzen, – und die Banken verweigerten die Belehnung, da sie eine dingliche Sicherheit in diesen Bauten, die gegebenen Falles zwecklos werden konnten, nicht erblickten. Was also heute nach dem Tode Kneipp's ein sträfliches Unterfangen sein soll, die Zukunft Wörishofens nicht als gesichert zu betrachten, haben die Banken und Geldinstitute noch zu Kneipp's Lebzeiten gethan.

Die Fremdenfrequenz war im Jahre 1892 am höchsten und nahm seitdem von Jahr zu Jahr langsam ab sowohl an Quantität als Qualität der Kurgäste. Gegenwärtig sind vierfünftel der anwesenden Kurgäste Ausländer. Einheimische und Bewohner der nächsten Umgebung haben zu der berühmten Wasserkur kein Vertrauen und suchen in Krankheitsfällen bei Nicht-Kneippärzten Hilfe und lassen sich weder bei Kreuzer noch bei Geromiller gießen. Die künstlich hervorgerufene Kneippbewegung hat durch den Tod des Prälaten ihren Schöpfer und Urheber verloren, den Reiz der Neuheit nicht mehr und ist außerdem durch die vielen Mißerfolge in bedenklicher Abnahme begriffen. Auf den fieberhaften Aufschwung, den Wörishofen in den letzten Jahren genommen hat, wird ein bedenklicher Krach folgen und die Volksstimme bezeichnet bereits jetzt schon als Kneipp's Nachfolger den Gerichtsvollzieher von Türkheim. Mancher

 

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Kneipp'sche Spekulant wird sich mit dem Sprüchwürte trösten müssen: „Wie gewonnen, so zerronnen!“ Der Glaube an die Wörishofener Wunderkuren wird in nicht ferner Zeit eine bedeutende Einbuße erleiden, weil die Kneippkur, wie sie zur Zeit in Wörishofen ausgeübt und ausgebeutet wird, eine werthlose Kurschablone ist und auf irrigen Voraussetzungen, Unwahrheiten, falschen Grundlagen, Unkenntniß und Charlatanismus beruht.

Eine Autorität der Medicin in München, welche im Auftrage der Staatsregierung eine Visitation in Wörishofen vornahm, erklärte nach vorausgegangenem Zwange in öffentlichen Blättern, daß das ärztliche Leben und Treiben, sowie die sonstigen Zustände in Wörishofen auf jeden gebildeten Arzt nur einen traurigen Eindruck machen können. Das ist auch der Grund, warum die rein wissenschaftliche Naturheilkunde gegen die Kneippschule eine gewisse Reserve beobachtete. Das einzige Verdienst der Kneippbewegung besteht darin, daß die Anwendung des kalten Wassers zu Gießungen, ein kleiner Bruchtheil der Wasserkur, das ist ein Theil der Naturheilmethode in den breiten Volksschichten Eingang gefunden hat und daß der Glaube an die Allmacht der Arzneimittel allmählig schwindet und daß man vielfach durch rationelle Hautpflege und Abhärtung Krankheiten und Kraukheitsanlagen zu verhüten sucht. Hätte Herr Prälat Kneipp eine bessere Auffassung der gesammten Naturheilmethode gehabt und sich und seine Methode nicht als unfehlbares Heilsystem gehalten und wäre er in seinem Größenwahn nicht von seiner Umgebung unterstützt worden, so wäre er sicher veranlaßt gewesen, mit den großen Geldsummen, die ihm von allen Seiten in reichlichstem Maaße zuflossen, an einer Universität einen Lehrstuhl für allgemeines Naturheilverfahren zu dotiren, dadurch hätte er sich unsterbliche Verdienste erworben,

 

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so aber hat der Herr Pfarrer mit dem für die leidende Menschheit bestimmten Mitteln Klosterhotels und Seminar-Freiplätze für Theologiestudirende gestiftet und seine Wohlthaten, welche er den Menschen erwiesen hat, schrumpfen zusammen wie seine Wunderkuren. – Das Naturheilfahren sollte Allgemeingut werden und sollten sämmtliche Heilfaktoren nach Bedürfniß zur Anwendung gelangen. Nicht einseitiger Vegetarianismus mit Datteln, Nüssen und Schrottbrod, nicht einseitige Kaltwasserkur mit Güssen, Lehmwasser und Topfenkäse, nicht Packungen und Dampfbäder, Luft- und Sonnenbäder allein, nicht einseitige Elektricität, Massage, Diät, sondern alle Heilfaktoren nach Bedürfniß zusammenwirkend, werden Krankheiten verhüten und Erkrankten Hilfe bringen können. Schluß-Motto: „So lange die medicinische Wissenschaft nicht Volkswissenschaft, nicht Allgemeingut geworden ist, solange hat dieselbe ihre Aufgabe nicht erfüllt.“ (Professor Rudolf Virchow.)

 

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Anhang. Einige Text-Proben aus dem bereits angekündigten Buche:

Der Mayenbader Hausarzt.“

A. Beschreibung und Behandlung einer akuten Krankheit.

Die Lungenentzündung. Pneumonia crouposa.

Man unterscheidet zwei Arten Lungenentzündung, die katarrhalische und die croupöse Form. Die katharrhalische Entzündung ist nicht wie die croupöse eine für sich auftretende, klinisch abgeschlossene, besondere Krankheit, sondern in der Mehrzahl der Fälle eine sekundäre Erscheinung, welche sich im Verlaufe der verschiedensten akuten und chronischen Krankheiten entwickeln kann. Fast immer schließt sie sich an einen Luftröhrenkatarrh an. Die eigentliche croupöse Lungenentzündung kommt entweder im Gefolge anderer schwerer Erkrankungen vor, oder entsteht selbständig besonders bei Erwachsenen durch unmittelbare Reizung des Lungengewebes, durch Erkältung, durch Stoß oder Schlag, Überanstrengung der Lungen durch Laufen, Schreien und andere Schädlichkeiten.

Dadurch wird es einigen Mikroben möglich, sich in den Lungen anzusiedeln und sich zu vermehren, so daß die Wissenschaft heute behauptet, die Lungenentzündung wird hervorgerufen durch den Diplococcus pneumoniae (Fränkel), Bacillus pneumoniae (Friedländer), Streptococcus pneumoniae (Weichselbaum) und gehört zu den Infektionskrankheiten.

 

Die Entzündung befällt in der Regel zuerst den unteren Lungenlappen der einen Seite, schreitet oft auf die oberen Lappen fort und geht manchmal auch auf die andere Lunge über. Die Lungenentzündung beginnt meist mit mehr oder weniger heftigem Schüttelfroste, unter dem die Temperatur bis etwa 40 Grad ansteigt und der namentlich bei Kindern nicht selten mit Erbrechen verbunden ist. Bald klagen die Kranken über Seitenstechen, behindertes Athmen, Husten, Kopfschmerzen, kein Appetit, Zunge belegt, Stuhl angehalten, concentrirter Harn, häufig mit etwas Eiweiß. Auswurf: anfangs schaumig und weiß, aber sehr zähe, später gelblich, rostfarben oder intensiv roth.

 

S. 173

Die Erscheinungen steigern sich von Tag zu Tag bis entweder in schweren Fällen der Tod eintritt oder in günstigeren Fällen am 5., 7. oder 9. Tag das hohe Fieber von 40 Grad unter starken Schweißen wieder auf die normale Bluttemperatur von 37 Grad C. zurückgeht und damit das Fieber, der blutige Auswurf und die schweren Störungen des Allgemeinbefindens verschwinden. Das entzündete Lungengewebe ist anfangs (…)

 

S. 176

(…)

B. Beschreibung und Behandlung einer chronischen Krankheit.

Nervenschwäche, nervöse Erschöpfung, Neurasthenie.

Unser Zeitalter des Dampfes, der Elektricität, des ungeheuren Bierkonsums, Kaffee- und Tabakgenusses ist zugleich das der Nervosität. Das naturwidrige Leben und Treiben eines großen Theiles der Menschheit, namentlich in den übervölkerten Großstädten, hat die Nervosität, die Geißel der Menschheit, erzeugt.

 

S. 177

Die Krankheit wird in der Regel veranlaßt durch andauernde, übermäßige Anstrengung des Nervensystemes bei geistiger und körperlicher Arbeit, durch Kummer und Sorgen, durch den Mißbrauch von alcoholischen Getränken, Tabak, durch geschlechtliche Ausschweifungen und sonstige schwächende Einflüsse, durch Blutarmuth, Bleichsucht u.s.w.

Nervenleidende klagen über Sehstörungen, sind empfindlich gegen grelle Lichtreize und Schall, bekommen Ohrensausen und Angstzustände. Weitere Anzeichen sind Schlaflosigkeit, Congestionen zum Kofs, Kopfschmerzen, Schwäche der Stimme oder gänzliches Versagen derselben. Eine eigenartige Furcht stellt sich ein, die Platzfurcht, und besteht darin, daß gewisse Personen, sobald sie im Begriffe sind, einen freien Platz zu überschreiten, ein abnormes Angstgefühl ergreift, das ihre Schritte hemmt und zu jeder Weiterbewegung unfähig macht. (…)

 

S. 180

(…)

Für solche Patienten, die durch geschlechtliche Ausschweifungen, Onanie Pollutionen und anderweitige Schwächungen Nervenleiden sich zugezogen haben, passen vor allem Sitzbäder von verschiedener Temperatur, Kräutersitzbäder (je nachdem die Zerrüttung und Schwäche der Organe fortgeschritten ist), um die geschwächten Geschlechts- und Unterleibs-Organe vor allem wieder zu kräftigen; ferner Kreuzpackungen mit darauffolgender kühler Abwaschung des gewickelten Körpers.

Diät ist für Nervenkranke wichtig. Die Grundlage für rationelle Diät bildet hier gemischte Kost. Wenig gebratenes Fleisch, Milch, Eier halbweich, grüne Bohnen, junger Salat, junger Spinat u.s.w. sind geeignet.

Fortsetzung siehe Buch: „Der Mayenbader Hausarzt.“

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[Ende der Abschrift]

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Eine für Theresia Boneberger angelegt Karteikarte des Einwohnermeldeamtes Mindelheim gibt Auskunft über die Familie:

 

Zu- und Vorname: Boneberger Theresia, geb. Baur, 2.3.1935 zu Mindelheim

 

Beruf: Privat[iere], Wtwe [Witwe]

 

Geburtszeit: 13.4.1856, Oberrammingen, katholisch, verwitwet

 

Staatsangehörigkeit: Bayern / bayerisch

 

Bürger [der Stadt Mindelheim] durch Magistratsbeschluss vom 27.7.1883

 

 

 

Eltern:

 

Vater: Baur Aemilian, Stand: Söldner, Sterbeort: Oberrammingen (in Bleistift mit ?)

 

Mutter: Baur Pelagia, geb. Meichelböck, Sterbeort: Oberrammingen (in Bleistift mit ?)

 

 

 

1. Ehe geschlossen zu Mindelheim am 21.8.1878

 

 

 

Ehemann: Boneberger Adolph, ehem. Badbesitzer – kath.

 

Geboren am 18.6.1847 zu München, 12.4.1924 zu Mindelheim

 

 

 

[dessen] Vater: Boneberger Aloys, Stand: Apotheker, Sterbeort: Nesselwang (in Bleistift mit ?)

 

[dessen] Mutter: Boneberger Magdalena, geb. Metzger, Sterbeort: Nesselwang (in Bleistift mit ?)

 

 

 

Rückseite:

 

 

 

Kinder:

 

Boneberger Kreszentia, 11.5.1879, Geburtsort Mindelheim

 

[in Bleistift:] Ministerialrats-Ehefrau, Aufenthalt: München

 

Aus dem Familienverband ausgeschieden durch: verheir.[atete] Hartmann

 

 

 

Theresienstrasse No. B80

 

zugezogen am 20.11.26 [1926? Bezug ggf. auf die Tochter; Umzug nach München]

 

Bahnhofstrasse B110 [in roter Farbe:] 22*

 

* Die 22 stellt vermutlich die neu vergebene Hausnummer dar. Es ist unklar, ob sich die beiden Straßen auf Mindelheim oder auf München beziehen. Nachdem es in Mindelheim aber keine Theresienstraße gibt, geht es wahrscheinlich um München.

 

 

Urheber

Adolf Boneberger

Quelle

Heimatmuseum Mindelheim

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1898-06-17

Rechte

gemeinfrei