05.05.1974 – Gedicht von Horst Zettl

Titel

05.05.1974 – Gedicht von Horst Zettl

Beschreibung

Dieser „Frühschoppen“ hatte es in sich. Wahrscheinlich handelte es sich um das 50er-Treffen, denn 1974 wurden zwei der nachfolgend Erwähnten 50 Jahre alt – Max Graf und Georg Link.

Horst Zettl (*17.03.1939, †01.01.2017), (späteres) Urgestein der Ottobeurer Kommunalpolitik, nahm in seinem schwäbischen Gedicht alles aufs Korn, was vor Ort mit Spott bedacht werden konnte. Der Spott kam aus berufenem Munde („Hetzer vom Markt Ottobeira“), denn als Gemeinderat waren ihm viele der Vorgänge bestens vertraut: Zettl saß vom 01.07.1972 bis 30.04.2002 für die SPD im Gemeinderat (fünf Perioden), ab 01.05.1996 war er deren Fraktionssprecher. Im Fasching gehörte Zettl zu den gefeierten Bütten-Rednern.

Ihr Fett weg bekam die „Spargelmarie“, eine Brunnenfigur (s. Foto), die ursprünglich am Marktplatz stand und im Zuge des Marktplatz-Umbaues 2002 vor das Stift St. Josef versetzt wurde. Zu diesem Marienbrunnen hieß es bei Zettl u.a.:

Und i dua allaweil sinniera:
’s werd doch em Brunna nix passiera.
Am beschta hält ma da sein Rand,
dia Marie isch ja nett beinand.

Vo hinta macht dia heilig Dame
ja direkt no a Mordsreklame
für Hirschwirt's Max sei Brauerei,
vo hinta konnts a Fläscha sei!

Um das eingestreute Lokalkolorit verstehen zu können, braucht es mehr als nur Verständnis des schwäbischen Dialekts. Thematisiert wurden die Erweiterung des Ottobeurer Krankenhauses, die Bäume am Sportbad, die Brücke vor der Zentralmolkerei (heute: kleiner Marktplatz vor der Genossenschaftsbank), der Bau eines zweiten (!) Kindergartens oder die Geschwindigkeitsbeschränkung am Ortsausgang Richtung Memmingen.

Mit ein wenig Selbstironie thematisierte Zettle auch die Gemeinderatäte („Gmoidsrät“):
Ma isch moischtens recht höflich und gibt sich sehr nett.
Oft fehlt zum Schlofa halt blos no as Bett!
Doch des sei normal – meinet viele im Ort –,
denn schlofa im Gmoidsrat, gilt bei uns da als Sport.

Max Graf bekam als lokaler Immobilienmogul nicht ungeschoren davon:
So goht’s unserem Max, es isch unerhört,
der woiß scho gar numma, was ihm alles g’hört.

Vielleicht findet sich jemand, der das Gedicht aufnimmt, damit wir es hier als Hörbeispiel präsentieren können?

Zur Verfügung gestellt wurde das köstliche Gedicht von Anne Dietrich (früher: Alte Guggenberger Straße; heute Ilsfeld).

Hier nun das Gedicht:

Der Plersch rennt ganz aufgregt zum Hirschwirt Max** nei
und sagt zu seim Spezi: „Des derf doch it sei!
Zu unserer Feier am 5. im Mai,
da ladesch du glatt den Läschterer ei!“

Beruhige dich, sagt der Max - Kuno trinkt
des tua i doch bloß wegam Jahrgänger Link.
Der Zettl muaß her, glaub mir, ’s muaß sei,
sonscht isch doch der Link Schorsch*** als Roter aloi.

Die Jahre fliegen pfeilgeschwind ...
und mancher fragt sich: Menschenskind,
Was isch im Flecka all’s passiert?
A weng was hau i ui aufnotiert:

Dia sechzger Jahr, dia warn a Graus:
Angfanga hat’s mem Krankahaus.
Zerscht isch amol im hoha Boga
im Nuibau dieba ’s Dach ragfloga.

Doch Gott sei Dank, ’s hat niemand troffa,
d' Maurer sind scho vor[her] verdloffa.
Dann baut ma, Leit, ihr glaubt ’s ja kaum,
an winzig kloina Röntgenraum.

Dia Kabina, Jessas noi!
A Mannsbild paßt da gar it nei.
Doch der allerschönschte Ort
war da dussa der Abort.
Es hatscht a Ma mit Gipsmanschette
de Gang entlang auf die Toilette.
Beim Abfahrtslauf hat er sich brocha
vom rechta Haxa a paar Knocha.

Da Lokus auf und d'Hosa ra,
er streckt da Fuaß aus, hockat na.
Da stellt er fescht, der arme Bua:
I bring dia Lokustür it zua.

Zu eng gebaut, des kommt davon,
am Gang duss hört ma jeden Ton.
Ma resümiert voller Entzücken:
Da hascht koi Ruah, it mal bei m Drücken!

D’r Stolz von unserem Bad – dia Beim –
warn au schier ganga aus em Leim.
Dia wollt – so hat ma saga höra –
a Sonnahungriger zerschtörä.

Weil, wia er sagt, sei Haufa Latta,
’s ganz Jahr liega muaß im Schatta.
Und wil [weil] im Herbscht auf Ehr und Glaub,
sei Grundstück aliat sei voll Laub.

Vor Zora hat dia narrat Haut
jetzt glatt auf Benninga nei baut.
Erscht krachts beim Mayer, dann beim Högg,
d’r Marktplatz isch a g'fährlich' s Eck.

Und i dua allaweil sinniera:
’s werd doch em Brunna nix passiera.
Am beschta hält ma da sein Rand,
dia Marie isch ja nett beinand.

Vo hinta macht dia heilig Dame
ja direkt no a Mordsreklame
für Hirschwirt's Max sei Brauerei,
vo hinta konnts a Fläscha sei!

Doch was hoißt hinta, au vo voina
konntesch bei dem Weibsbild moina,
sie hätt am Hungertuch rabissa;
a Rundung tuat ma ganz vermissa.

I hau fei oft scho mir gedacht,
d’r Holzma Max**** hätt’s besser g'macht!
Doch' s kam ein Künstler aus Berlin,
der stellte uns ein Kunstwerk hin.

Wo jeder fragt sich auf der Stell’:
Wer stand für sowas wohl Modell?
Es isch doch wirklich allerhand,
was dia z’Berlin für Weiber hant.

Und vor der früh’ra Molkerei,
dia Bruck – mordsdrum Sauerei!
Da lauft, ja isch der dös a Dreck,
mehr drieber als wi a drunter weg.

Koi Wunder, was ham mir oft g’lacht,
wia ma dia Bruck vor Jahren g’macht:
Nachts um oins, da standat dia,
im Mörtel dinn bis zu de Knia.

A jeder blau, a jeder schwankt,
a jeder staht bloß na und tankt.
Na druckt’s auf d’Blas’, ma ka it ganga,
kraftlos bleibt ma im Mörtel hanga!

Zerscht literweis es Bier neisaufa,
no steht ma na, lot’s oifach laufa!
Ja liabe Leit, des isch koi Spaß,
dia Bruck, dia isch vo Haus aus naß.

Es stürzt der Kloschterstier sich schwul
bei Nacht in Hofwirt’s Swimming-Pool.
Der Schacha-Jodl isch so frei,
fährt Kurgäscht nachts mem Bulldog hoi.

Der Goldpreis steigt, der Dollar sinkt,
der Schaupp im Halbersberg, der stinkt.
Bei Oschtwind räumt der stets sein Stall,
im Flecka duftet’s überall!

Der Graf macht schließlich no ganz schnell
sei Landgaschthaus zum Kurhotel.
Und alles schreit: Da gang i au na,
der Max hot a gemischte Sauna!

Es isch a Kreiz auf dera Welt!
In unserem Ort fehlt stets as Geld!
So miaßat mir a weng no wata,
auf unsern zwoita Kindergata.

Bisher isch’s so:
Willsch du a Kend mol unterbringa,
muascht um an Platz du johrweis ringa.
Am beschta tuascht – es isch zum Lacha –,
dei Kend glei melda, dann escht macha.

Vor kurzem warn mir a bißla verwundert
über den Zirkus zum „Tempo Einhundert“.
Denn des steht bei uns do ja nicht zur Debatte,
glei hinterm Lausbaum brauchscht du kiloweis Watte.

Dia muascht scho bei „Siebzig“
– i sags amol barsch – in d’Hosa neistopfa,
sonscht z’rreißt dir’s da …

Bei unsere Gmoidsrät im Rathaus da will
a jeder sei Ruah, drum ischs moischtens recht still.
Schwätza tuat einer, grad wia in der UNO:
Was bei dene der Waldheim isch, bei uns do der Kuno.

Ma isch moischtens recht höflich und gibt sich sehr nett.
Oft fehlt zum Schlofa halt blos no as Bett!
Doch des sei normal – meinet viele im Ort –,
denn schlofa im Gmoidsrat, gilt bei uns da als Sport.

Doch neilich ham mir auf die Pauke gehaut,
der Sportplatz wird kauft und a Schwimmbad wird baut.
Es Krankahaus brauch mer und da Sanka dazu,
in der Sonne hat’s brennt, jetzt hat der Graf me sei Ruah!
Neilich gaht er im Flecka spaziera,
bleibt hie und da schtau, denkt nach, tuat sinniera.
Und plötzlich – da bricht es aus ihm dann heraus:
Du Frau, schau da num, da dieba des Haus.
Des muaß oifach her, des kauf i mir no.

Ja Max, sagt sei Frau: des g’hört uns doch scho!
So goht’s unserem Max, es isch unerhört,
der woiß scho gar numma, was ihm alles g’hört.
Ja, ja, der Max, der isch ok,
der kommt mir vor wia a VW:
A VW, der lauft und sauft, und der Max, der kauft und baut.

Im Traum bild er sich neilich ei,
der ganz’ Marktplatz sei scho sei!
Der ganze’ Marktplatz g'hört jetzt mir,
wer drüber will, zahlt Mautgebühr!

Vor kurzem gang i – da Bauch voller Zora –  
im Wald duss spaziera, gedankaverlora.
Do sieh i vor mir, des derf doch it sei,
ein sagenhaft’s Weibsbild, i war glei ganz „high“ .

I stürz auf se zua und scho war i prellt,
sie hat sich als Dirne aus Müncha vorg’stellt.
I frag: Was tun Sie da hier?, sie antwortet nur:
I mach zwoimol täglich eiern „vita-parcours“!

Und dann fährt se fort, i hau saudumm gafft;
i bring mi in Form für die Weltmeisterschaft.
Allts war auf de Fiaß, geschäftig in Eile,
bei der Umbau-Eröffnung beim Edeka-Scheule.

Do war frei was los, des war wirklich Klasse,
die Dame des Hauses stand selbst an der Kasse.
Grad will se nausgau, mei Frau,
da kommt der Reinald, er lächelt schlau
und schenkt ihr –  findesch do an Ton (?) –
für' n Ma an rota Luftballon.

Dahoim gibt’s dann a Mords-Trara,
do pfeift mi d’Frau ganz g’hörig a:
Nix wi an Ärger, nix wi a Zora,
wersch Du doch blos a Schwarzer wora!

Schwaaze hot er keine g’hett.
Mei Muatter findt’s ja au it grad nett,
der Vat’r richtet sie no z’grund,
sei Schwiegersoh’, a roter Hund!

Volksfescht am Bah’hof, des war eine Schau.
I ka mi entsinna, i woiß no genau:
Der Max und der Reinald sind mit Musikfanfaren
in pechschwarzer Kutsche vor dem Zelt vorgefahren.

Der Max geht auf d’Bühne, verkündet ganz laut:
Aufpassa, herhöra –  und alle ham g’schaut.
Der zwoite Herr Landrat, der zapft itz dann a
und do denkt der Scheule sei Leaba lang dra.

Er hämmret und hämmret und bringt en it nei,
des war eine Gaude, des war ein G’schrei.
I hau mir scho denkt: Des Bier wird ja ranzig.
Da hat’s endlich klappt, bei Schlag dreiundzwanzig.

Do isch es dann g’flossa, dem Hirschwirt sei Naß,
vom Plersch dunt der Kuno, der war scho ganz blaß.
Reinald sagt er, des sottesch doch wissa:
3 Schlag, no muaß laufa, auf mehr Schlag isch g’schissa.
Beim Volksfescht in Müncha, da braucht ma it meh,
ja mei, sagt der Scheule, da zapft d’SPD.

D’r Silachweg wird bald – i sag ui it z’viel –  
umfunktioniert zu am Hundeasyl.
Do laufet dia Herrla und Fraula spaziera
und lant ihre Viecher a weng was verliera.

Und tuats au a bißla nach Sprichmacha klinga,
i kenn ein, der ka ui a Liad davo singa:
A Fußballer, müde vom Minnegesang,
kommt auf seim Heimweg da Silachweg lang.

Er flackt auf a Bänkla, weil müde er war,
und schlaft sofort ei, des isch ja ganz klar.
Am Morga wird er aus den Träumen gerissen,
er denkt seine Freundin, die weckt ihn mit Küssen.

Sie leckt seine Wangen, berührt seinen Mund,
er öffnet die Augen und sieht einen Hund.
Er saust in die Höhe und fängt an zu laufen,
da sieht er ihn erst, den riesigen Haufen.

Der Hund, der hat längst schon das Weite gesucht,
do steht er jetzt do unser Kumpel und flucht:
Ja schau doch daher – er lächelt verbissa –
jetzt hat mir des Mischtviech au d’Hos no verschissa.
Ja sowas passiert halt, was ham mir da glacht,
wenn einen die Liebe zu müde gemacht.

Und i bin jetzt au miad, drum hock i mi na.
Noch meim blöda G’schwätz, isch jetzt d’Musik me dra.
Viel Spaß no für heute und bleibt’s alle g’sund,
dann goht’s in zehn Jahren, beim Sechz’ger me rund!
Pfia Gott mitanand und tunt no schee feira,
es grüßt Euch der „Hetzer vom Markt Ottobeira“!

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*Horst Zettl (*17.03.1939, †01.01.2017) war – bis zu seinem Ruhestand im März 2002 – 45 Jahre lange Vermögensberater bei der Sparkasse Memmingen. Über Kommunalpolitik wusste er bestens Bescheid: Vom 01.07.1972 bis 30.04.2002 saß er für die SPD im Gemeinderat (fünf Perioden), ab 01.05.1996 war er deren Fraktionssprecher. In einer Danksagung erwähnte die Witwe, Hertha Zettl, eine „Krankheit“.

** Dipl.-Brauerei Ing. Max Graf (**21.05.1924, †25.01.2016), damals Besitzer des Brauereigasthofes „Goldener Hirsch“ sowie der Hirsch-Brauerei Ottobeuren

*** Georg Link (*11.10.1924, Amendingen, †17.05.2016) war Spediteur und ebenfalls SPD-Gemeinderat. 1950 hatte er in der Egerländerstraße ein Transportunternehmen gegründet.

**** Max Josef Holzmann (*10.05.1908, †16.12.1989), Steinmetz

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Abschrift und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 09/2022

Urheber

Horst Zettl

Quelle

Anne Dietrich

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1974-05-05

Rechte

gemeinfrei